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Der Riss geht mitten durch Welzow

Bald soll Schluss sein mit der Kohleverstromung in der Lausitz – eine Ungewissheit, mit der die Menschen umzugehen lernen müssen.

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Blick in den Tagebau Welzow-Süd: Die Braunkohle bringt den Bewohnern der Region seit mehr als 150 Jahren Arbeitsplätze und Auskommen.
Blick in den Tagebau Welzow-Süd: Die Braunkohle bringt den Bewohnern der Region seit mehr als 150 Jahren Arbeitsplätze und Auskommen. © dpa/Patrick Pleuel

Von Anna Ringle

Der tägliche Weg zu seinem Arbeitsplatz ist für Stefan Gaebel holprig. Mit Kollegen sitzt er immer zu Schichtbeginn in einem Mannschaftstransportwagen, der über Sandhügel und durch tiefe Spurrillen steuert. Es ruckelt. Nach der Fahrt durch das unwegsame, einsame Gelände ohne Straßen im Süden Brandenburgs ist er am Ziel: Der 36-Jährige befindet sich in einer Braunkohle-Grube in rund 45 Metern Tiefe.

Der Wind pfeift. Ein riesiger Bagger steht in dem Tagebau. Er ist 243 Meter lang und 63 Meter hoch. Die Schichtarbeiter wirken im Vergleich dazu winzig. Über Lautsprecher tönen Ansagen über den Tagebau Welzow-Süd hinweg. Das immense Schaufelrad räumt im Lausitzer Braunkohlerevier Sand und Erde beiseite – in der Fachsprache heißt dieser Gruben-Bereich Vorschnitt. Die Arbeiter wollen auf das stoßen, was der Region seit mehr als 150 Jahren Arbeitsplätze und Auskommen bringt – Braunkohle.

Gaebel arbeitet auf dem Bagger an einer Verladestelle, wo die weggeschaufelte Erde auf ein Förderband fällt. Er fühlt sich wohl, seinen Job mag er. „Ich kann draußen arbeiten, und der Zusammenhalt hier ist sehr groß“, sagt der sportliche Mann. „Ich habe Hochachtung vor der technischen Leistung.“

Die kleine Stadt Welzow mit ihren rund 3500 Einwohnern, in der Gaebel seit Kindheitstagen lebt, liegt in direkter Nachbarschaft. „Stadt am Tagebau“ ist auf Schildern an den Ortseingängen zu lesen. Ein Besucher-Zentrum informiert über die Kohle, Touristen können Touren in das Revier buchen. Viele Einwohner arbeiten „in der Kohle“, wie sie es selbst bezeichnen. Sie sind stolz auf ihren Beruf. Die Industriejobs sind gut bezahlt.

Kommt man mit Welzowern ins Gespräch, kann gefühlt beinahe jeder in seiner Familie jemanden aufzählen, der in der Braunkohlenindustrie beschäftigt ist oder es einst war. So geht es vielen kleinen Orten und Städten in der Lausitz, die im zweitgrößten Braunkohlerevier Deutschlands liegen.

„Wir sind besonders von der Braunkohle geprägt“, sagt Welzows Bürgermeisterin Birgit Zuchold. Vom stärksten Industriezweig in der sonst strukturschwachen ostdeutschen Gegend leben nicht nur die Kohlekumpel. Auch Handwerksbetriebe und Dienstleister seien auf die Aufträge des Tagebaubetreibers angewiesen, zum Beispiel der Erd- und Rohrleitungsbau, Maler-, Heizungs- sowie Sanitärfirmen und viele Unternehmen mehr, ergänzt Zuchold.

Grubenarbeiter Stefan Gaebel ist optimistisch, noch bis zur Rente im Tagebau arbeiten zu können. 
Grubenarbeiter Stefan Gaebel ist optimistisch, noch bis zur Rente im Tagebau arbeiten zu können.  © dpa/Patrick Pleul

Denn die Bundesregierung will aus Klimaschutzgründen schrittweise aus dem Verstromen von Braun- und Steinkohle in Deutschland aussteigen. Wann genau Schluss sein soll, ist aber noch offen. Braunkohle ist wegen des hohen Kohlendioxid-Ausstoßes beim Stromerzeugen klimaschädlicher als andere Energieträger. Gut 22 Prozent der Bruttostromerzeugung in Deutschland entfielen, so rechnet das Bundeswirtschaftsministerium vor, 2017 auf die Braunkohle.

Was würde eine ganz abrupte Abkehr für die Stadt bedeuten? Grubenarbeiter Stefan Gaebel antwortet kurz und knapp: „Welzow würde aussterben. Viele würden wegziehen.“

Eine vom Bund eingesetzte Kommission – der Name: „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – arbeitet seit Monaten an Ideen, wie ein Strukturwandel gelingen kann und wie alternative Jobs in den großen Braunkohlerevieren im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeutschland entstehen können. Die Kohlekommission hat zugleich die Aufgabe, einen Ausstiegspfad und ein Enddatum der Kohleverstromung zu nennen. Die Arbeit des Gremiums läuft noch – es gibt Verzögerungen.

Der Revierplan des Lausitzer Tagebaubetreibers Leag mit vier Gruben in Brandenburg und Sachsen reicht eigentlich noch bis in die 2040er Jahre. Spricht man Welzower auf die Kohlekommission an, zeigen sich viele verärgert. Sie haben den Eindruck, dass die Braunkohle ein Prügelknabe sei und in anderen Bereichen zu wenig für den Klimaschutz getan werde.

Bürgermeisterin Birgit Zuchold fordert für den Wandel finanzielle Hilfen für Welzow. „Die Leute brauchen Lebensperspektiven, und die Leute möchten gerne wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten können“, sagt sie.

"Hier sind Freundschaften kaputt gegangen deswegen"

Auch Stefan Gaebel hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeregt. Sorgen stiegen in ihm hoch, wenn die Braunkohle kritisiert wurde. Mit der Zeit wurde das Sich-Sorgen-Machen weniger. Jetzt schaut er auf seine Situation wieder zuversichtlicher. „Ich denke positiv. Ich hoffe, dass es weitergeht“, sagt er. Dass ein richtig schnelles Ende des Energieträgers kommen könnte, denkt er nicht.

Erst vor Monaten schloss er seine Ausbildung beim Tagebaubetreiber ab, jetzt ist er Jungfacharbeiter. Der 36-Jährige hofft, sogar noch bis zur Rente in dem Industriezweig arbeiten zu können. Der zweifache Vater sagt aber auch über die nachfolgende Generation: „Bei den Kindern sehe ich das eher anders. Ich denke, die werden es nicht mehr erleben.“

Halt gibt Gaebel, dass er zwei Ausbildungen in der Tasche hat. Eine als Maurer und nun diese als Aufbereitungsmechaniker. Zwölf Jahre sei er zudem bei der Bundeswehr tätig gewesen. „Ich werde immer Arbeit finden“, sagt er mit fester Stimme.

Die Menschen in der ostdeutschen Region haben schon einmal erlebt, was Strukturbruch bedeutet. Zehntausende verloren nach der Wende ihren Job in der Braunkohlenindustrie. Tagebau um Tagebau aus DDR-Zeiten wurde dichtgemacht.

Zur Wendezeit im Jahre 1989 gab es im Lausitzer Revier fast 80.000 Beschäftigte, wie Daten des Vereins Statistik der Kohlenwirtschaft zeigen. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl auf unter 10.000. Viele mussten umschulen, neue Berufe erlernen oder waren arbeitslos. So etwas sitzt tief.

Heute arbeiten in den vier Gruben und den Braunkohle-Kraftwerken in der Lausitz noch rund 8000 Menschen. In allen Braunkohlerevieren in Deutschland zusammen gibt es rund 20.000 direkte Arbeitsplätze.

Wie groß die Kluft zwischen Braunkohlegegnern und -befürwortern in Deutschland ist, lässt sich auch in Welzow erleben. Denn längst nicht alle in der Stadt sind für die Kohle. Das hat mit einer zweiten Unsicherheit zu tun, die seit Jahren umgeht.

Im Welzower Ortsteil Proschim – einem eingemeindeten Dorf – bangen Einwohner um ihre Häuser. Um ihre Heimat. Wenn der angrenzende Tagebau einmal erweitert werden sollte, müsste das Dorf abgebaggert werden und die Menschen müssten umsiedeln. Der Tagebaubetreiber will bis 2020 entscheiden, ob der Abbau um den Teilabschnitt II erweitert wird. Im jetzigen Teilabschnitt I wird es etwa ab Mitte der 2030er Jahre keine Kohle mehr geben.

Martin Schröer (l) will nicht weg aus Proschim. Er hofft, dass er weiter in seinem Haus wohnen kann. Sein Grundstück ist nur wenige hundert Meter entfernt vom Braunkohletagebau Welzow-Süd. 
Martin Schröer (l) will nicht weg aus Proschim. Er hofft, dass er weiter in seinem Haus wohnen kann. Sein Grundstück ist nur wenige hundert Meter entfernt vom Braunkohletagebau Welzow-Süd.  © dpa/Patrick Pleul

Bis zur Entscheidung hängen die Proschimer in der Luft. Umsiedlungen hat es in deutschen Braunkohlerevieren – meist begleitet von Protesten – immer wieder gegeben. Die Bewohner werden in solchen Fällen finanziell entschädigt.

Martin Schröer ist Proschimer. Er will nicht weg von hier. Der 54-Jährige lebt seit 1995 mit seiner Familie in dem Dorf. Es ist ein sehr gepflegtes Grundstück mit Backsteingebäuden. Im Innenhof stehen alte Bäume, es gibt eine Garage. Hier hat Schröer auch das Büro seiner Heizungs- und Sanitärfirma. Proschim ist seine Heimat, wie der 54-Jährige sagt. Fast alles bauten sich die Schröers selbst auf. Schröer blickt von seinem Haus auf ein weites Feld. Den Sonnenuntergang beobachtet er besonders gern. „Da gibt es zahllose Fotos von“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Für Schröer ist es ein Unding, dass in Zeiten des Klimawandels noch Braunkohle gefördert wird.

Er sei zugleich froh, dass der Kohleausstieg geplant wird. Er fordert dabei, dass die Braunkohle-Mitarbeiter eine Perspektive bekommen. Ein Enddatum für die Kohleverstromung hält Schröer für wichtig. Auch für sich persönlich: „Die Unsicherheit würde aufhören.“ Gerade erst habe die Familie in die Hausfassade investiert. „Wenn der Bagger käme, wäre das weg.“

Schröer glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass Proschim umgesiedelt wird. „Die werden sich dagegen entscheiden. Aber auch wenn sie sich dafür entscheiden, glaube ich, dass das noch nicht das letzte Wort ist.“ Für alle Fälle habe sich die Familie einen Plan B zurechtgelegt. Dann wollen die Eheleute wegziehen.

Die Braunkohle ist in dem Ort schon lange ein Streitthema. „Hier sind Freundschaften kaputt gegangen deswegen“, sagt der Heizungsinstallateur. Manche Proschimer sitzen nach seinen Worten quasi auf gepackten Koffern, weil sie sich eine Umsiedlung sogar wünschen. Andere hängen an ihrem Zuhause.

Im Dorfkern ist der Protest gegen die Braunkohle sichtbar. Zwei Plakate gegen das Abbaggern hängen seit vielen Jahren neben einem Straßenschild. Dem äußeren Anschein nach ist es jedoch etwas ruhiger geworden. Vor Jahren hatten mehr Bewohner Protestschilder direkt in ihren Vorgärten aufgestellt.

Trotz aller Ungewissheit versucht die Stadt den Blick nach vorne zu richten. Bürgermeisterin Zuchold sagt: „Ich möchte immer Aufschwungstimmung verbreiten. Es lebt sich hier gut.“ Die Kommune setzt auf neue Impulse in der Wirtschaft. Gewerbeflächen sind erschlossen. Es gebe Anfragen von Investoren. „Wir sind froh, dass wir es geschafft haben, einen Spielgeräte-Hersteller in Welzow zu etablieren. Das ist ein erster kleiner Schritt.“ (dpa)