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Der Stimmungsmacher

Vor Konzerten großer Pianisten setzt Klavierstimmer Gert Gäbler schon mal den Bohrer an einem Steinway-Flügel an.

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Von Nadja Laske

Der Pianist trägt noch Pullover. Braunen Strick. Hinter ihm stehen polierte Karossen, vor ihm glänzt Klavierlack. So sitzt er am Flügel. In der Gläsernen Manufaktur ist die Bühne aufgebaut und das Orchester probt. Der rumänische Musiker Radu Lupu gibt am Abend ein Konzert. Wo jetzt noch aufgeklappte Geigenkästen warten, nimmt in Kürze das Publikum Platz. Dann muss alles gestimmt sein und stimmen. Gert Gäbler steht still im Niemandsland. Zwischen erster Reihe und Bühnenpodest wartet er, gespannt wie eine Saite. Wird der Musiker noch einen Wunsch haben oder den Kopf zufrieden wiegen? Gäblers feiner Sensus scheint ihm zu behagen. Noch hält sich der Klavierstimmer bereit, doch seine Arbeit ist getan.

Bloß kein neues Instrument, war die Ansage Radu Lupus. Also ließ Gert Gäbler den nigelnagelneuen Flügel der Sächsischen Staatskapelle in der Oper stehen und nur die anderen beiden ins VW-Werk an der Lennéstraße transportieren. „Zwei zur Auswahl zu geben ist üblich, wenn Künstler dieser Größe zu Gast sind“, sagt der gelernte Klavier- und Cembalobauer. Seit mehr als 30 Jahren stimmt er für die Pianisten der Semperoper und Gastmusiker des Hauses die Flügel. Wenn Berühmtheiten Instrumente für Live-Auftritte brauchen, wird Gert Gäbler gerufen. Außerdem haben sein Vater und er die Aufnahme von rund 350 CDs begleitet. Erst jüngst war Gäbler für den Echo Klassik-Preisträger Rudolf Buchbinder im Einsatz. Mehrfach hat er Lang Langs Flügel vorbereitet und dabei schon mit teuflischer Luftfeuchte nach einem Regenguss über dem Theaterplatz gerungen. „Open-Air-Konzerte sind eine Krux“, sagt er. Nicht nur Instrumente, sondern auch Musiker müssen sich häufig an neue Räume gewöhnen, Pianisten zusätzlich immer an ein anderes Instrument. Denn nur sehr selten nehmen sie ihren eigenen Flügel mit auf Weltreise. Welche Bedingungen sie dann vor Ort stellen, welche Vorlieben sie haben, weiß Gert Gäbler meistens schon, bevor das Management den Wunschzettel zu ihm durchstellt. Dafür klickt er sich nicht etwa durch Youtube-Videos früherer Konzertmitschnitte. Auch CD-Aufnahmen helfen kaum weiter. Für die Arbeit eines Klavierstimmers sind die entscheidenden Nuancen im Spiel zu fein, um sie vom Band abzuhören.

Mit der Wasserwaage zum Konzert

„Die Vorlieben der Pianisten sprechen sich herum“, sagt Gert Gäbler. Die Konzerttechniker großer Städte kennen sich untereinander und tauschen gegenseitig Tipps aus, wenn sich ein musikalisches Schwergewicht ankündigt. Das eine bringt eine Wasserwaage mit, um sicherzugehen, dass der Flügel gerade steht. Das andere möchte, dass Ton a und h ganz am Ende der Tastatur gleich klingen.

Hat Gert Gäbler schwarz auf weiß, wie sich die schwarzen und weißen Tasten spielen lassen sollen, beginnt sein Job mit der Vorauswahl der Flügel. Gebraucht oder neu ist dabei nur eine Frage. Die viel wichtigere heißt: Welche Marke verlangt der Künstler. Optimal ist es, die Instrumente dort zur Probe aufzustellen, wo das Konzert stattfinden soll, damit sie sich ans Raumklima gewöhnen. Auf der Bühne der Manufaktur standen also am Tag vor der Orchesterprobe für ein paar Stunden zwei Steinway & Sons-Flügel hintereinander. Beide hat Gert Gäbler vorbereitet. Für den „freundlicheren“ entschied sich Radu Lupu schließlich. Knapp 30 Minuten Probespiel brauchte der Pianist für diese Wahl. Nachdem er selbst gespielt hatte, bat er Gert Gäbler, ihm etwas vorzuspielen und stieg die Zuschauerreihen hinauf, um von dort den Klang zu testen.

Die Situation erinnert Gert Gäbler an seinen einstigen Berufswunsch. Auch er wollte Konzertpianist werden, erzählt er später – nahe liegend für den Sohn einer alteingesessenen Klavierbauerfamilie. Als Kind begann er Unterricht zu nehmen. „Doch es gibt solches und solches Lampenfieber“, sagt er. Seines habe ihn selbst während des Spiels noch mit Angst vor dem nächsten und übernächsten Takt gequält, sodass er beschloss, Abschied von diesem Traumberuf zu nehmen. Er wurde Klavierbauer wie sein Vater. Ihm hat er auch die Praxis im Klavierstimmen ab der Jugend an zu verdanken. Heute führt der Junior von einst das Familienunternehmen „Piano Gäbler“ in Striesen weiter. „Klaviere zu putzen und zu stimmen war schon meine Ferienarbeit.“ Zwar versuchte er es auch einmal in einer Stanzerei, doch ein Bekannter riet ihm dringend, seine Ohren vor dem Lärm in Sicherheit zu bringen. Die sind bis heute sein wichtigstes Arbeitsmittel. Für sie geht er regelmäßig im Großen Garten joggen. Fitness ist wichtig auch fürs Gehör.

Wenn Gert Gäbler vor der geöffneten Klaviatur sitzt, einzelne Tasten ausbaut, seitlich kleine, flache Löcher hineinbohrt und mit winzigen Bleischeiben füllt, um sie zu beschweren, haben seine Ohren Pause. Dann geht es nicht um Töne, sondern um Tastenschwere und Fingerdruck. Denn auch wenn die Saiten die richtige Spannung haben und den korrekten Ton geben, die Mechanik aller Hämmer optimal funktioniert und ihr Filz frisch ist, muss der Pianist noch lange nicht zufrieden sein. Exakt 48 Gramm schwer will Radu Lupu den Tastendruck haben. Um ihn einzustellen, nimmt Gert Gäbler ein winziges Messinggewicht aus seinem Werkzeugkoffer und stellt es auf das Elfenbein. Die Geschwindigkeit, mit der es die Taste nach unten drückt, zeigt ihm an, ob sie schwerer oder leichter eingestellt werden muss. Der Klavierstimmer kann außerdem dafür sorgen, dass ein Klavier, Flügel oder Cembalo blechern oder warm, hell oder kraftvoll klingt.

Tastenschinder auf Ton-Tour

„Für jeden Ton sind 90 Einzelteile aufeinander abzustimmen.“ Die muss der Klavierstimmer kennen – eine Aufgabe nur für sogenannte Absoluthörer? „Das absolute Gehör ist eine Gedächtnisleistung, die beim Klavierstimmen und Vorbereiten nicht von Bedeutung ist“, sagt Gert Gäbler.

Ehrfürchtig begegnen Gert Gäbler die einen, raubeinig die anderen. „Hilfe, der Bimbim kommt“, rufen die Techniker häufig, kaum dass er mit seinem Koffer um die Ecke biegt. „Geräuschterrorist“ nennen sie ihn oder „Tastenschinder“. Zwischen einer und zwei Stunden braucht Gäbler, wenn er einen Flügel „reguliert“, wie er es selbst nennt – für diejenigen, die im Akkord Stühle rücken, Notenständer platzieren und Instrumente positionieren müssen, wohl eher eine lästige Geräuschkulisse, die den Ausruf „Oh Gott!“ provoziert. Dem Künstler aber dürfte Gert Gäbler eine Art Halbgott sein. „Ich sehe mich aber eher als Diener und Vermittler der Musik.“