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Die Angst der Heidschnucken

Wölfe haben an der Königsbrücker Heide über 50 Schafe gerissen. Der Zaun war höher als gefordert.

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© Brühl

Von Nicole Preuß

Königsbrücker Heide. Die Bilanz dieses Wolfsangriffs ist verheerend: Mindestens 50 tote Schafe, mehrere tote Ziegen und die Zahl könnte noch weiter wachsen. Denn zehn Schafe werden noch vermisst. Wölfe haben in der Nacht zum Montag eine geschützte Herde am Rand der Königsbrücker Heide überfallen und so viele Tiere auf einmal gerissen wie noch nie seit der Wiederansiedlung.

Die Schafe und Ziegen standen in einem umzäunten Gehege in der Nähe der Bundesstraße zwischen Schwepnitz und Schmorkau. Der Reichenbacher Schäfer und Landwirt Andreas Habendorf lässt die Heidschnucken in wechselnden Gebieten schon seit Jahren am Rand der Königsbrücker Heide weiden. Ein Elektrozaun, der sogar etwas höher als empfohlen ist, schützt die Herde. Wölfe trauen sich dort eigentlich nicht heran. Es wurden zwar schon Wolfsspuren in der Nähe solcher eingezäunten Weiden gefunden. Doch in den vergangenen Jahren fanden die Raubtiere kein Schlupfloch. Bis jetzt.

Schäfer rüsten auf

Die Wölfe kamen wahrscheinlich über einen eingedrückten Zaun ins Gehege. Die Heidschnucken flüchteten panisch und durchbrachen den Gitterzaun offenbar an zwei weiteren Stellen. Mitarbeiter der Naturschutzgebietsverwaltung entdeckten das Dilemma am Montagmorgen bei ihrem Kontrollgang. Im Umkreis des 2,5 Hektar großen Geheges fanden die Mitarbeiter viele Tiere, die durch einen wolfstypischen Kehlbiss getötet worden waren. Einige Schafe konnten eingefangen werden. Etwa 25 befanden sich noch im Gatter. „Denen ist nichts passiert“, sagt Cornelia Schlegel von der Naturschutzgebietsverwaltung Königsbrücker Heide.

Die Experten stehen vor einem Rätsel. Denn eigentlich verhielt sich das Wolfsrudel in dem Naturschutzgebiet bisher unauffällig. 2011 siedelte sich ein Wolfspaar in der Königsbrücker Heide an. Die Fähe kam aus dem Seenland und wird Silberblick genannt. Der Rüde stammt aus Polen, ist ungewöhnlich groß und bekam in Königsbrück den Namen Klitschko. Nur in der Anfangszeit wurden einzelne Schafe in der Gegend um Tauscha und Lüttichau gerissen. Fachleute gehen davon aus, dass Wölfe so lange Nutztiere erbeuten werden bis sie ein festes Revier gefunden haben und die Schäfer aufgerüstet haben.

Andreas Habendorf hat das getan. Der Schäfer pflegt mit seinen Heidschnucken die karge Ginsterheide und die Grasflächen am Rand der Heide. Dafür schloss er mit der Naturschutzgebietsverwaltung einen Vertrag. Als der Wolf ins Gebiet einwanderte, rüstete der Schäfer auf und schaffte sich einen 1,08 Meter hohen Elektrozaun an, der die Wölfe abwehren sollte. „Die ganze Zeit hatte ich keine Probleme mit dem Wolf“, sagt er. Am Freitag baute er die Koppel erst neu zwischen Schwepnitz und Schmorkau auf. 130 Schafe und Ziegen ließ der Reichenbacher dort weiden.

Es gibt eine Vielzahl von Erklärungsversuchen für den Wolfsangriff. Vielleicht haben Wildschweine den Zaun umgetreten und die Wölfe die Chance genutzt. „In der Vergangenheit war der Zaun auch schon mal umgeknickt, wenn zum Beispiel ein Ast drauf gefallen war. Jetzt waren die Wölfe zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Schäfer Andreas Habendorf.

„Sie kommen wieder“

Möglich ist auch, dass der Sturm am Wochenende den Zaun umgelegt hat. Vielleicht waren aber auch die jungen Wölfe alleine auf der Jagd. Klitschko und Silberblick befinden sich gerade in der Paarungszeit. Und die meisten ihrer Welpen und ein paar ältere Jungwölfe müssen sich spätestens jetzt ihr eigenes Revier suchen. Vielleicht war es ein anderes Rudel, das die Schafe überfallen hat. Auszuschließen ist natürlich auch nicht, dass Klitschko und Silberblick am Werk waren.

Klar ist nur: Wölfe haben die Tiere getötet. Das hat auch der Rissbegutachter des Landratsamtes zweifelsfrei festgestellt. Die Naturschutzgebietsverwaltung Königsbrücker Heide will aber auch darüber hinaus Klarheit und möchte Proben der toten Schafe genetisch untersuchen lassen. So könnte geklärt werden, ob wirklich das Rudel der Königsbrücker Heide die Tiere überfallen hat. Dann will man weiter überlegen, was zu tun ist. Eine Möglichkeit wäre, den Nutztieren einen Hütehund zur Seite zu stellen.

Der Schäfer hat die verbliebenen Schafe und Ziegen aber erst einmal von der Koppel nach Hause in den Stall geholt. „Die Tiere sind verängstigt und nicht mehr so zutraulich wie früher“, sagt Habendorf. Dazu kommt, dass die Gefahr für die Schafe nun noch größer wäre. „Wenn Wölfe einmal Erfolg an einer Stelle hatten, kommen sie wieder“, sagt Cornelia Schlegel.

Die Mitarbeiter der Naturschutzgebietsverwaltung sind zurzeit damit beschäftigt, die vermissten Tiere zu suchen. Einige wurden bereits wieder eingefangen, andere tot entdeckt. Zehn Tiere haben die Wölfe ausgefressen und nicht nur totgebissen. Zuletzt hatte das Rosenthaler Rudel um die Wölfin Marie Probleme gemacht. Es tötete in mehreren Attacken mindestens 28 Schafe. So einen Schlag wie in Königsbrück wurde aber in den vergangenen Jahren nicht bekannt. Im vergangenen Jahr haben Tierhalter in ganz Sachsen insgesamt 56 Übergriffe von Wölfen auf Schafe gemeldet. Dabei wurden 140 Tiere getötet.