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Die Ausgangssperre zeigt erste Wirkung

Frankreich. In einigen Vorstädten wächst nun die Hoffnung auf ein Ende der Krawalle.

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Von Petra Klingbeil,Paris

Wir konnten zum ersten Mal seit Tagen die Nacht richtig durchschlafen“, sagt eine Bewohnerin von Grigny südlich von Paris. „Ich habe aufgeatmet. Vorher war die Lage angespannt, man hörte Schreie und Polizeisirenen.“ Zwar galt in dieser Gemeinde in der Nacht zum Mittwoch noch keine Ausgangssperre, doch der medienwirksame Auftritt von Premier Dominique de Villepin hat anscheinend viele gewaltbereite Jugendliche beeindruckt.

„Die haben das im Fernsehen gesehen und sind von selbst zu Hause geblieben, auch ohne Ausgangssperre“, sagte ein Sozialarbeiter. In Amiens, im Norden Frankreichs, wo bereits eine Ausgangssperre galt, „sah es am Abend aus wie in einer Geisterstadt“, berichtete gestern ein Radio-Korrespondent.

Die französische Presse schwankt in ihrer Einschätzung des Notstands zwischen „sinnvoller Maßnahme zur Beruhigung“ und „übertriebener Unterdrückung“. „Unter der Ausgangssperre brodelt die Wut weiter“, schrieb „Liberation“. Hart ins Gericht mit der Regierung ging „L'Humanité“. „Villepin verordnet die soziale Apartheid“ und „treibt ein Spiel mit der Angst“, titelte die kommunistische Zeitung.

Bei den Sozialisten gehen die Meinungen über das Notstandsgesetz auseinander. Für Fraktionschef Jean-Marc Ayrault gibt es in Frankreich „in erster Linie einen sozialen Notstand“. Und Ex-Kulturminister Jack Lang fand den Einsatz „dieses juristischen Mittels aus der Zeit der Kolonialkriege“ unpassend für Trabantenstädte, „wo die Kinder aus den früheren Kolonien“ leben.

Die Zusicherungen der Regierung zur Linderung der Misere, die Schulen, Wohnungen und Arbeitsplätze betreffen, haben in den Randvierteln Hoffnungen geweckt. „Wir haben etwas erreicht, die Regierung gibt uns jetzt Geld“, freute sich ein vermummter Jugendlicher aus Drancy im Großraum Paris.

Doch Soziologen und Sozialarbeiter kommen übereinstimmend zu einer pessimistischen Analyse. Die Probleme hätten sich über die Jahre verschlimmert. „Vor 20 Jahren lebten noch Franzosen mit Einwanderern zusammen in den Vorstädten“, sagte der Soziologe Stéphane Beaud. „Heute leben dort nur noch Einwanderer aus Nordafrika, Schwarzafrika und Nahost, und die Not ist größer geworden“.

Gewiss hat Villepin zur Geduld gemahnt, denn grundlegende Sozialmaßnahmen „brauchen Zeit“, doch was bei den Betroffenen ankommt, ist die große Frage. Die zugesagten 100 Millionen Euro für Vereinigungen der Stadtviertel hatte Villepins Vorgänger Jean-Pierre Raffarin kurz zuvor gestrichen. Die im Haushalt 2006 festgeschriebenen 223 Millionen Euro für Stadtentwicklung wurden im Vergleich zum laufenden Jahr um 18 Millionen Euro gekürzt, und das Schmuckstück der Regierung, der 30-Milliarden-Euro-Stadtsanierungsplan von Sozialminister Jean-Louis Borloo, gilt bereits seit 2003.

Es steht zu befürchten, dass die Politiker zur Tagesordnung zurückkehren, wenn die Welle der Gewalt abebbt. Schließlich gehören in den Einwanderervierteln brennende Autos zum Alltag. In jeder „normalen“ Nacht werden in Frankreich laut Polizeistatistik etwa 60 Autos in Brand gesteckt. (dpa)