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Der Retter des Willkommensfestes

Der Bonner Student Michael Fengler legte Einspruch gegen das Versammlungsverbot ein – und wurde vom SPD-Chef Sigmar Gabriel geweckt.

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© dpa

Von Tobias Hoeflich

Seit Tagen steht sein Telefon nicht mehr still. Vor allem Journalisten rufen an, die mit Michael Fengler sprechen wollen. Aber auch Freunde, Bekannte, sogar Fremde, die den 25-Jährigen beglückwünschen. „In den letzten Tagen habe ich mehrere Hundert Freundschaftsanfragen bei Facebook bekommen“, berichtet der Jurastudent aus Bonn, der nebenbei in einer Anwaltskanzlei arbeitet. Sein Einsatz für das Grundrecht zur Versammlungsfreiheit hat bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Es ist Donnerstagnachmittag in der vergangenen Woche, als das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in Heidenau alle öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel untersagt. Der Grund: polizeilicher Notstand. Es stünden nicht genug Einsatzkräfte zur Verfügung, um der „prognostizierten Lageentwicklung gerecht zu werden“, heißt es. Betroffen von dem Verbot, das von Freitag bis Montag gelten soll, ist auch das geplante Willkommensfest für Flüchtlinge. Die Organisatoren des Bündnisses Dresden Nazifrei sind entsetzt: „Es ist der blanke Hohn, dass es offenbar genügend Polizeikräfte gibt, um sich Scharmützel mit alkoholisierten Nazi-Schlägern zu liefern, hingegen keine, um ein Willkommensfest zu schützen.“

Auch Michael Fengler ist erschüttert. „Das Verbot an sich fand ich schon eine Frechheit. Dass deshalb das Willkommensfest ausfallen sollte, war die Höhe.“ Der Bonner hat keine spezielle Beziehung zu Sachsen, war hier nur mal im Urlaub – und bezeichnet sich auch nicht als übermäßig engagiert. Er gehört dem Vorstand der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos im Bonner Stadtbezirk Hardtberg an, hat einen Förderverein für das dortige Hallen- und Freibad gegründet. „Aber dieses Verbot wollte ich dem Landrat nicht durchgehen lassen.“ Der Student legt noch am Abend schriftlich Einspruch ein, sitzt bis in die Morgenstunden an einem 9-Seiten-Papier, das er dem Verwaltungsgericht Dresden faxt. Darin begründet Fengler, warum er das Verbot für unrechtmäßig hält. „Ich hatte erwartet, in erster Instanz zu verlieren und wär auch nicht in Widerspruch gegangen. Schon aus finanziellen Gründen.“ Nur die 200 Euro Verfahrenskosten für den ersten Antrag hätte er tragen können: „Das sind mir die Grundrechte wert.“

Doch es kommt anders, die Ereignisse überschlagen sich. Das Verwaltungsgericht gibt dem Eilantrag Freitagmittag recht, woraufhin das Landratsamt vor das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen zieht und am Abend seinerseits zum Teil recht bekommt. Das Verbot bleibt bestehen, so die Richter. Nur das Willkommensfest am Freitag darf stattfinden. Auch Teil des Urteils: Fengler soll 90 Prozent der Verfahrenskosten übernehmen, rund 1 000 Euro.

Dann bekommt der Student unverhofft Hilfe: Es ist inzwischen Samstagmorgen, als ihn SPD-Chef Sigmar Gabriel anruft. „Hallo, Sigmar, schön, dass du dich meldest“, entgegnet ihm Fengler. Unter Genossen duzt man sich. „Mehr hab ich gar nicht rausbekommen. Ich war völlig überrascht und noch im Halbschlaf.“ Gabriel sichert zu, die SPD trage die Verfahrenskosten. Auch das wird hinfällig, weil wenige Stunden darauf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Demoverbot komplett kippt, der Student somit nichts zahlen muss. Nach dem OVG-Urteil zog Fengler, diesmal mithilfe seiner Kanzleikollegen, noch am selben Abend vor Deutschlands höchste Rechtsinstanz. „Am Donnerstag hab ich nicht im Geringsten geahnt, dass ich zwei Tage später in Karlsruhe lande.“

Zwar freut sich Fengler über seinen Triumph, der letztlich das Willkommensfest in Heidenau ermöglicht hat. Doch spart er auch nicht mit Kritik, zum Beispiel am Landrat: „Nach den schlimmen Ausschreitungen hätte er doch alles dafür tun müssen, dass das Fest stattfinden kann.“ Ebenso unverständlich ist für ihn, warum sonst niemand gerichtlich gegen das Versammlungsverbot vorging. „Auch in Sachsen demonstrierten die Menschen vor 25 Jahren für Freiheit. Wieso scheint dort jetzt so ein Desinteresse zu herrschen?“