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Die letzte Inhaberin

Annette Brück führt in siebenter Generation den Meißner Verlag Brück & Sohn. Jetzt verkauft sie ihre Firma.

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© Claudia Hübschmann

Von Ulf Mallek

Die Firmen-Inhaberin hat es sich nicht leicht gemacht. Die Last auf ihrer Schulter wiegt schwer. Sieben Generationen lebten bereits vom Meißner Kunstverlag Brück & Sohn. Jetzt soll Schluss sein. Die 61-jährige Annette Brück will ihre Firma verkaufen.

Das Problem der Familie Brück ist in Unternehmerkreisen ebenso häufig anzutreffen wie schwer zu lösen: Eine Unternehmensnachfolge in der Familie ist nicht möglich. Brücks Tochter, eine Designerin, hat es mal probehalber versucht. Vergeblich. Der Funke sprang einfach nicht über. Nur den Eltern zuliebe Firmenchefin spielen, das bringt nichts. Der Sohn ist vielbeschäftigter Fotograf, lebt in Berlin. Er hat ebenfalls ganz andere Interessen, als die Firma zu führen. Andere Verwandte fanden sich ebenfalls nicht.

Annette Brück: „Wir können unsere Kinder doch nicht zwingen und sie unglücklich machen.“ Als Frau Brück das Geschäft 1987 übernahm, hatte es noch 20 Mitarbeiter. Die Wende kam und mit ihr große wirtschaftliche Probleme. Der Verlag kämpfte tapfer ums Überleben. Mit ihrem Mann Helmut sprach sie auch zu Hause über die Firma, fast nur über die Firma. Das Thema beherrschte das Familienleben. Die Kinder, damals etwa 10 Jahre alt, kamen zu kurz, sagt Frau Brück. Doch was hätte sie tun sollen? Sie musste kämpfen, damit ihr Verlag nicht untergeht. Ein Unternehmer muss für sein Unternehmen leben. Das ist der Preis, den jeder bezahlen muss. Tut er das nicht, verliert er die Firma.

Historie

Der Freiberger Buchbinder Carl Friedrich August Brück (1766 – 1833) gründete am 8. Oktober 1793 in Meißen sein eigenes Unternehmen. Er erhielt eine Verlagslizenz. Karl August Brück (1797 – 1877) stieg 1818 in den väterlichen Betrieb ein, der seitdem als „Brück&Sohn“ firmiert.

Unter Otto Julius Brück (1825 – 1905) begann der Verlag, seit 1885 neuartige Ansichtspostkarten herzustellen. Auf der ersten Karte wurde ein Meißner Motiv abgedruckt. 1893 übernahm Oscar Julius Brück (1855 – 1920) zusammen mit seinem Bruder Franz Brück den Verlag.

Ab 1897 exportierte Brück & Sohn die Karten ins europäische Ausland, nach Nordamerika und Südostasien. Ebenfalls seit 1897 wird ein eigenes Ansichtskartenarchiv gepflegt.

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Vor neun Jahren wurde bei Annette Brück Brustkrebs diagnostiziert. Sie nahmt den Kampf gegen die Krankheit auf, entschied sich für alternative biologische Heilmethoden. Heute hat sie den Kampf gewonnen, denkt sie. Sie spricht während der Behandlung mit Therapeuten über den Verlag und die Last auf ihren Schultern, die immer größer wird. Auch über die Verantwortung, die sie ihren Vorfahren gegenüber empfindet. Da sagte die Therapeutin: „Ihre Vorfahren wollen sicher nicht, dass Sie für die Firma sterben.“ Das hat gesessen. Frau Brück wusste, dass sie jetzt loslassen muss. Das schlechte Gewissen ihren Vorfahren gegenüber, die 1793 den Verlag gegründet hatten, verschwand aber nicht so schnell. Deshalb ging sie zu den Gräbern auf dem Meißner Stadtfriedhof und fragte einfach, bat ihre Vorfahren um Erlaubnis. Sie erhielt die Genehmigung, sagt sie.

Den letzten Anstoß zum Verkauf gab ihr eine Reise mit ihrem Mann in die USA im Vorjahr. Sie wollten die 80 Städte in den USA besuchen, von denen ihre Vorfahren Postkartenmotive hergestellt und verkauft hatten. 52 Städte schafften sie. In drei Monaten. Annette Brück: „Als wir aus Amerika zurückkamen, da wusste ich, was Freiheit ist.“ Keine Verantwortung für die Firma, kein ständiger Druck, kein Zwang, immer etwas Neues finden zu müssen.

Den Brücks ist es klar, dass die siebente Generation von Brück & Sohn die letzte sein wird. Den Namen soll aber der neue Inhaber übernehmen. Ihre große Postkartensammlung von 34 000 Motiven wird dagegen vermutlich keinen Interessenten finden. Das Ladengeschäft im Erdgeschoss ist bereits geschlossen. Die Betreiberin ging in Insolvenz. Was die Firma jetzt vor allem trägt, ist ein neuer, vor zwei Jahren eröffneter Online-Shop mit über 500 Produkten. Dort brummt das Geschäft, vor allem mit den begehrten Adventskalendern. Sie zeigen zumeist leicht verfremdete historische Stadtmotive aus der Region, aber auch aus ganz Deutschland. Die Immobilie in der Meißner Burgstraße gehört ebenfalls zur Firma, kann aber separat verkauft werden. Es ist eine begehrte 1A-Lage: Burgstraße 1.

Inzwischen lässt sich Brück & Sohn von einer professionellen Wirtschaftskanzlei betreuen. Es gibt schon ein Dutzend Anfragen. „Mit zwei kompetenten Bewerbern sind wir im Gespräch“, sagt Annette Brück. Sie wollte ursprünglich noch im Oktober nächsten Jahres den 225. Firmengeburtstag feiern. Als Abschiedsparty.

Doch es sieht jetzt so aus, als ob es viel schneller geht. Die Gespräche zur konkreten Kaufsumme beginnen. Danach müssen sich die Brücks für einen von beiden entscheiden. Sie sind guter Hoffnung, dass die Übergabe schon zu Jahresbeginn 2018 stattfinden könnte. In welcher Form der Übergang geschieht, können sie erst miteinander besprechen, wenn die Entscheidung für einen Kandidaten getroffen wurde. Brück: „Also im Moment ist noch alles offen und angespannt.“

Brück & Sohn hat sich über all die Jahre immer wieder selbst neu erfunden, hat sich dem Markt angepasst, ist expandiert oder – wie jetzt – geschrumpft. Annette Brück führt die Firma jetzt schon 30 Jahre. Sie hat noch vier Mitarbeiter.

Sie werde aber in Frieden loslassen, sagt Frau Brück. In Frieden mit sich selbst. Sie möchte eine Firmenchronik und ein Buch über den Weg ihrer Heilung vom Krebs schreiben. „Das sind meine großen Projekte für die Zeit danach“, sagt sie. Langweilig wird ihr nicht werden. Im Moment sortiert sie immer noch Postkarten, die wohl bald Platz in Museen oder Archiven finden werden. Und dann hat sie noch ein Problem: Wohin mit den vielen gerahmten Bildern ihrer Vorfahren? Sie füllen eine ganze Wand in ihrem Chefbüro aus. In Kisten packen? Nein, niemals. Mit nach Hause nehmen! Sie wird einen würdigen Platz für sie finden.