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Die Kraft der Familie

Der neunjährige Riccardo leidet an einer unheilbaren Krankheit. Eltern und Geschwister hoffen trotzdem auf Fortschritte. Durch eine weitere Delfintherapie.

Von Ines Luft
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Viel Zuwendung. Die Schwestern Kaya (l.) und Samira Schneuer kümmern sich um ihren kranken Bruder Riccardo daheim in Radebeul-Lindenau.
Viel Zuwendung. Die Schwestern Kaya (l.) und Samira Schneuer kümmern sich um ihren kranken Bruder Riccardo daheim in Radebeul-Lindenau. © Norbert Millauer

Radebeul. Der frühe Abend hat seine dunklen Wolken vor die Fenster der Wohnstube gezogen. Drinnen wohlige Wärme, fast die gesamte Familie sitzt um den hell erleuchteten Tisch.

So oft kommt es nicht vor, dass um diese Zeit schon alle daheim sind. Vater Mario Schneuer, 46, ist Taxiunternehmer, Mutter Katja Schneuer-Weise, 37, arbeitet ebenfalls in der Branche. Tochter Samira, 11, füttert gerade Bruder Lennard. 

Noch ein Stück von der Käseschnitte, sagt sie sanft, aber bestimmt. Der Einjährige führt die Gabel zum Mund. Schon sehr geschickt, da hat die Tagesmutter ganze Arbeit geleistet.

Die Elfjährige lächelt den Kleinen an, schaut dann zu Schwester Kaya, 13, auf dem Stuhl daneben. Die bewegt ununterbrochen ihre Finger. Bastelt an einem Fröbelstern. Das geht inzwischen fast ohne hinzuschauen, sagt sie und lächelt ebenfalls. 

Der Stern ist einer von vielen, gefaltet für den, der gerade nicht mit am Tisch sitzt: für Riccardo, Drittgeborenes der Schneuers. Neun Jahre jung. Jedes Jahr, jeder Moment ein Glück für die Familie.

Denn Riccardo leidet am Menkes-Syndrom, einer Stoffwechselstörung, der Kupfertransport im Körper funktioniert nicht. In Deutschland sind etwa 20 junge Menschen daran erkrankt, ihre Angehörigen kämpfen wie Schneuers darum, ihnen das Leben so lebenswert wie möglich zu machen. 

Das ist schwer, Menkes-Kinder sind immer auf Hilfe angewiesen, können oft kaum laufen, stehen oder sprechen. Viele werden nur wenige Jahre alt. Immer schwebt das Bewusstsein einer lebensverkürzenden Krankheit über dem Alltag.

Düstere Aussichten. Doch Familie Schneuer lässt sich nicht beirren. Der kleine Lennard ist der lebende Beweis. Die Eltern wünschten sich sehr ein viertes Kind, und nicht nur Riccardo ist von dem Kleinen begeistert wie am ersten Tag. Nun haben alle ihr neues Plätzchen in der Familie gefunden, sagt Katja Schneuer-Weise. 

Ist mal was mit Riccardo, müssen die anderen den Jüngsten versorgen – für Samira und Kaya kein Thema. Mein Nachwuchspflegepersonal, sagt die Mutter. Die Mädels sind so was von fantastisch, ergänzt Vater Mario. Samira kümmert sich ganz selbstverständlich vor allem um Lennard, Kaya lässt keine Luft ran, wenn es um Riccardo geht.

Dabei kann der Neunjährige nur schwer ausdrücken, was er fühlt und was er möchte. Doch für deutliche Zustimmung oder Missbilligung hat der Junge mit den großen strahlenden Augen klare Reaktionen. Den Kopf abwenden, ein Lächeln zeigen, ein zufriedenes Gesicht. Auch über den augengesteuerten Computer ist Verständigung möglich. 

Den sowie die nötige Software hat sich die Familie hart erkämpft. Damit Riccardo besser kommunizieren und seine Konzentrationsfähigkeit trainieren kann. Um die ist es in jüngster Zeit nicht so gut bestellt. Jeder Infekt, jede besondere körperliche Anstrengung schwächt ihn. Dann schläft er viel.

Wie jetzt. Gerade hat er eine Lungenentzündung überstanden, die gesamte Brustmuskulatur war verspannt, eine Therapeutin löste die Blockaden – das schafft den zarten Jungen. Umso mehr setzen Schneuers auf eine weitere Delfintherapie.

Die erste, 2015, wirkte wahre Wunder. Die Radebeuler kehrten mit einem lebhafteren, entspannten Kind zurück, viel weniger anfällig für Ansteckungen. Auch wenn die Reise in die Karibik, nach Curaçao, eine logistische Höchstleistung darstellte. Was sie diesmal sicher wieder wird, wenn die gesamte Familie auf Tour geht. 

Mit sämtlichen Hilfsmitteln für Riccardo vom Atemassistenten über die Spezialnahrung für die Magensonde bis zum Rollstuhl – für die Reise dringend nötig, doch die Krankenkasse lehnte den Antrag erst mal ab; auf den Widerspruch gibt es noch keine Antwort.

Erinnerung an Curaçao 2015. Riccardo mit seiner Betreuerin, Physiotherapeutin Ricarda, und ihrem schwimmenden Begleiter. 
Erinnerung an Curaçao 2015. Riccardo mit seiner Betreuerin, Physiotherapeutin Ricarda, und ihrem schwimmenden Begleiter.  © privat

Diesmal kommt ein Familienmitglied mehr mit – wegen Lennard wurde die eigentlich für 2017 geplante Reise verschoben. Aber die Fluggesellschaft, mit der Schneuers 2015 unterwegs waren, ist pleite, keine andere bedient Curaçao direkt. Bleibt nur eine Zwischenübernachtung in Amsterdam, bevor es weitergehen kann.

Das größere Problem jedoch ist die Finanzierung. Bis April muss der Löwenanteil der Reisekosten auf dem Konto sein, noch klafft dort aber eine große Lücke, sagt Mutter Katja. Die Schwestern wollen das mit Spendenaktionen im Hofverkauf ein wenig ausgleichen – für eine Spende gibt es ein Perlentier oder einen Papierstern. Trotzdem müssen zusätzlich noch Stiftungen angeschrieben werden.

Curaçao soll es der Familie zufolge wieder sein, weil die Insel tolle Bedingungen für Mensch und Tier bietet. Weil Riccardo dort Luft, Wasser und die Delfine ganz besonders erlebt hat, nachdem er zuvor bei Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie vor Ort intensiv arbeiten musste. Und weil Schneuers einen besonderen Einklang bei den Behandlungen feststellten, mit Einzelabstimmung bei den Therapien.

Außerdem hoffen sie, dass Riccardo erneut Kontakt findet zu seiner Therapeutin Ricarda, die wie die meisten ihrer Kollegen Deutsch spricht. Damit an den Erfolg von 2015 angeknüpft werden kann. Um den Standard wiederherzustellen, damit die Schule – dort wird er pflegerisch von Krankenschwestern sowie pädagogisch betreut – und die Familie wieder auf höherem Level mit dem Jungen arbeiten können.

Für ein Leben, das ihm etwas mehr gibt, als es zurzeit möglich ist. Das Leben muss ein bisschen glitzern, sagt Riccardos Mutter. Wie die Sterne und Perlentiere der Mädchen. Und Riccardos Augen, wenn er Anteil nehmen kann an seiner Umwelt.