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„Die Lage ist lebensbedrohlich“

Dr. Christina Jentsch hat Thomas Lerche bestrahlt. Sie erklärt, warum die Therapie bei dem Neukircher besonders dramatisch ist.

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© Robert Michael

Constanze Knappe

Neukirch/Dresden. Gern würde Dr. Christina Jentsch Entwarnung geben. Die Fachärztin für Strahlentherapie betreut Thomas Lerche während seiner Bestrahlungen im Universitätsklinikum Dresden (UKD). Jeweils zwei Ganzkörperbestrahlungen an drei Tagen hintereinander, also insgesamt sechs Sitzungen, musste der Neukircher in der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie über sich ergehen lassen. Eine Tortur für den Körper. Wie er das überstanden hat, lässt sich wenige Tage danach schwer abschätzen. Mitunter reagiert der Körper erst später darauf. Nur so viel kann die Ärztin bisher sagen: „Begleitende Medikamente werden helfen, die Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall zu reduzieren, Kopfschmerzen zu unterdrücken und die Schleimhäute zu pflegen.“

Thomas Lerche aus Neukirch ist an Leukämie erkrankt. Bis zur Heilung ist es ein weiter Weg.
Thomas Lerche aus Neukirch ist an Leukämie erkrankt. Bis zur Heilung ist es ein weiter Weg. © Steffen Unger

Jeder Patient reagiert anders, so die Ärztin. Bei Thomas Lerche würden die Nebenwirkungen zweier Therapien zeitgleich aufeinander stoßen. Er leide an einer besonders aggressiven Form von Leukämie. Um den Blutkrebs zu bekämpfen, ist eine sehr intensive Chemotherapie notwendig wie auch die Ganzkörperbestrahlung in der höchstmöglichen Stärke. Mit Ersterem sollte der Blutkrebs so weit wie möglich reduziert und mit Letzterem die restlichen Krebszellen abgetötet werden. Es war das Ziel, damit den Körper des 47-Jährigen auf die Stammzellentransplantation vorzubereiten, die am Dienstag anstand. Konditionierung nennen das die Ärzte.

Der ganze Körper wird bestrahlt

Durch die Ganzkörperbestrahlung wurde die Blutbildung und damit auch das Immunsystem von Thomas Lerche unterdrückt. „Er befindet sich in einer lebensbedrohlichen Lage“, sagt Christina Jentsch. Dass die Bestrahlung korrekt durchgeführt wird, beeinflusst den weiteren Verlauf der Erkrankung, fügt sie hinzu. Bei der Ganzkörperbestrahlung wird der Patient auf einer Liege unter dem Linearbeschleuniger hindurchgefahren. Die Röntgenstrahlen erreichen dabei vom Scheitel bis zur Sohle jede Zelle des Körpers, auch die Bereiche, wo die Chemotherapie nicht hinkommt. Zur Schonung der sehr strahlenempfindlichen Lunge muss der Patient einen extra für ihn angefertigten Lungenabsorber tragen, dessen genauer Sitz vor jeder Bestrahlung überprüft wird. Vom Schaltraum aus überwacht die Ärztin zusammen mit den Röntgenassistentinnen die Bestrahlungen.

Die vielen Monitore und anderen Überwachungsgeräte vermitteln den Eindruck, als gehe es um Technik statt um Medizin. Das aber, so erklärt die 34-Jährige, mache nur die Hälfte ihrer Arbeit aus. Mindestens genauso viel Zeit verbringt sie im direkten Kontakt mit den Patienten. Die kommen aus ganz Sachsen und, obwohl viele Ältere dabei sind, auch aus allen Altersgruppen. „Viele Menschen trifft die Diagnose Krebs völlig unvorbereitet mitten im gesunden Leben“, so Christina Jentsch. Bei allem Verständnis für diesen Schock und die Lage des Patienten müsse sie um fachliche Information bemüht sein, sagt sie. Die stehe im Vordergrund bei dem einstündigen Aufklärungsgespräch. Da fehle den Fachärzten für Strahlentherapie häufig die Zeit, die Patienten psychologisch mit zu betreuen. Diese Aufgabe übernehmen Psychoonkologen, die die Patienten im Universitäts KrebsCentrum und ambulant begleiten.

Jeder Patient ist anders

Seit 2005 ist Christina Jentsch im Krebszentrum des Uniklinikums tätig. Im Laufe der Jahre ergebe sich da eine gewisse Routine. „Allerdings nur in den Abläufen. Denn jeder Patient ist anders. Selbst wenn zwei Patienten den gleichen Tumor haben, ist es nicht dasselbe“, erklärt sie. Deshalb ist für jeden Patienten ein individueller Bestrahlungsplan zu erstellen. Wie für Thomas Lerche. Er wird während der gesamten Therapie in der Medizinischen Klinik I des UKD betreut. Die Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie behandelt stationär etwa 500 Patienten pro Jahr. Zwischen zwei und sechs Wochen bleiben sie dort. Mit diesen Patienten haben die Ärzte täglich zu tun. Die ambulanten Patienten hingegen sehen sie nur einmal wöchentlich zum Arztgespräch während der Bestrahlungen und dann zur Nachsorge.

Bei Tumoren, die besonders nahe an empfindlichen gesunden Geweben liegen, wird oft die Protonentherapie angewandt, bei deren Einsatz das gesunde Gewebe um den Krebs herum besser geschont wird. Mit dieser Form der Behandlung eröffnen Physik und Technik neue Perspektiven im Kampf gegen den Krebs. Seit 2014 werden Patienten am Universitätsklinikum mit der Protonentherapie bestrahlt. Sie gilt deutschlandweit als eine der innovativsten Technologien zur Strahlenbehandlung. Auch bei Kindern.

Bewegende Schicksale

Etwa 1 800 Patienten werden pro Jahr in der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie behandelt. Bestrahlungen sind ebenso in ambulanten Praxen in Pirna, Bautzen und Görlitz sowie im Klinikum Görlitz möglich. Ganzkörperbestrahlungen jedoch nur in Dresden. „Weil der Aufwand dafür sehr hoch ist“, begründet Christina Jentsch. Angewandt werden diese Bestrahlungen vor allem bei Leukämiepatienten zur Vorbereitung auf eine Stammzellentransplantation.

Abgesehen davon benötigt jeder zweite Krebspatient im Verlaufe seiner Erkrankung eine Strahlentherapie. Diese ist neben Chirurgie und Chemotherapie eine der drei tragenden Behandlungsformen der Tumortherapie, die häufig kombiniert werden, allerdings ohne Operation bei Leukämie.

Christina Jentsch hat mit vielen bewegenden Schicksalen zu tun und weiß, dass sie nicht allen Kranken helfen kann. Dennoch liebt sie ihre Arbeit. Auch weil dank der Kooperation mit dem OncoRay, dem Nationalen Zentrum für medizinische Strahlenforschung in der Onkologie, neueste Erkenntnisse der Krebsforschung schnell in die klinische Behandlung einbezogen werden können. In dem Zentrum in Dresden arbeiten Ärzte und Forscher aus 28 Ländern, um die Heilungschancen bei Krebs weiter zu verbessern.

Krebserkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen in den Industrieländern. Das ist auch in der Klinik für Strahlentherapie in Dresden, wo Thomas Lerche behandelt wird, spürbar. Gut die Hälfte der Patienten dort wird palliativ, also symptomlindernd, behandelt. Ohne Aussicht auf Heilung. „Es gibt Schicksale, die lassen einen nicht los, besonders wenn es um Kinder oder Jugendliche geht“, sagt die sympathische Ärztin nachdenklich. Man dürfe dies aber nicht allzu dicht an sich heranlassen, sonst könnte man in dem Beruf nicht bestehen. Dr. Christina Jentsch spielt Klavier, um abzuschalten und geht tanzen. Dass ihr Partner kein Arzt ist, helfe ihr ebenfalls weiter, sagt sie schmunzelnd.