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„Die Bürger werden nicht mehr gefragt“

Neue Windparks bei Nossen sollen entstehen. Die Stadt und betroffene Bürger können oft nichts dagegen machen.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Sonne, Schatten, Sonne und wieder Schatten. Es ist ein ständiges Wechselspiel, was Jens Happich an schönen Tagen in seinem Garten erlebt. Die Ursache sind die Flügel von Windkraftanlagen (WKA) unweit seines Grundstücks im Nossener Ortsteil Wuhsen. „Es macht einen ganz wuschig, wenn man das stundenlang mitmachen muss“, sagt der Bewohner, der seit geraumer Zeit gegen neue WKA kämpft. Er ist strikt dagegen, dass diese in Wohngebieten gebaut werden – weiß aus eigener Erfahrung, wie die Lebensqualität dadurch gemindert wird.

„Bis jetzt stehen in Sichtweite nur fünf 100 Meter hohe Windräder. Sie sind Tag und Nacht zu hören. Je nachdem wie der Wind steht, kann das zu einer echten Belastung werden“, erzählt der Beamte, der als Sprengstoffentschärfer im Landeskriminalamt tätig ist. Dass in Wendischbora bei Nossen ein 200 Meter großes Windrad gebaut wird, habe er nicht verhindern können – genauso wenig wie die Stadtverwaltung. Die hatte zwar dagegen votiert, aber das Landratsamt für das Projekt gestimmt. „Weil dieser Bau geltendem Recht entspricht“, sagt Nossens Bürgermeister Uwe Anke (parteilos), um den Schwarzen Peter nicht dem Landkreis zuzuschieben.

Allerdings entstehen im Kreis Meißen vielerorts neue Anlagen. Schließlich können Kommunen von Windenergieanlagen profitieren: Über Leistungen aus städtebaulichen Verträgen, durch Pachteinnahmen bei eigenen Flächen bis hin zu Engagements der Projektentwickler in der Region.

Jens Happich interessiert das herzlich wenig. Er selbst sei für erneuerbare Energie, habe Solarzellen auf dem Dach seines Hauses. „Aber wie Landkreis und Freistaat beim Thema Windkraft vorgehen, ist schlicht und einfach eine Farce. Bürger werden hier überhaupt nicht mehr gefragt“, so Happich.

Er wünscht sich, dass die gesundheitsschädigenden Einwirkungen von WKA in der Politik zur Kenntnis genommen werden. Allerdings sind die Forschungsergebnisse in dieser Hinsicht gespalten.

Gefährdung noch nicht bewiesen

So kommt beispielsweise eine neuere Untersuchung des Massachusetts Institute of Technology aus dem Jahr 2014 zu dem Ergebnis, dass Infraschall zwar ab einem bestimmten Pegel zu Belastungen führen kann. Durch Windkraftanlagen werde ein solcher Pegel aber nicht erreicht.

Laut einem Gerichtsbeschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg ist eine beeinträchtigende Wirkung durch Infraschallimmissionen auf den Menschen bisher nicht wissenschaftlich belegt. Andere Untersuchungen von wissenschaftlich anerkannten Institutionen ziehen eine schwerwiegende Wirkung des Infraschalls durch WKA auf das menschliche Gehirn zumindest in Erwägung.

So oder so werde es nicht nur in Nossen weiterhin Anfragen für neue Anlagen geben, sagt Bürgermeister Anke. Für ihn sei hinsichtlich zukünftiger Beschlüsse die 10 H-Abstandsregelung (Abstand = Höhe der Anlage mal zehn) ein Ansatzpunkt, nach dem entschieden werden müsse.

Dazu passt, dass die Stadträte drei neue, 200 Meter hohe Windkraftanlagen am Nossener Zellwald jüngst verhindert haben. Zu groß waren die Bedenken, dass sich die Geräuschkulisse und immer wiederkehrende Schlagschatten bis ins nahe gelegene Wohngebiet Augustusberg auswirken könnten. Zumal hier gerade der letzte Teil eines Neubaugebietes entsteht.

Dass das Vorhaben der Dresdner Firma WSB Neue Energien Holding überhaupt gestoppt werden konnte, hat daran gelegen, dass die Stadt als Eigentümer der Fläche einer Verpachtung nicht zugestimmt hatte – auch wenn dadurch Pachteinnahmen von etwa 100 000 Euro im Jahr verloren gegangen sind.

„Dort, wo wir nicht Eigentümer sind, haben wir kaum Einflussmöglichkeiten“, sagt Nossens Stadtoberhaupt. Er glaubt persönlich nicht, dass durch den Beschluss in Zukunft weniger Anfragen von Betreibern für Windenergie auf seinem Schreibtisch landen. „Schließlich erreichen die Firmen durch neue, effiziente und zum Teil auch höhere Anlagen oftmals eine vielfache Leistung im Vergleich zu älteren“, so Anke. Wenn die Stadt nicht eingreifen kann, kommt es häufig zum vom Bund großzügig subventionierten Neubau – und das oftmals in Abständen, die der im Normalfall angewandten 10 H-Regel nicht entsprechen. So wie in Nossen-Wuhsen.

Die Windkraft-Anbieter der WSB Holding bedauern indes die Entscheidung der Stadt. „Angesichts der derzeit noch knappen Flächenverfügbarkeit für Windenergieerzeugung in Sachsen kämpfen wir um jeden Standort“, sagt Kerstin Mann, Mitglied in der Geschäftsleitung. Sie könne die Bedenken der Nossener zwar verstehen, macht aber deutlich: „Bei der Errichtung der modernen Anlagen sinkt die Immission sogar. Denn nach aktueller Rechtslage müssen Anlagen mindestens 750 Meter vom Siedlungskern entfernt sein.“

Zusätzlich sorgten technische Modernisierungen dafür, dass weitere Beeinträchtigungen, etwa durch Schattenmodule, minimiert würden. Insgesamt, so Mann, gebe es an anderen Standorten in Sachsen keinen Widerstand gegen Windkraftanlagen. Die Akzeptanz sei andernorts sehr groß. In Nossen dürfte man diese Aussage aber wohl eher als Auszeichnung denn als Makel zur Kenntnis nehmen.