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Die Glücklichen vom Kirchfeld

Mitten im Ersten Weltkrieg gründeten Gartenfreunde in Dipps eine Laubenkolonie. Ein Besuch zum 100. Geburtstag.

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© Egbert Kamprath

Von Jörg Stock

Dippoldiswalde. Weinlese bei Strienes. Sie findet nicht draußen statt, sondern drinnen, in der Laube. Der armdicke Weinstock an der Tür, gepflanzt 1968, hat einige Ranken in das Häuschen hinein geschoben und unter der Decke ausgebreitet. Die Trauben baumeln über der Sitzecke und überm Herd, aus dem Monika Striene eben einen Pflaumenkuchen zieht. Lothar greift zur Schere, knipst einen Packen Beeren ab. Süß schmecken sie. Garantiert ohne Chemie. Gesunde Kost ist den Strienes wichtig. Viele Krankheiten haben ja mit der Ernährung zu tun, sagt Lothar. „Der kürzeste Weg zur Gesundheit ist der Weg in den Garten.“

Gartengemeinschaft Kirchfeld

Die zwölfjährige Daniela Lerche freut sich auf die Tomatenernte.
Die zwölfjährige Daniela Lerche freut sich auf die Tomatenernte.
Der Garten – ein kleines Stück Himmel auf Erden. Diese Ansage, zu lesen an einem Gartenzaun im Kirchfeld, würden wohl alle Pächter unterschreiben.
Der Garten – ein kleines Stück Himmel auf Erden. Diese Ansage, zu lesen an einem Gartenzaun im Kirchfeld, würden wohl alle Pächter unterschreiben.
Dieser Späher steht ebenfalls in der Dippser „Gartengemeinschaft Kirchfeld“. Der Verein wurde 1916 mit sieben Mitgliedern gegründet. Aus den ehemals 13 Parzellen sind inzwischen 46 geworden. Leerstand gibt es praktisch nicht.
Dieser Späher steht ebenfalls in der Dippser „Gartengemeinschaft Kirchfeld“. Der Verein wurde 1916 mit sieben Mitgliedern gegründet. Aus den ehemals 13 Parzellen sind inzwischen 46 geworden. Leerstand gibt es praktisch nicht.
„Jeder Tag im Garten ist wie ein Tag im Urlaub.“ Elke und Enrico Gebert stehen in der Blütenpracht ihres Kleingartens in der Dippser „Gartengemeinschaft Kirchfeld“.
„Jeder Tag im Garten ist wie ein Tag im Urlaub.“ Elke und Enrico Gebert stehen in der Blütenpracht ihres Kleingartens in der Dippser „Gartengemeinschaft Kirchfeld“.

Die Welt der Kleingärtner im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge scheint in Ordnung. Mehr als 320 organisierte Vereine mit über 12 500 Parzellen gibt es. Die Zahlen sind weitgehend stabil, sagen die Verbände. Ein Leerstand von ein bis zwei Prozent sei normal und meist auf Pächterwechsel zurückzuführen, sagt Susanne Russig vom Territorialverband der Gartenfreunde in Pirna. Auch Rudolf Gelfert, Chef des Kleingartenbunds in Freital, hält die Zukunft der Sparten für gesichert. Allerdings sein noch nicht in allen Anlagen der Generationswechsel vollzogen. „Der Altbestand ist in vielen Vereinen noch da.“

Ein Maler und sein grünes Kleinod

Monika und Lothar Striene sind Gartenfreunde vom alten Schlage. Sie, viele Jahre Handelskauffrau beim Konsum, ist jetzt 74, er, einst Ingenieurschuldozent, beinahe 80. Älter als Lothar sind nur zwei seiner Gartenfreunde – und die Anlage selbst, die Gartengemeinschaft „Kirchfeld“ Dippoldiswalde. Dieses Wochenende wird ihr hundertster Geburtstag gefeiert.

Die Strienes bewirtschaften ihren Garten seit 1968. Damals waren alle Kleingärten Nutzgärten, sagt Lothar. Bei ihm ist das noch heute so. Von wegen Swimmingpool und Wiese. „Das wird man bei mir nicht finden.“ Er nutzt den freien Platz lieber zum Kartoffelanbau. Die neue Ernte liegt gerade auf dem Gartenweg. Die Anzahl stimmt, sagt Lothar, aber die Größe nicht. An die Ausbeute des Vorjahres, etwa hundert Kilo, kommt er diesmal nicht heran.

Lothar ist in der Landwirtschaft groß geworden und legt Wert darauf, dass der Garten seinen Beitrag leistet zur Nahrungsmittelversorgung der Familie. Drei Eimer Kirschen haben die Strienes schon geerntet, über hundert Gurken, vier Eimer Stangenbohnen. Gerade sitzt Monika Striene mit dem Zollstock am Tisch und vermisst ihr längstes Bohnen-Exemplar. 28 Zentimeter. So eine lange hatte sie noch nie, sagt Monika. „Das ist ein kleines Wunder.“

Die Strienes denken noch längst nicht ans Aufhören. „Der Garten ist aktive Erholung, das gefällt uns“, sagt Monika. Genau so geht es Uwe Lerche einige Zaunfelder weiter. Er ist 46 Jahre alt und gibt gern zu, kein Gartenprofi zu sein. „Ich mache das aus Spaß an der Freude.“ Beruflich ist der Maler und Lackierer viel unterwegs, tingelt von Baustelle zu Baustelle. Im Garten findet er Ruhe. Er nennt ihn ein „grünes Kleinod“. In seiner Mietwohnung hat er zwar einen Balkon. Doch der kann den Garten nicht ersetzen. „Garten ist Garten!“

Das Gartenjahr war bisher durchwachsen bei Herrn Lerche. Mit den Erdbeeren, extra angepflanzt für Tochter Daniela, die ein großer Erdbeerfan ist, ging es gut los. Der Kirschbaum – Lerche denkt, dass es der älteste Obstbaum in der ganzen Sparte ist – trug auch passabel. Aber jetzt sorgt sich der Gärtner um die Tomaten. Der viele Regen lässt die Früchte faulen.

Und dann greifen auch noch die Schnecken an. Herr Lerche sammelt sie ab und befördert sie in die Biotonne. Gift kommt für ihn nicht infrage. Einmal in die Natur gebracht, sagt er, kommt die Chemie irgendwann wieder beim Menschen an. Gegen die Wespen, die schon seit Jahren an seiner Laube nisten, unternimmt er überhaupt nichts, obwohl sie ihn schon mehrfach gestochen haben. Jedes Tier hat seine Berechtigung, sagt er. Außerdem sind Wespen wild auf Blattläuse. Das kommt dem Gartenbesitzer entgegen.

Wo die Gurke noch eine Gurke ist

Das Kirchfeld mag ein alter Verein sein. Die Gartenfreunde indes sind in den letzten Jahren im Schnitt jünger geworden. Das sagt Enrico Gebert, der Vorsitzende. Er ist das beste Beispiel dafür, dass der Generationswechsel funktioniert. 2001, als er den Chefposten übernahm, war er 28 Jahre alt. Seit er den Verein führt, schätzt er, ist der Altersdurchschnitt von gut sechzig Jahren auf 45 bis fünfzig Jahre gesunken.

Enrico Gebert verschiebt das Rasenmähen und setzt sich mit einem Feldschlösschen unter den wilden Wein. Das Bier mit dem Pichmännel ist Standard in der Sparte, denn Gärtner Gebert arbeitet in der Brauerei als Schichtleiter. Die Jugend, denkt er, kommt in den Garten, weil der Garten eine gute Alternative zur Urlaubsreise ist. Für eine Scholle durchschnittlicher Größe zahlt man im Kirchfeld fünfzig, sechzig Euro pro Jahr. „Das ist sehr, sehr billig“, findet der Vorsitzende. Hinzu käme das gestiegene Interesse für die Natur und für selbstangebaute Produkte. „Hier ist die Gurke noch eine Gurke“, sagt Herr Gebert, „und nicht bloß Wasser mit Geschmack.“

Als die Geberts ihren Garten kauften, wohnten sie noch zur Miete. Inzwischen haben sie ein eigenes Haus mit ein wenig Grundstück. Trotzdem kommen sie bei jeder Gelegenheit ins Kirchfeld. Nur hier, fern von Haus und Hof, sagt Elke Gebert, kann man so richtig abschalten. „Es ist zu schön hier unten“, sagt sie, „jeder Tag ist wie ein Tag im Urlaub.“