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Die letzten Bäume an der B6 sind gefällt

Die Straße zwischen Dresden und Meißen ist jetzt sicher, sagt der Eigentümer. Neue Bäume will er nicht pflanzen. Aber langsam wächst der Wald von alleine nach.

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Von Claudia Parton

Vertrocknetes Herbstlaub bedeckt noch den Boden. Bäume jedoch stehen kaum mehr welche auf dem Hang zwischen Scharfenberg und Gauernitz. Wo einst dichter Laubwald entlang der B 6 wucherte, ist nur Leere geblieben. Es ist früher Nachmittag an diesem ersten Advent, als sich die Kettensäge durch die letzten Bäume mit dem orangeroten „F“ am Stamm frisst. Dann klirren nur noch die Ketten des Harvesters, der die Stämme von der Fahrbahn zerrt. Einer der größten Baumfällaktionen der vergangenen Jahre im Elbland ist beendet.

Jeder dritte Stamm fault

Auf einer Fläche von mehr als einem Hektar haben Forstarbeiter in den vergangenen Wochen fast alles abgesägt, was näher als 20 Meter an die B6 heranwuchs. Sie ist eine der meist befahrenen Bundesstraßen in Sachsen. Mehr als 15000 Autofahrer nutzen sie Tag für Tag. Doch immer wieder kippte der Sturm hier Bäume auf die Fahrbahn. Waldarbeiter und Naturschützer stritten noch darüber, ob das Fällen der alten und hohen Bäume vom Hang sinnvoll ist – da knallte Anfang August ein morscher Baum auf einen Transporter. Ein 39-jähriger Mann aus Zeithain starb in den Trümmern seines Wagens.

Nun ist nichts mehr da, was fallen könnte. Mühsam schiebt sich der Harvester über gehäckselte Äste auf dem Straßenbelag. Die orangenen Greifer am Kranarm packen Stamm um Stamm. Kürzen, entasten, stapeln. Augenscheinlich ist für alle, was vorher nur benachbarte Revierförster ahnten. An einigen Stellen ist jeder dritte Baum faul und morsch. Grauer Schwamm frisst sich durch Ahornbäume. Eichen zerfallen in ihrem Inneren in einzelne Splitter. Stümpfe ragen wie hohle Zähne aus dem Boden. Es ist Rinde und ein bisschen braunes Gewebe und in der Mitte ein großes Loch. Der Unfall vom Sommer – höhere Gewalt oder fahrlässige Tötung, weil der Eigentümer seinen Forst nicht ausreichend pflegte?

Das muss jetzt die Staatsanwaltschaft klären. Sie ermittelt seit August gegen die Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) des Bundes, welche das Flurstück einst von der Treuhand übernahm. Die Gutachter der BVVG aber sprühten am Ende an fast alle Bäume ihr orangerotes „F“, auch an gesunden Bestand. Allein stehen bleiben kann er nicht. Zu felsig ist der Boden. Zu wenig Halt finden die Wurzeln.

In einem kompakten Waldstück geben sich die Bäume gegenseitig Schutz vor der Witterung. Wo jedoch große Löcher in den Forst geschlagen sind, wird auch der gesunde Bestand zum Risiko. Ein Herbststurm oder nasser Schnee könnten die freistehenden Stämme leicht knicken lassen. Die BVVG verspricht: Entlang ihres Waldstücks ist die B6 nun sicher.

Die Sonne sinkt. Wind fährt die Elbauen entlang und trägt den modrig-feuchten Geruch von der Baustelle nach Scharfenberg. Im Western Inn am Ortseingang bleiben Ulrike Bernstein die Gäste weg. Den ganzen Sonntag über ist die B6 voll gesperrt. Wie viele Anwohner hat auch sie sich ein wenig fremd gefühlt, als aus dem Laubwald vor dem Fenster nach und nach eine Steppe wurde. „Das war am Anfang ein völlig ungewohnter Anblick“, sagt sie. Aber sie habe gesehen, wie kaputt die Bäume sind. „Ich denke, das war längst überfällig. Es ist schlimm, dass hier erst ein Mensch sterben musste, bevor etwas passiert ist.“

Im Laufe der kommenden Woche wollen die Waldarbeiter die letzten Stämme abholen, die noch am Rand der B6 liegen. Bis dahin soll der Verkehr nur auf einer Spur fließen. An die kahlen Hänge werden sich die Scharfenberger gewöhnen müssen. Die BVVG hat angekündigt, nicht neu aufforsten zu wollen. Es sei genügend junger Bestand da, sagte Sprecherin Constanze Fiedler. Über die Jahrzehnte wird neuer Wald entlang der B6 wachsen.

Für dessen Pflege wird dann der Freistaat Sachsen zuständig sein. Nach dem Kahlschlag sollen die Hänge zwischen Scharfenberg und Gauernitz zum Nationalen Naturerbe umgewidmet werden. Schon im kommenden Jahr will der Bund dem Land das betroffene Flurstück dafür schenken.