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Der unbekannte Weltmeister

Oliver Hörauf aus dem kleinen Dörfchen Wetro gehört zur deutschen Auswahl in der paralympischen Sportart Goalball.

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© Christian Kluge

Von Christian Kluge

Wetro. Manchmal schon überraschend, wie sportliche Informationen den SZ-Lokalsport erreichen. Und vor allem, was da so rüberkommt, diesmal über Facebook. So wie kürzlich: „Hallo, hier ist der Oliver Hörauf und ich bin in einer paralympischen Sportart namens Goalball erfolgreich. Wir haben bei der Europameisterschaft in Finnland Silber geholt. Und ich wollte mal fragen, ob es denn möglich wäre, einen Bericht anzufertigen, damit meine Heimatstadt Bautzen mal darüber Bescheid weiß.“

Oliver Hörauf? Goalball? Erfolge bei den Paralympics? Nie gehört bis letzten Monat. Und überhaupt nicht im Landkreis Bautzen. Ist aber auch kein Wunder. Der 21-Jährige aus Wetro ist stark sehbehindert. Zehn Prozent restliches Sehvermögen ist ihm aufgrund mehrerer Augenkrankheiten nur geblieben. Seit der vierten Klasse ist er in Chemnitz zu einer Spezialschule gegangen. Hat dort im Internat gewohnt, seinen Realschulabschluss und anschließend in diesem Jahr sein Fachabitur mit Schwerpunkt Sozialwesen gemacht.

Ausbildung und Nationalteam



„Jetzt mache ich in Grüna bei Chemnitz eine Ausbildung zum Ergotherapeuten“, erzählt der 1,96 Meter große junge Mann, als er an einem Freitagabend auf Heimaturlaub ist und entspannt am heimischen Küchentisch in Wetro sitzt, während in der gemütlichen Stube das Holz im Kamin knistert. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. Aufgrund seiner Sehschwäche kann Hörauf in der weiterführenden Schule seine schriftlichen Aufgaben nun am Laptop erledigen. Das „blinde“ Zehn-Finger-System auf der Tastatur hat er schon längst an der Chemnitzer Schule gelernt. Kein Problem also.

„Ich warte ab, was mir die Praktika so aufzeigen. Da gibt es viele Möglichkeiten. Eventuell die Geriatrie oder auch die Arbeit als Feelgood-Manager.“ Also die Altersheilkunde oder der fürs Wohlergehen der Mitarbeiter verantwortliche Mensch in einer Firma. Wieder was Neues gelernt. Vor ein paar Jahrzehnten war der Feelgood-Manager eigentlich derjenige, der die Umschläge mit dem Bargeld für den Wochen- oder Monatslohn überreicht hat. Aber das ist ziemlich lange her. Und lange vor der Zeit von Oliver Hörauf. Der konzentriert sich neben seiner schulischen Ausbildung zum Ergotherapeuten auch sehr intensiv auf seinen Lieblingssport: Goalball. Womit wir beim Eingangsthema wären. Denn was ist das eigentlich?

Goalball seit 1976 bei Paralympics



Kurzer geschichtlicher Rückblick: Seit 1976 ist das eine paralympische Mannschaftssportart für Menschen mit einer Sehbehinderung. Umgangssprachlich wird Goalball auch mal Blindenhandball genannt – trifft es aber nicht. Auch Menschen mit Sehschwäche können mitspielen. Theoretisch auch welche ohne Sehprobleme. Denn beim Spiel selbst tragen alle Teilnehmer – ein Team besteht aus drei Aktiven – absolut dichte und abgeklebte dunkle Brillen. Es geht also nur darum, den Ball zu hören. Das geht, weil das 1,25 Kilogramm schwere Spielgerät im Inneren über Klingeln verfügt. Es muss bei jedem Angriff mindestens dreimal auf den Boden aufkommen. Und wenn es gut läuft, dann landet der Ball im gegnerischen Tor.

Oliver Hörauf ist auf diesem Gebiet Spezialist. Bei der Premiere der European Para Youth Games 2017 im italienischen Genua holte er nicht nur die Trophäe für den besten Torjäger, sondern auch noch die Goldmedaille mit dem deutschen U 21-Team. „Am liebsten spiele ich auf der rechten Seite. Das ist meine Wohlfühlzone“, erzählt der junge Mann, dessen Angriffe gefürchtet sind. Denn natürlich steht auch Krafttraining auf dem Programm beim BFV Ascota Chemnitz, der 2016 und 2017 mit Oliver Hörauf die Bundesliga gewann.

„Die Bälle können schon bis zu 80 Stundenkilometer erreichen“, lächelt Hörauf verschmitzt. Da bleibt den Gegnern auf dem nur 18 Meter langen Feld und den immerhin neun Meter breiten Toren nicht viel Zeit, um das Spielobjekt zu entschärfen. „Weniger als eine Sekunde“, schätzt der Torjäger, der auch in Marburg mit der Nationalmannschaft bei Bundestrainer Johannes Günther trainiert. Der erklärt weitere Feinheiten von Goalball: „Ziel ist es, den Ball nicht ins Tor zu lassen und innerhalb von zehn Sekunden einen eigenen Angriff aufzubauen. Dadurch ist Goalball eine sehr dynamische Sportart.“

Spieldauer ist übrigens zweimal zwölf Minuten. Aber bei zehn Toren Vorsprung für ein Team ist vorzeitig Feierabend. Dann gilt die „Mercy-Regel“ – also die Gnade für die klar unterlegene Mannschaft. Übrigens haben es die erfolgreichen Goalballer vom BFV Ascota Chemnitz sogar bis auf die Vorschlagsliste zur besten sächsischen Mannschaft des Jahres 2017 geschafft. Hier steht das Wahlergebnis allerdings noch aus. Auf der heimischen Ascota-Homepage wird inzwischen bereits fleißig für die Stimmabgabe geworben.

Doch zurück zu Nationalspieler Oliver Hörauf, der schon mit neun Jahren seine Heimat in Wetro verlassen musste, weil er einfach an einer Spezialschule für Sehbehinderte besser zurechtkam mit dem Lehrplan. Seine Mutter Manina denkt nicht übermäßig gern an diese Zeit vor über zehn Jahren. „Es war für uns total gruselig, als er nach Chemnitz ging“, erinnert sich die 47-Jährige, die sich mit ihrem gleichaltrigen Ehemann Karl-Heinz im heimischen Wetro total wohlfühlt.

Immerhin ist ihr älterer Sohn Manuel in der Region geblieben. Der 27-Jährige ist gesund, hat keine Probleme mit den Augen und ist als Berufskraftfahrer viel in ganz Deutschland unterwegs. „Immer, wenn er mal ein bisschen Freizeit hat, fährt Oliver mit seinem Bruder mit“, sagt Mutter Manina. „Sowas hätte er bestimmt auch gerne beruflich gemacht, wenn die Augenprobleme nicht wären.“

Vom Schwimmen zum Goalball



Manuels jüngerer Bruder Oliver kam aufgrund seiner Sehbehinderung in der Grundschule Neschwitz einfach nicht mehr richtig mit. Ein Grundproblem war dabei auch das Schreiben. „In Chemnitz, auf der Fortis-Schule, war der Lehrplan dann etwas anders“, erzählt der Goalball-Nationalspieler, der erst über den Umweg Schwimm-Wettkämpfe und nach einer mehrjährigen Sportpause zu seiner Lieblingssportart gefunden hat. Und wie das?

„Zum Schwimmen hatte ich einfach keine Lust mehr“, meint Oliver Hörauf trocken. „Auch wenn da ein paar Erfolge da waren.“ Die sportliche Wende kam, als Goalball-Bundestrainer Johannes Günther neue Nachwuchsspieler für die „World Youth Games“ suchte und sich auch an die Heimtrainer der Sehbehinderten-Schulen in Deutschland wandte. So auch an den Chemnitzer Jürgen Müller.

„Der kam auf mich zu und ich bin regelmäßig zum Training gegangen“, erinnert sich Oliver. „Dann gab es ein Sichtungstraining und 2013 kam die Einladung zu einem Jugend-Trainingslager mit dem Bundestrainer in Marburg.“ So begann auch seine Laufbahn beim BFV Ascota Chemnitz. Ebenfalls 2013 schaffte Hörauf den Sprung in die Jugend-Nationalmannschaft – und er wurde Bundesliga-Spieler bei seinem Chemnitzer Heimverein.

Doch auch international war der gebürtige Bautzener erfolgreich. 2015 wurde er mit dem deutschen Team Jugend-Weltmeister. Bei den Paralympics 2016 erreichte die sehr junge deutsche Mannschaft Platz sechs. „Da waren wir noch ein bisschen unerfahren“, sagt Hörauf, der dann ein Jahr später mit dem deutschen Männerteam als EM-Zweiter richtig zuschlug. Und darauf ist Oliver Hörauf besonders stolz: „Das war die erste Medaille im Goalball für die deutschen Männer seit zehn Jahren.“

Und was meint seine Mutter Manina zu der ganzen Entwicklung ihres Sohnes in den letzten Jahren? „Fakt ist, dass Goalball im Ausland mehr angesehen ist als hier in Deutschland“, sagt die 47-Jährige. „Wir kannten diese Sportart früher auch nicht. Aber inzwischen sind wir oft zu Spielen nach Chemnitz gefahren. Die Stimmung ist toll und es ist auch sehr spannend.“ Bleibt noch ein Blick auf die Ziele von Oliver Hörauf im kommenden Jahr. Er hat sich mit der deutschen Männermannschaft durch die Top-Resultate 2017 bereits für die Höhepunkte 2018 qualifiziert.

„Und für die World Games 2019 auch schon“, strahlt der junge Mann, der die Konkurrenz nächstes Jahr am liebsten schwer überraschen würde. „Da haben wir starke Gegner wie Litauen, Brasilien oder China. Es gibt viele Nationen, in denen Goalball intensiv betrieben wird. Aber wir werden gegenhalten.“ Dafür trainiert der junge Sportler mehrmals die Woche. Nicht nur zu den festen Terminen, sondern auch, wenn die Halle einfach mal frei ist.

Da heißt es also abzuwarten, was der Wetrower und sein Team im nächsten Jahr auf die Reihe bekommen. Aber eins steht fest: Goalball ist eine sehr anspruchsvolle Sportart – und es steht jedem normal Sehenden frei, sich da mal zu versuchen. Denn schließlich werden die Augen komplett mit einer schwarzen Brille zugeklebt. Gleichberechtigung mit Sehbehinderten oder Blinden ist also gegeben.

www.bfv-ascota.de www.goalball.dewww.sport-fuer-sachsen.de