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Die DDR war etwas, auf das ich gern verzichtete

Der Herbst 1989 läutete auch das Ende der DDR-Opposition ein. Die hatte aber großen Anteil daran, dass die Ereignisse damals Gestalt gewannen.

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Von Arnold Vaatz

Mit „Opposition der DDR“ meine ich jene, die das damals verordnete Leben verachteten und sich unter Inkaufnahme von persönlichen Nachteilen dagegen auflehnten: Weil es ein Leben unter Aufsicht war, das zu permanenter Lüge zwang, und weil man ihm nicht entfliehen konnte – oder genauer: Wollte man entfliehen, entweder in den möglichen Tod rennen oder einen speziellen Antrag stellen musste – womit man Freunde und Bekannte einer Sippenhaft unterwarf und sie nach geglückter Ausreise möglicherweise nie wiedersah.

Das Ende der DDR-Opposition läutete der Herbst 1989 ein. Gewiss hatte die Opposition großen Anteil daran, dass die Ereignisse damals Gestalt gewannen. Aber die Masse der Herbstdemonstranten war kaum von den Grübeleien der DDR-Oppositionsgruppen inspiriert. Die stetig anschwellende Fluchtbewegung rüttelte die DDR-Öffentlichkeit aus dem Schlaf. Sie warf die Frage nach der Zukunft der DDR auf. Schon seit Jahren hatte ein Blick in den Westen während der möglich gewordenen Verwandtenbesuche vielen ohne alle Worte den wirtschaftlichen Bankrott der DDR gezeigt. Unter den linientreuen Führungseliten der DDR grassierte die Resignation. Als Gorbatschow noch obendrein sagte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – so wollte man das nicht anders verstehen als: Diesmal bleiben die russischen Panzer in den Kasernen.

Da ich nur für mich sprechen kann, werde ich sagen, wofür ich war. Hierzu ein kurzer Einschub. Am 30.10.1976 (also auf den Monat genau vor 32 Jahren) hatten Matthias Richter, Albrecht Heß und ich eine Dichterlesung organisiert. Wir hatten Reiner Kunze eingeladen in den Turm der Dresdner Dreikönigskirche. Es wurde, wenn ich mich recht erinnere, seine letzte halböffentliche Lesung in der DDR. Die Verantwortung dafür hatte Pfarrer Köhl übernommen.

Danach, auf dem Weg nach draußen, sagte Kunze drei Sätze, die zu meiner eigenen Überzeugung wurden. Es sind die folgenden: Nur durch das Leben unter Aufsicht funktioniert das Prinzip der Selbsteinsperrung. Nur durch das Prinzip der Selbsteinsperrung ist die DDR existenzfähig. Beseitigte man das Prinzip der Aufsicht aber, so wird es umgehend durch die Rote Armee wieder eingerichtet. Die Hoffnung des Herbstes 1989 war aber ja, wie schon gesagt, die Rote Armee könne in den Kasernen bleiben. Also ergaben die Kunzeschen Sätze das Ende der DDR.

Ich selbst sah die DDR als etwas Aufgezwungenes und Widernatürliches, auf das ich gern verzichtete. Diese Auffassung teilte die Mehrheit der Ostdeutschen. Und ich glaube: Manche, die diese Meinung heute verdammen, wären die ersten Flüchtlinge in den Westen, wenn morgen ernsthaft die Wiederkehr der DDR drohte.

Als ich hörte, wie Oskar Lafontaine im Dezember 1989 forderte, ostdeutschen Rentnern, die in den Westen übersiedeln, keine Rente zu zahlen, weil sie nicht in die westdeutschen Rentenkassen eingezahlt haben, war dies nur noch ein I-Tüpfelchen: Große Teile der SPD – ich nehme ausdrücklich Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Klaus von Dohnany, Henning Voscherau, Hans Apel und wohl auch Helmut Schmidt davon aus – betrachteten die kommende deutsche Wiedervereinigung ebenso wie die Masse der Grünen offenbar als eine der größten Niederlagen ihres politischen Lebens. So war meine Orientierung in der heterogenen Gesellschaft im Prinzip geklärt.

Als aber Helmut Kohl die Ost-CDU in die Allianz für Deutschland aufnahm, war dies für mich ein Schock. Es hieß nämlich, dass ich, wollte ich in der CDU tätig sein, nun in die Ost-CDU eintreten müsse. Vor dieser Partei hatte ich mich zu DDR-Zeiten stets nicht weniger in Acht genommen als vor der SED.

Es brauchte einige Jahre, bis ich erkannte, wie teuer besonders ältere Mitglieder dieser Partei ihr Aufbegehren gegen die Gleichschaltung in den 40-er und 50-er Jahren bezahlt hatten und wie stolz sie waren, diesen Buchstaben C in der Zeit der wissenschaftlichen Weltanschauung über die DDR gerettet zu haben.

Als Beispiel möchte ich den ersten Alterspräsidenten des Sächsischen Landtages, den heute 83-jährigen Heinz Böttrich nennen. Wer heute SED und CDU-Ost gleichsetzt, dem ist zu entgegnen, dass nicht die CDU die SED gleichgeschaltet hat, sondern umgekehrt. Und wer an der Existenz der CDU als Blockpartei Anstoß nimmt, dem ist zu entgegnen, dass die Ost-SPD einst sogar ein Teil der SED wurde.

Und wer sagt, dass dies unter Zwang geschehen sei, dem ist zu entgegnen, dass dies Landesparteitage der SPD – der sächsische fand in Freital statt - in geheimer Wahl mit erdrückenden Mehrheiten beschlossen haben.

In das, was ich nun sage, binde ich meine Dresdner Freunde mit ein: Erich Iltgen, Herbert Wagner, Frank Neubert, Andreas Lämmel, Dieter Reinfried, Helmut Münch, Hans Geisler, Matthias Rößler, Horst Rasch, Hermann Henke und Steffen Heitmann – stellvertretend für viele andere.

Wir kamen alle aus der Bürgerbewegung und traten zu verschiedenen Zeiten in die CDU ein. Zuerst drängten wir darauf, dass sich unsere neue Partei von jenem Personal trennte, das in der CDU die Kaderpolitik der SED durchgesetzt und die systematische Zerstörung und Gleichschaltung dieser Partei vorangetrieben hatte. Diese oft erbitterte Auseinandersetzung währte etwa ein bis zwei Jahre, war aber in Sachsen im Wesentlichen erfolgreich. Es ging uns nun um den Erfolg für Sachsen. Die Regierung de Maiziere setzte bei der Länderbildung auf die alten Apparate der Räte der Bezirke. Genau dies wollten wir nicht.

Das letzte Relikt der vordemokratischen Übergangszeit, der Runde Tisch des Bezirkes Dresden, setzte einen Koordinierungsausschuss ein, den ich als stellvertretender Regierungsbeauftragter leiten durfte. Dieser bereitete die Bildung des Landes Sachsen vor. In einem oft grotesken Wettlauf mit dem Rat des Bezirkes entwarfen wir rudimentäre Ministerialstrukturen und Geschäftsverteilungspläne, sicherten die Ministerialgebäude und starteten die Stellenausschreibungen. Das Bundesinnenministerium billigte unser Vorgehen und schlug den anderen ostdeutschen Ländern vor, ebenso zu verfahren, was im Wesentlichen geschah.

Natürlich war die Umstellung auf das Leben im wiedervereinigten Deutschland für alle sehr hart. Es änderte sich alles, und viele Menschen verloren ihre Arbeit und ihre gewohnte Umgebung. Aber in allen ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten hatten und haben es die Menschen ungleich schwerer als wir. Das wird systematisch ausgeblendet. Dass ein Systembankrott dieses Ausmaßes ohne Hilfe aus dem Westen und der EU auch in hunderttausendfachem Hunger, Elend und Tod hätte enden können, wird nicht erwogen. Dafür, dass sich allein die durchschnittliche Lebenserwartung um vier bis fünf Jahre erhöht hat, gibt es kein Wort der Anerkennung. Ich bedaure das. Wer die Lektionen der Geschichte nicht lernen will, wird sie eines Tages wiederholen müssen. So oft, bis er sie begriffen hat.