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Die besondere Oase

Der Botanische Blindengarten in Radeberg ist in Europa einzigartig. Und hat jetzt allen Grund, zu feiern.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Dass er in kaum einem Reiseführer der Region um Dresden auftaucht, hat er nicht verdient. Denn eigentlich ist er durchaus eine botanische Sensation, der Botanische Blindengarten des Taubblindendienstes in Radeberg. Denn unter den insgesamt 141 botanischen Gärten im deutschsprachigen Raum ist er der einzige Blindengarten.

Die Idee dahinter ist dabei eine wunderbare: Seit 1993 betreut der Taubblindendienst des Diakonischen Werkes in der Villa „Storchennest“ an der Pillnitzer Straße im Radeberger Süden Menschen, die weder hören noch sehen können. Zur liebevoll sanierten Villa – die ihren Namen übrigens von ihrer einstigen Bestimmung her trägt, nämlich eine Geburtsklinik zu sein – gehört neben zahlreichen Projekten, wie dem betreuten Wohnen oder auch der neuen Tagesstätte „Spatzennest“ für die Arbeitstherapie der Betroffenen seit nunmehr 20 Jahren eben auch dieser mittlerweile über 20 000 Quadratmeter große Park. Rund 1 300 Pflanzenarten gedeihen hier, darunter etwa 700 Duftpflanzenarten. Und genau das ist das Besondere an diesem Garten: Ein Garten, der es taubblinden Menschen ermöglicht, Pflanzen zu riechen und zu berühren und den sie auch ohne fremde Hilfe besuchen können.

Einst ein regelrechter Urwald

Als der Taubblindendienst 1993 hier mit seiner Arbeit begonnen hatte, war dieser Park allerdings noch weitgehend Wildnis gewesen. „Ein regelrechter Urwald“, beschrieb Pastorin Ruth Zacharias jüngst auch bei ihrer Verabschiedung in den Ruhestand. Die Pastorin, die selbst blind ist, kümmerte sich schon zu DDR-Zeiten um die Taubblinden. 1963 hatte die Arbeit innerhalb des Christlichen Blindendienstes begonnen, kurz nach der Wende 1990 war dann der Taubblindendienst gegründet worden. Immer an vorderster Stelle: Ruth Zacharias, die hier in Radeberg mit unglaublichem Enthusiasmus und Durchhaltevermögen das erste Betreuungszentrum für Taubblinde im Osten Deutschlands aufgebaut hatte.

Das Gartenfest

Der Botanische Blindengarten am Storchennest an der Pillnitzer Straße in Radeberg feiert sein 20. Jubiläum mit einem zweitägigen Gartenfest.

Am 3. September: 11 Uhr Morgenlob, 14.30 Uhr kurzweiliges Interview zwischen dem Forscher Prof. Dr. Thomas Hummel und dem Neurologen Prof. Dr. Tobias Back zum Thema „Der Geruchssinn – das erste Sinnesorgan unseres Lebens“, 16 Uhr Genusspflanzen-Präsentation durch Gartentherapeutin Maria Putz aus Wien und Prof. Dr. Tobias Back, 19 Uhr Konzert für Akkordeon und Violine am Lagerfeuer.

4. September: 11 Uhr Festgottesdienst im Garten, 14 Uhr Festversammlung im Gewächshaus, kurze thematische Gartenführungen, Stände zu den Themen kreatives Gestalten, Arbeiten taubblinder Menschen, Riechen und Schmecken und „Heilpflanzen. Außerdem wird ein Jubiläumsbrot gebacken, das deutsche Wiesenkräuterbrot.

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Und schnell war damals die Idee gereift, aus dieser Wildnis einen Botanischen Blindengarten zu gestalten, der dann am 1. September 1996 eingeweiht wurde. Zunächst erstreckte er sich auf rund 5 600 Quadratmetern, mittlerweile sind nicht nur die Pflanzen, sondern wie erwähnt auch der Garten selbst gewachsen. Heute ist er vier Mal so groß. Rund anderthalb Kilometer Rundweg führen durch das blühende und duftende Idyll – auf den Hauptwegen mit einem Handlauf aus Edelstahl, auf Nebenwegen aus variierenden Belägen für ein unterschiedliches Gehgefühl. Auch 25 Hochbeete sind angelegt worden, die Pflanzen sind dabei mit Schildern in Blindenschrift ausgestattet. Auch einen Kamillenpfad gibt es hier. Und auch ein großes Dufthaus gehört zum Garten –  in diesem sind unter anderem die beliebten rot-weißen Kamelien untergebracht.

Kleinod am Rande der Stadt

Und auch, wenn der Garten in keinem Reiseführer auftaucht, gewürdigt wird das Projekt dennoch. In Radeberg sowieso. Und auch der Freistaat unterstützt die Projekte; jüngst die erwähnte Tagesstätte „Spatzenhof“ mit rund einer halben Million Euro Fördermittel. Außerdem zeichnete vor drei Jahren zum Beispiel die Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur Initiatorin Ruth Zacharias mit dem „Alma de l’Aigle-Preis“ aus. Der Preis ist nach der Hamburger Reformpädagogin, Rosenzüchterin und Autorin Alma de l’Aigle benannt – und es ist das Anliegen, Menschen zu ehren und zu unterstützen, die mit ihrem Engagement in Sachen Gartenkultur einen bleibenden Wert für die Gesellschaft schaffen, hieß es damals in der Laudatio. Außerdem gab es ein Preisgeld von 2 500 Euro.

Der Botanische Blindengarten Radeberg ist zudem Mitglied in der Internationalen Gesellschaft für Gartentherapie, einem europaweiten Netzwerk für gartentherapeutische Aktivitäten. Deren Ziel ist es vor allem, die Entwicklung internationaler Standards der Gartentherapie zu etablieren. Und aus Radeberg können sich dabei viele Projekte eine Menge abschauen, können auf den Erfahrungen aufbauen, die hier gemacht worden sind.

Das besondere Kleinod am Rande Radebergs feiert nun also sein 20. Jubiläum. Und rückt zumindest ein Wochenende lang – auch außerhalb Radebergs – ein wenig stärker in den Blickpunkt. Am 3. und 4. September stehen die Türen weit offen und das Fest unter dem Motto „Gartenoase erleben“. Auch Fachleute haben sich angesagt. Experten aus Forschung und Medizin, ebenso wie Fachleute aus dem Garten- und Therapiegartenbereich. Auf diese Weise sollen Besucher auch Einblicke in die Arbeit des Taubblindendienstes erhalten, heißt es in der Ankündigung.

Und wer weiß, vielleicht fassen sich ja die Herausgeber von Reiseführern dann doch mal ein Herz und nehmen diesen ganz besonderen Garten am Rande Radebergs mit auf in ihre Tipps für Touristen?