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Die Angst läuft mit

Fußgänger leben an der Sebnitzer Straße in Bad Schandau gefährlich. Nun geht noch das Licht aus – zu teuer.

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© Norbert Millauer

Von Gunnar Klehm und Lara-Sophie Pohling

Bad Schandau. Das Brummen von hinten kommt immer näher, die Schritte von Rosemarie Richter werden schneller, ihr Griff am Lenker ihres Fahrrades wird fester. Erst hinter der Kurve ist sie in Sicherheit. Zum Glück ist das Gras heute nicht nass und rutschig. Dann rauscht der Laster doch schon früher an ihr vorbei als erwartet. Vom Windzug wird sie leicht durchgeschüttelt. Ähnlich ergeht es Gabriele Kipry, die hinter ihr läuft. Die Blätter der Straßenbäume wischen ihr durchs Gesicht. Mit dem Wetter haben sie heute Glück gehabt, als sie die Sebnitzer Straße wie immer auf ihrem Nachhauseweg passieren, aus der Stadt heraus die leicht ansteigende Straße zu den drei Wohnhäusern, die noch nach dem Ortsausgangsschild von Bad Schandau kommen.

Das wäre die Alternative für Fußgänger zur Sebnitzer Straße. Die Überquerung der Zauke auf diesem Steg ist im Dunkeln lebensgefährlich.
Das wäre die Alternative für Fußgänger zur Sebnitzer Straße. Die Überquerung der Zauke auf diesem Steg ist im Dunkeln lebensgefährlich. © Norbert Millauer

Als wäre die Situation für die beiden Frauen nicht schon schlimm genug, hat ihnen die Stadtverwaltung vor ein paar Tagen auch noch die Straßenbeleuchtung abgestellt. „Als sie die Masten abgebaut haben, konnte ich erst mal gar nicht reagieren, ich war wie versteinert“, sagt Gabriele Kipry. Sie ist eine der acht Bewohner, die schon immer in diesen drei Häusern am Stadtrand leben. Wut und Enttäuschung sind groß, seit ihnen das Licht abgedreht wurde. Damit wollen sie sich nicht abfinden.

Die Stadt Bad Schandau hat dafür eine einfache Erklärung: Ihr fehlt das Geld. Die maroden Holzmasten der Freileitung waren nicht mehr standsicher. Die Wartungsfirma hatte sich schon geweigert, Mitarbeiter hinaufzuschicken, um Lampen auszutauschen. Solange wie sie funktioniert, sollte die Straßenbeleuchtung erhalten bleiben. Doch damit ist nun Schluss. Die Masten wurden samt Fundament herausgerissen. Eine neue Straßenbeleuchtung kann sich die Stadt hier nicht leisten.

Mehr und schnellere Autos

Es geht um 28 000 Euro – für acht Bewohner, denn niemand anderes läuft hier an der viel befahrenen Straße entlang. Sicherlich kann die Stadt nicht jedes einzeln liegende Gehöft über Land mit Straßenbeleuchtung anbinden. An der Sebnitzer Straße liegt der Fall aber anders als etwa am Krüftelweg oder am Wolfsgraben, wo die Stadt auch schon aus Kostengründen die Straßenbeleuchtung ausgeknipst hat. „Dass die Straßenlaternen wegkommen, wurde im Stadtrat beschlossen und da auch deutlich gesagt“, erklärt Bürgermeister Thomas Kunack (WV Tourismus).

Betroffene selbst wurden nicht angesprochen. „Nichts. Wir haben das im Amtsblatt gelesen“, sagt Rosemarie Richter. Dann waren die Laternen auch schon weg.

Wer weiter draußen wohnt, fährt die meisten Wege mit dem Auto. Familie Richter hat aber keines. „Ich darf auch kein Auto fahren“, sagt Frau Richter. Sie ist auf den Fußweg angewiesen. Jahrzehntelang geht sie schon den Weg in die Stadt und wieder zurück zu Fuß. So schwierig wie jetzt war es aber noch nie.

Als in den Siebzigerjahren die Straßenbeleuchtung gebaut wurde, war das ihr Schulweg. „Als Kind musste ich dann unten an der letzten Laterne an der Tischlerei warten, bis mich mein Vater dort abgeholt hat“, erzählt die Mittvierzigerin. Als die Straße dann beleuchtet war, durfte sie alleine weiter hinaufgehen.

Inzwischen fahren aber wesentlich mehr Autos auf der Straße als noch zu DDR-Zeiten. Außerdem dürfen sie jetzt viel schneller – nämlich mit 100 km/h – durch die Kurve brausen. Das liegt daran, dass in den 1990er-Jahren das Ortseingangsschild versetzt wurde. Warum, kann in der Stadtverwaltung keiner mehr so richtig erklären. Das Schild stand oben am Kiefricht. In der gefährlichen Kurve, durch die Rosemarie Richter jeden Tag zur Arbeit und wieder zurück läuft, galt deshalb Tempo 50. Jetzt darf doppelt so schnell gefahren werden. „Auch mein 80-jähriger Vater nimmt für jede Besorgung diesen Weg. Ich habe Angst um ihn“, sagt Frau Richter.

Gefährlicher Schulweg

Noch bevor sie das mit den Straßenlaternen erfuhren, hatten sich die acht Bad Schandauer beim Landratsamt darum bemüht, das Ortseingangsschild wieder zurückzuversetzen. Das wurde im November 2015 mit zwei Begründungen abgelehnt, die Anwohner heute noch wütend macht. Zum einen wurde eine verdeckte Geschwindigkeitsmessung – eine Woche je Fahrtrichtung – angeführt. Die habe ergeben, dass die meisten Fahrzeuge erheblich langsamer als die erlaubten 100 km/h fuhren. Außerdem hieß es aus der Abteilung Straßenbau und Verkehr, dass die acht Bad Schandauer ja nicht die Straße nehmen müssten, sondern über den Bach zum Zaukenweg ausweichen könnten. „Da bricht man sich im Dunkeln erst recht die Knochen“, sagt Gabriele Kipry, während sie bei Tageslicht unsicher über den provisorischen Steg balanciert. Im Juni hatten starke Regenfälle die alte Brücke samt Widerlager weggerissen. Wann das wieder aufgebaut wird, ist ungewiss. Der Hang ist Privatbesitz. Ein öffentlicher Weg ist nicht ausgewiesen. Die Kommune dürfte gar kein Geld für die Instandhaltung ausgeben. Der unbeleuchtete, rutschige Hang ist noch gefährlicher als die Sebnitzer Straße.

Die Verkehrsbehörde versetzt das Ortsschild aber auch deshalb nicht, weil für ortseinwärts fahrende Autofahrer mit den drei Häusern im Wald der Charakter einer geschlossenen Ortschaft nicht erkennbar sei. Man sehe keinen Anlass zur Änderung.

Dabei hatten die Behörden die Straße für Fußgänger schon mal als gefährlich eingestuft. Frau Richter erhielt vor Jahren auf Antrag eine Sondergenehmigung, dass ihre schulpflichtige Tochter per Schultaxi zu Hause abgeholt werden konnte. „Der Schulweg wurde vom Amt als zu gefährlich eingeschätzt“, erzählt Frau Richter. Inzwischen wohnen in den drei Häusern keine Kinder mehr.

Für Familie Kipry hat der unsichere Fußweg noch andere Konsequenzen. Vermutlich müssen sie ihre jahrelang geführte Ferienwohnung aufgeben. Einige, die mit der Bahn anreisen wollten, hätten schon abgesagt, als Frau Kipry ihnen die gegenwärtige Lage schilderte. Da stößt der Familie besonders bitter auf, dass sie seit Kurzem höhere Steuern zahlen müssen. Auch das hat der Stadtrat beschlossen.