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Der totale Filmriss

In Sachsen gibt es immer wieder Vergiftungen mit K.-o.-Tropfen. Dabei werden nur die wenigsten Fälle angezeigt. Das liegt auch an der Nachweisbarkeit der Tropfen.

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© dpa

Von Nina Schirmer

Plötzlich versagt der Körper den Dienst, die Beine sacken zusammen, Aufstehen geht nicht mehr, Sprechen auch nicht. Gesichter, Gespräche, Musik – alles verschwimmt. Am nächsten Morgen sind die Erinnerungen weg. Wie ein schwarzes Loch beschreiben Opfer von Vergiftungen mit K.-o.-Tropfen die Leere in ihrem Kopf.

Wie oft solche Angriffe vorkommen, bei denen die Opfer gezielt handlungsunfähig gemacht werden, weiß niemand genau. Denn schon nach wenigen Stunden lassen sich die K.-o.-Tropfen, die meist heimlich ins Getränk gemixt werden, nicht mehr im Körper nachweisen. 2015 wurden in Sachsen 32 Fälle angezeigt. In diesem Jahr waren es bisher zehn, teilt das Landeskriminilamt (LKA) auf Anfrage mit. Doch die wenigsten Fälle landen bei der Polizei. „Ganz sicher ist die tatsächliche Fallzahl weit höher als letztlich polizeilich registriert“, sagt LKA-Sprecherin Kathlen Zink. „Denn viele Opfer verzichten aus Scham oder Unsicherheit auf eine Anzeige.“

Das weiß man auch bei der Opferhilfe Sachsen. Der Verein berät Opfer und Zeugen von Straftaten. „Den Betroffenen wird von Strafverfolgungsbehörden und Angehörigen oft kaum geglaubt, da die Beweislage in der Regel schwierig ist“, sagt Geschäftsführer Andreas Edhofer. Schätzungsweise zwölf bis 14 Ratsuchende seien in den letzten eineinhalb Jahren in diesem Kontext in die Beratungsstellen gekommen. In der Regel hätten sie größere Gedächtnislücken – eine belastende Situation. „In ihrer Fantasie durchleben sie die verschiedensten Szenarien“, sagt Edhofer. „Nicht zu wissen, was die Wahrheit ist, kann sehr quälend sein.“

Häufig werden die Substanzen verabreicht, um die Opfer auszurauben oder zu vergewaltigen. Denn die Opfer sind praktisch willenlos und leicht manipulierbar. Die sächsische Polizei verzeichnete in den letzten 18 Monaten vier Raubdelikte und fünf Sexualstraftaten in Zusammenhang mit K.-o.-Tropfen. In den meisten Fällen ermittelte die Polizei wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Gedächtnisverlust tritt aber nicht immer auf. Manche seiner Klienten hätten alles genau mitbekommen, sagt Edhofer von der Opferberatung. Durch die verabreichten Tropfen waren sie jedoch vollkommen bewegungsunfähig und konnten nicht fliehen.

Die Betroffenen waren laut LKA am häufigsten Frauen über 21 Jahre. Aber auch Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren wurden vergiftet. In einem Fall bekam ein Junge, der jünger als 14 Jahre war, die giftigen Substanzen verabreicht. Die meisten Angriffe gab es in den Städten Leipzig und Dresden. Mit Ausnahme von Görlitz und Zwickau kamen aber auch Anzeigen aus allen Landkreisen des Freistaates. Öffentlich bekannt geworden war ein Fall im Februar 2014. Damals soll ein Unbekannter giftige Substanzen in die Getränke von Besuchern der Dresdner Diskothek Musikpark gemischt haben. Die Gäste klagten über Übelkeit, einige verloren sogar das Bewusstsein. Sieben Menschen kamen ins Krankenhaus.

Die Täter kommen über das Internet leicht an die Substanzen. „K.-o.-Tropfen“ ist nur ein Sammelbegriff für verschiedene Mittel mit betäubender Wirkung. Gemeinsam haben die Tropfen, das sie in der Regel geschmackfrei und geruchlos sind. Die Polizei empfiehlt deshalb, Getränke nie unbeaufsichtigt zu lassen. Vorsicht sei auch geboten, wenn jemand Getränke ausgibt. Besteht der Verdacht, dass man K.-o.-Tropfen eingenommen hat, solle man sofort die Polizei rufen oder sich von einer Vertrauensperson dort hinbringen lassen. Wenn eine Vergewaltigung stattgefunden haben könnte, ist es wichtig, keine Beweismittel zu vernichten oder zu reinigen , etwa Bettlaken, Kleidung oder Wäsche. Die Opfer sollten sich sofort ärztlich untersuchen lassen, wenn möglich ohne sich vorher zu waschen. „Versuchen Sie, den Tathergang in Form eines Gedächtnisprotokolls schriftlich festzuhalten“, rät LKA-Sprecherin Zink. Das sei sehr wichtig für das spätere Verfahren.

Auch Lkw-Fahrer sollen auf Rastplätzen schon mit K.-o.-Tropfen betäubt worden sein, um ihre Ladung zu stehlen. In Sachsen wurden derartige Straftaten laut LKA jedoch noch nicht registriert.