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Der tollste Hecht aus Niesky

Effizienz und Auslastung haben auch früher schon eine große Rolle gespielt.

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© Archiv der DVB AG

Von Christoph Pohl

Niesky. Dieser Tage bangen Hunderte in der Oberlausitz, ob sie in Zukunft überhaupt noch Straßenbahnen in der Heimat bauen können. Seit den Hiobsbotschaften über den geplanten Stellenabbau bei Bombardier stehen die Zeichen eher auf Rückschritt denn Fortschritt. Vor 80 Jahren dürfte die Stimmung in den Oberlausitzer Werken deutlich besser gewesen sein. Insbesondere bei Christoph & Unmack in Niesky. Denn dort ist damals der wohl bis heute komfortabelste Straßenbahnwagen gebaut worden, indem die Dresdner je gesessen haben. Vorhänge an den Fenstern und Deckenleuchten an den Fensterholmen machen den sogenannten Kleinen Hechtwagen in jedem Fall zur vornehmsten Straßenbahn in der Geschichte der Dresdner Verkehrsbetriebe.

Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stehen Straßenbahnen aus Niesky für Fortschritt und Innovation. Sie sind einst in zahlreiche Städte geliefert worden. Die Erfolgsgeschichte beginnt vor gut einem Jahrhundert. In der damaligen Maschinenfabrik Christoph & Unmack starten die Nieskyer 1917 mit dem Bau von Schienenfahrzeugen. In Dresden trumpfen sie damit erstmals 1929 groß auf. Denn bis zum Kriegsausbruch wird in der Oberlausitz der sogenannte Große Hecht gebaut und anschließend an die Elbe geliefert. Diese Straßenbahn hat im Gegensatz zum kleinen und jüngeren zweiachsigen Bruder noch zwei weitere Achsen.

Beide Bahnen verdanken ihren Spitznamen ihrer charakteristischen Form. Dass Straßenbahnen mit Tiernamen charakterisiert werden, ist keine Seltenheit. So sind bei der Züricher Tram Fahrzeuge beispielsweise „Elefant“ oder „Karpfen“ getauft worden. Das klingt nicht nach Eleganz. Die Hechtwagen aus Niesky hingegen laufen an den Wagenenden spitz zu. Damit haben sie damals den Vorteil, dass sie länger sind als rechteckige Fahrzeuge und enge Kurvenradien trotzdem kein Problem darstellen. Doch die schnittige Form hat auch Nachteile. Die Wagen aus Niesky eignen sich nicht für den schaffnerlosen Betrieb. Der Fahrer kann nur die vordere Tür im Rückspiegel übersehen. Die Nieskyer Nobelbahnen sind daher Anfang der 1970er Jahre eher ausgemustert worden, als es technisch notwendig gewesen wäre.

Das erste Baumuster des vierachsigen Großen Hechts ist nach zweijährigem Test erstmals 1931 in Serie ausgeliefert worden. Christoph & Unmack ist am Entwurf und der Produktion maßgeblich beteiligt gewesen. Mit dem Großen Hechtwagen sind zahlreiche Neuerungen im Straßenbahnbau verwirklicht worden. Erstmals kann damals ein Fahrzeugführer seine Arbeit im Sitzen ausführen. Den unterflur angeordneten Zentralfahrschalter kann er mit Druckknöpfen und Pedalen fernbedienen. Die Bahn hat zudem erstmals umschaltbares Fern- und Abblendlicht, und im Innenraum gibt es keine Stufen und Unterteilungen mehr. Die Wagen haben sich in der Weimarer Republik so bewährt, dass sie von Personal und Fahrgästen sehr geschätzt worden sind.

Doch Effizienz und Auslastung haben auch damals schon eine große Rolle gespielt. Und auf weniger frequentierten Strecken ist der Große Hechtwagen schlicht überdimensioniert gewesen. Also entwickeln die Dresdner Verkehrsbetriebe unter Federführung des damaligen Direktors Alfred Bockemühl gemeinsam mit der Waggon- und Maschinenbau AG in Görlitz (Wumag) den Kleinen Hechtwagen. Dieser Prototyp rollt ab 1934 durch Dresden. Den Zuschlag für die erste Serienproduktion erhalten dann aber die Nieskyer.

Der Kleine Hechtwagen ist dabei mehr als nur eine kleine Kopie seines Vorgängers. Die Ingenieure haben ihn von Grund auf neu konstruiert und den Prototypen sogar als Einrichtungswagen ausgeführt. Er hätte also nur stur in eine Richtung fahren können. Bei den Serienfahrzeugen aus Niesky ist dies jedoch wieder verworfen worden. Dem Fahrer stehen zwei Kabinen zur Verfügung, und die Passagiere haben ihre lederbezogenen Stahlrohrsitze einfach in Fahrtrichtung umgeklappt. Die Dresdner sind im Kleinen Hechtwagen also immer vorwärts gefahren.

Niesky liefert 1936 eine erste Serie von 25 Wagen an die Elbe. Dort sind sie dann im Linienbetrieb sowohl als Solofahrzeuge als auch mit Beiwagen im Zugverband unterwegs gewesen. Die Kleinen Hechtwagen haben die Verkehrsbetriebe aber auch für Sonderaufgaben wie Stadtrundfahrten eingesetzt. Der zweite Schwung Kleiner Hechte kommt zwischen 1938 und 1939 aus Bautzen. Der Waggonbau dort liefert 22 Triebwagen nach Dresden. Die Fahrzeuge sind auch noch Jahre später die modernsten Fahrzeuge der Dresdner Straßenbahn. Sie besitzen zum Beispiel europaweit die erste Feinreglersteuerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zerstörung dauert es, ehe die Hechte wieder durch die Dresdner Straßen kreuzen. Doch bis 1954 können 27 der formschönen Fahrzeuge wieder aufgearbeitet werden.

Im Straßenbahnmuseum Dresden steht noch heute ein Kleiner Hechtwagen in betriebsfähigem Zustand. Für Sonderfahrten wird der zuweilen sogar eingesetzt. Denn der Wagen mit der Nummer 1820 hat es ab Ende der 1970er Jahre in Dresden als „Sandmännchenexpress“ zu lokaler Prominenz geschafft. Er verkehrt damals auf einer Sonderlinie für Mütter mit Kindern und Kinderwagen. 1976 hat er dafür eine neue Lackierung im Farbschema der 1960er Jahre erhalten. Mithilfe von Spenden und engagierten Vereinsmitgliedern des Straßenbahnmuseums kann das Fahrzeug 1998 wieder aufgearbeitet werden. Bereits in den 1980er Jahren ist der berühmte „Sandmännchenexpress“ nämlich eingeschlafen.

Dass der Kleine Hechtwagen sehr oft im Schatten seines großen und älteren Bruders gestanden hat, darf bedauert werden. Schließlich ist die Konstruktion ausgereifter gewesen, und das Ambiente dank der Deckenleuchten und Vorhänge bleibt bis heute etwas ganz Besonderes. Das hat man damals nicht nur in Dresden erkannt. Der Waggonbau Niesky liefert zwischen 1938 und 1944 insgesamt 18 Fahrzeuge des Kleinen Hechts nach Magdeburg. Dort sind die Bahnen teils noch bis 1973 in Betrieb gewesen. Und auch in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt hat sich ein noch immer fahrtüchtiges Exemplar von Christoph & Unmack aus Niesky seinen Platz im Museum redlich verdient.