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Der Stinker am Stadtrand

Die Chemische Fabrik Oswald Greiner ist fast 100 Jahre alt geworden. Selbst nach ihrer Schließung ist sie ein Problem.

Von Jens Hoyer
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Die Chemische Fabrik Oswald Greiner in einer historischen Darstellung. Fast 100 Jahre lang wurden in der Fabrik Teerchemie betrieben und Dachpappe hergestellt.
Die Chemische Fabrik Oswald Greiner in einer historischen Darstellung. Fast 100 Jahre lang wurden in der Fabrik Teerchemie betrieben und Dachpappe hergestellt. © privat

Döbeln. Andreas Riethig hat als Elektriker die Chemische Fabrik Oswald Greiner noch in ihrer Endphase kennengelernt: Als völlig heruntergekommenen und veralteten Betrieb. „Da ging noch die Transmission für die Maschinen quer über den Hof. Überall war Kohlestaub und Abrieb. Kein Wunder, dass es dort immer mal gebrannt hat“, erzählte er. Bald darauf war Schluss. 

1971 wurde die Firma an der Eichbergstraße in der letzten DDR-Enteignungswelle verstaatlicht und ein Jahr später geschlossen. Das Gelände übernahm der VEB Elektrowärme. Heute erinnert nur noch der Anschlussstutzen eines armdicken Rohres auf dem Hof an die ehemalige chemische Fabrik. Die Kesselwagen seien dort vor dem Entladen beheizt worden, sagte Riethig, der einen Vortrag zu der Fabrik gehalten hatte. Klebriger Teer war das Lebenselixier des Werkes. Er fiel damals massenweise in den Gaswerken in den Städten bei der Verschwelung von Kohle an. Bei Greiner wurden acht Millionen Kilo Teer pro Jahr verarbeitet, den die Firma aus 40 Gaswerken bezog. Daraus ließ sich allerhand machen.

Der Firmenchef hatte einen „Teerbaum“ im Büro hängen, eine Darstellung, was aus dem klebrigen Zeug alles hergestellt werden konnte, erzählte Riethig. Greiner destillierte daraus Benzol, stellte Salmiakgeist, Naphthalin und Karbolsäure her. Es wurden etwa eine Million Quadratmeter Dachpappe im Jahr mit Teer getränkt, außerdem Isoliermasse und Faserkitt hergestellt. Ein Kaltanstrich mit dem Namen Greinerol gab es in großen Fässern. Selbst Buchenholzteer für medizinische Anwendung verlies die Fabrik, erzählte Riethig.

Knapp 100 Jahre existierte die Firma, die 1874 vom Dachdeckergesellen Oswald Greiner als Großhandel für Dachdeckerbedarf gegründet wurde. Später nahm Greiner selbst die Produktion auf. Die war nicht ungefährlich. Als vor 100 Jahren eine Benzolretorte in die Luft flog, kam ein Arbeiter ums Leben. Noch wenige Jahre vor der Schließung brannte 1968 der Dachstuhl des Produktionsgebäudes ab. In den Gebäuden der chemischen Fabrik ist heute unter anderem das Robotron Bildungszentrum und die Tafel Döbeln eingemietet.

Die Firma Greiner hatte selbst einige Kesselwagen, mit denen sie den Teer aus den Gaswerken abholte. Ein Gleisanschluss führt vom Hauptbahnhof über die Eichbergstraße bis in die Fabrik. Auch den Transport schildert Riethig als ziemlich rustikal: „Die Lok war nur ein Gestell mit einem Motor und konnte immer nur einen Kesselwagen ziehen. Die hatte nicht mal eine Bremse, es musste immer ein Bremswagen mitfahren“, erzählte er. Drei Leute bedienten das abenteuerliche Gespann. „Ein Lokbediener, einen Bremser und der Rangierleiter. Die Firma hatte sogar einen Anschlussbahnleiter. Was für eine hochtrabende Bezeichnung“, sagte Riethig.

Im Stadtgebiet hat Oswald Greiner Spuren hinterlassen. Es gibt die Greinersiedlung an der Leipziger Straße. Und es gab es die Greinerbrücke über die Mulde. Die hatte der Firmenchef seinerzeit gebaut, damit seine Arbeiter nicht erst mit dem Fährkahn übersetzen mussten. Vor ein paar Jahren wurde die Brücke wegen Baufälligkeit abgerissen. Die ehemalige chemische Fabrik, einst Anlass für den Bau, verhinderte den Neubau. Wegen der vielen Altlasten im Untergrund wurde das Vorhaben wegen Überschreitung der Kosten abgeblasen.