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Pieschens letzte Eisenhändlerin

Seit 2007 hat Lolita Kliemann ein Geschäft im Viertel. Sie wohnt in Gorbitz, doch ihr Herz schlägt im Dresdner Norden.

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© René Meinig

Von Sarah Grundmann

Sich als kleiner Händler zu halten ist nicht immer einfach. Gerade einmal drei Läden für Eisenwaren gibt es in Dresden noch. Einer davon ist bereits seit 110 Jahren in der Oschatzer Straße, seit 2007 gehört er Lolita Kliemann. Kein Wunder also, dass die Frau mit den kurzen grauen Haaren im Stadtteil bekannt ist wie kaum eine andere.

Auch von der Organisation des Stadtteilfestes Sankt Pieschen, die sie 2012 übernommen hat, ist die Unternehmerin vielen Anwohnern ein Begriff. Dabei wohnt die in Ottendorf-Okrilla Geborene noch nicht einmal in dem Viertel. 1973 ist sie zur Lehre nach Altgorbitz gezogen und hat den Stadtteil nie verlassen. „Leben tue ich aber in Pieschen, in Gorbitz schlafe ich nur“, sagt Kliemann. Über ihr Wohnviertel könne sie deshalb kaum etwas sagen, über Pieschen indes weiß die Unternehmerin eine Menge zu berichten.

Das Grün der nahe gelegenen Elbwiesen, die vielen kleinen Cafés, in denen man seine Zeit verbringen kann und der schöne klassische Baustil sind nur drei Punkte, die das Viertel für Kliemann ausmachen. Doch wirklich besonders ist für sie etwas ganz anderes: Die Menschen und der Zusammenhalt – das mache den Stadtteil wirklich aus. „Pieschen ist wie ein Dorf“, sagt die Unternehmerin. „Jeder kennt hier jeden.“ In zahlreichen Vereinen, in Kinder- und Jugendeinrichtungen und bei etlichen Stammtischen kümmern sich die Bewohner gemeinsam darum, das Viertel vielfältiger und lebendiger zu machen.

„Das ist auch unter den Händlern so“, sagt Kliemann. „Da hilft man sich gegenseitig aus, schickt auch mal einen Kunden weiter.“ Seitdem die Eisenwaren-Händlerin auch bei der Organisation des größten Festes im Viertel die Strippen in der Hand hat, weiß sie dieses Miteinander besonders zu schätzen. Leuten, die Vorbehalte gegen Pieschen haben, kann sie nur ein müdes Lächeln entgegenbringen. „Sein verruchtes Image hat das ehemalige Arbeiterviertel mit den Kneipen rund um den Hafen längst abgelegt“, sagt Kliemann. Heute sei das Viertel deutlich vielfältiger. „Pieschen wächst und entwickelt sich.“ Die Händlerin spricht aus Erfahrung.

Denn sie kennt das Viertel nicht erst, seitdem sie montags bis freitags rund neun Stunden im eigenen Laden – ihrem Lieblingsplatz im Stadtteil – steht. Schon während ihrer Lehre war sie oft auf der Oschatzer Straße. „Sie war damals eine der prachtvollsten Ladenmeilen“, schwelgt Kliemann in Erinnerungen. Von überall seien die Kunden gekommen. „Wer Jahrzehnte nicht da war, ist heute erschrocken.“ Denn immer mehr Läden, auch auf den angrenzenden Straßen, stehen leer. Die Händlerin hat daher einen großen Wunsch für ihr Viertel: Eine Ladenmeile mit der Pracht von einst. „Kleine Händler sollten von den Vermietern eine Chance bekommen“, sagt sie. „Derzeit kann ich keine Bemühungen erkennen, das macht mich traurig.“

Und noch etwas anderes steht auf Kliemanns Wunschliste: Endlich wieder Wasser ins Sachsenbad. Die einstige Schwimmhalle an der Ecke Wurzener/Rehefelder Straße war in den Neunzigern wegen baulicher Mängel geschlossen worden – damals noch mit dem Wunsch, sie nach einer umfassenden Sanierung wieder zu öffnen. Doch passiert ist seitdem nichts. Das Bauwerk verfällt immer mehr. „Ich bin während meiner Lehre oft dort schwimmen gewesen“, erinnert sich Kliemann. „Natürlich wäre es schön, wenn das Bad wieder öffnet – gerade für Schulen.“ Doch die Händlerin macht sich wenig Hoffnung, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht: „Es wird einfach zu teuer.“ So argumentiert auch die Stadt. Rund 20 Millionen Euro müssten Schätzungen zufolge in den Umbau investiert werden. Geld, das nicht da ist.

Doch auch wenn die Werkzeug-Händlerin eine lange Wunschliste hat und weiß, dass in Pieschen nicht alles perfekt ist, schlägt Kliemanns Herz für kein anderes Viertel. Die Menschen sind es, die es zu etwas Besonderem machen. „Ich rede in meinem Laden mit den Pieschenern über Gott und die Welt – die Leute sind intelligent, offen und cool“, sagt Kliemann. Und die Unternehmerin muss es wissen. Schließlich kommen alle zu ihr, die ein Werkzeug brauchen: Vom Kind bis zur 95-jährigen Kundin. Denn sie ist die letzte Eisenhändlerin von Pieschen.