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Der Neue im Krematorium

Mit seiner kuriosen Stellenanzeige sorgte der Chef des Krematoriums in Meißen deutschlandweit für Aufsehen. Nun hat er einen Mitarbeiter gefunden.

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© Andreas Weihs

Von Dominique Bielmeier

Meißen. Ein kleines Hinterzimmer im Meißner Krematorium. Um einen rechteckigen Tisch stehen ein paar nagelneue Bürostühle herum, teilweise noch in Plastik verpackt, abgesehen davon ist der Raum leer. Die neuen Möbel werden hier zwischengelagert, erklärt Chef Jörg Schaldach und nimmt Platz. Nicht die Stühle sind aber das wirklich Interessante und Neue beim Städtischen Bestattungswesen Meißen, sondern der Mann, der sich nun neben Schaldach auf einen von ihnen setzt: Robert Stransfeld-Schulze, 32, groß, kräftig, mit dunklem, stellenweise grau melierten Vollbart und freundlichem Gesicht. Der Coswiger ist der eine aus 154, der Gewinner einer Stelle sozusagen, deren Ausschreibung Anfang des Jahres durch die Medien ging und deutschlandweit für Aufsehen und vor allem viel Belustigung sorgte.

Mit diesem Text, der Ende Januar auch in der SZ erschien, suchte Jörg Schaldach nach einem neuen Bestatter oder einer Bestatterin. Was er damit auslösen wurde, ahnte er da noch nicht.
Mit diesem Text, der Ende Januar auch in der SZ erschien, suchte Jörg Schaldach nach einem neuen Bestatter oder einer Bestatterin. Was er damit auslösen wurde, ahnte er da noch nicht. © SZ

Schaldach schrieb damals in seiner Anzeige, die auch in der Sächsischen Zeitung erschien: „Du brauchst kein Urlaubssemester, um zu Dir selbst zu finden, schreibst nicht alle drei Minuten WhatsApp und kannst Dir vorstellen, eine Woche zu arbeiten, ohne an Burnout zu erkranken.“ Oder: „Du kannst Dich mit Grundnahrungsmitteln selbst versorgen, weißt, wozu Dusche, Deo und Waschmaschine notwendig sind, und kannst ein Fahrzeug führen.“

Die Resonanz darauf sei enorm gewesen, hunderttausendfach sei die Anzeige in den sozialen Medien geteilt worden, berichtet Schaldach und präsentiert eine Klarsichthülle mit Briefen und Postkarten: Schreiben von Menschen, die sich gar nicht auf die Stelle bewarben, aber Schaldach für den offenen Ton der Anzeige dankten. So gesellschaftskritisch hatte der Krematoriumschef ursprünglich gar nicht sein wollen. „Doch wahrscheinlich haben wir in den Zahn der Zeit richtig tief reingebohrt.“

Stransfeld-Schulze erfuhr durch Zufall durch eine Arbeitskollegin seiner Frau von der Stelle als Bestatter. Die fragte ihn geradeheraus: „Könntest du dir vorstellen, mit Toten zu arbeiten?“ Darüber musste er erst einmal nachdenken und vor allem mit seiner Frau sprechen. „Sie hat dann gesagt, das ist ein Beruf wie jeder andere. Der muss auch gemacht werden.“ Und weil der 32-Jährige die Ausschreibung so amüsant fand, bewarb er sich tatsächlich.

Insgesamt landeten 154 Bewerbungen auf Schaldachs Schreibtisch, und schon die Vorauswahl fiel ihm enorm schwer – so viele gute Leute interessierten sich für die Stelle. Und das, obwohl er sogar bewusst verschwiegen hatte, dass es sich dabei um öffentlichen Dienst handelt. 32 von ihnen lud er schließlich zum Vorstellungsgespräch, 16 durften auch noch drei Tage zur Probe arbeiten – und zwar das ganze Programm: Leichen abholen, anziehen, einäschern, Gerichtsmedizin, Amtsbesuche ... Einer von ihnen war Stransfeld-Schulze. Am Ende durften Schaldachs Mitarbeiter entscheiden, wer am besten ins Team passt und die Wahl fiel auf den Coswiger.

Der kommt eigentlich aus einer ganz anderen Branche. Zuletzt arbeitete der gelernte Koch als Küchenchef in Dresden. Aber die Arbeitszeiten in der Gastronomie fand er irgendwann zu familienfeindlich und wollte mehr Zeit für seine Frau und seinen neunjährigen Sohn haben. „Dass es dann aber Bestatter werden würde, hätte vorher wohl keiner gedacht“, sagt Stransfeld-Schulze und lächelt. Sein Chef Jörg Schaldach kontert mit seinem berüchtigten Humor. „In der Gastronomie ist es wahrscheinlich länger tot als hier bei uns.“

Gerade hatte der neue Bestatter seine erste Hausabholung, zuvor hat er die Toten immer nur aus dem Krankenhaus abgeholt. Der Umgang mit Leichen macht ihm tatsächlich nichts aus, berichtet er. „Ich stelle es mir viel schwerer vor, zum Beispiel im Rettungsdienst zu arbeiten und dann zu merken, die Menschen sterben mir unter der Hand weg.“ Deshalb habe er auch riesengroßen Respekt vor dieser Arbeit. Als die größte Herausforderung in seinem neuen Beruf sieht er es, mit den Angehörigen der Verstorbenen pietätvoll umzugehen, „den nötigen Respekt und auch die Würde rüberzubringen“.

Als Schaldachs Anzeige erschien, wunderten sich viele nicht nur über den flapsigen Ton, sondern auch über die offenbar geringen Anforderungen der Stelle. Schaldach erklärt jedoch: „Die vielen Bewerbungen kommen dadurch zustande, dass die Bewerber nicht nur lesen und schreiben konnten, sondern auch richtig interpretierten, was von ihnen erwartet wird.“ Sie mussten also zwischen den Zeilen lesen. Nicht nur ein allgemein lebenstüchtiger und -fähiger Mensch wurde gesucht, sondern der Bestatter zielte auf konkrete Anforderungen des Berufs ab: einen Leichenwagen fahren zu können oder im Umgang mit den Hinterbliebenen einen guten Eindruck zu machen. 40 Aufgaben hat außerdem der Einstellungstest auf der Internetseite des Krematoriums, den auch Stransfeld-Schulze machte. Bewerber sollen unter anderem Rechenaufgaben lösen, römische Zahlen auf Grabsteinen deuten oder Frakturschrift lesen können. 80 Prozent seiner Mitarbeiter hätten einen erweiterten Bildungsabschluss, sagt Schaldach. „Hirn ist ein Marktvorteil.“

Das Meißner Krematorium gilt seit Jahren als das günstigste in der ganzen Bundesrepublik. Jährlich werden hier rund 10 000 Verstorbene eingeäschert. Im Sommer seien es traditionell weniger als im Winter, weil dann auch weniger Menschen sterben. 23 Mitarbeiter hat Schaldach, im nächsten Jahr soll ein weiterer Bestatter dazukommen. Die neue Stellenausschreibung textet der Chef jetzt schon. Kleiner Vorgeschmack: „Du hast schon mal einen Nagel eingeschlagen, ohne dass er krumm wurde.“

Auf einmal dringt ein hoher Schrei bis in das kleine Hinterzimmer im Krematorium und lässt die Männer verstummen. Herzzerreißendes Weinen ist zu hören. Jörg Schaldach, sonst selten um einen Scherz verlegen, wird ganz ernst. „Eine Aufbahrung“, erklärt er leise. „Im Kinderhospiz gestorben.“

„Sie fragten mich doch vorhin nach der größten Herausforderung“, sagt Stransfeld-Schulze. „Ich glaube, wenn ich dann mit Kindern zu tun habe, das wird für mich die größte Herausforderung.“