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Die nette RAF-Frau von nebenan

Kampfesmüde RAF-Terroristen schlüpften in den 80er Jahren in der DDR unter. Für ihr real-sozialistisches Leben bekamen sie neue Namen und Biografien. Das Ganze war höchst geheim. Ein neues Buch beleuchtet, wie die Stasi die Strippen zog.

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© dpa/Archiv

Von Jutta Schütz

Berlin. Die Nachbarn in der Plattenbausiedlung finden die neue Frau Beyer nett - immer höflich und freundlich. Sie organisiert auch „wunderschöne Hausfeste“ für ihre Mitbewohner in Neubrandenburg. Und im Kollektiv ihres Betriebes wird Sylvia Beyer wegen ihrer „hohen Einsatzbereitschaft“ geschätzt. Doch nach dem Mauerfall wird die engagierte „DDR-Bürgerin“ plötzlich festgenommen. Es ist die gesuchte RAF-Terroristin Silke Maier-Witt.

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Dass in der DDR zehn kampfesmüde Ex-Terroristen über Jahre untertauchten, sei selbst bei der Stasi so geheim gewesen, dass nur ein kleiner Kreis eingeweiht gewesen sei, schreibt Autor Frank Wilhelm in seinem neuen Buch „RAF im Osten“, das jetzt erschienen ist.

Faktenreich und mit bislang unbekannten Details wird auf knapp 200 Seiten das DDR-Leben der Linksextremisten aus der Bundesrepublik unter dem Schutz der Stasi beleuchtet. Der 52-jährige Journalist der Zeitung „Nordkurier“ hat in den Stasi-Archiven auch Dokumente gefunden, die den Deal zwischen der terroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) und der DDR-Staatssicherheit belegen. 1998 hatte die RAF ihre Auflösung erklärt. Auf ihr Konto gingen seit 1970 Attentate, Tote und Verletzte.

Am 18. August 1980 landet um 10.35 Uhr auf dem Ost-Berliner Flughafen Schönefeld die Interflug-Maschine IF 251 mit den beiden ersten RAF-Zuwanderern: Ralf Baptist Friedrich und Sigrid Sternebeck. Wenig später folgen Susanne Albrecht, Silke Maier-Witt und Monika Helbing, danach kommen Werner Lotze, Christine Dümlein und Ekkehard von Seckendorff-Gudent. Inge Viett und Henning Beer reisen zwei Jahre später ein. Regie führt die Stasi-Abteilung XXII zur Terrorabwehr des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Das Forsthaus An der Flut bei Briesen in der Nähe von Frankfurt (Oder) ist die erste DDR-Station der Neuankömmlinge nach Illegalität und Flucht vor der Polizei in der Bundesrepublik. In dem Stasi-Objekt Nr. 74 - mit Bootssteg - pauken sie ihre neuen Namen und die von der Stasi erfundenen Lebensläufe.

Bei Maier-Witt, die nun zunächst auf den Namen Angelika Gerlach hört, liest sich das so: Sie sei in die DDR gekommen, weil sie den „imperialistischen Staat“ ablehne und sich am „Kampf für den Frieden, für den Aufbau des Sozialismus“ beteiligen wolle.

Warum es zu diesem Deal kam? Wilhelm schreibt, die DDR habe zwar nach außen Terroranschläge verurteilt. Aber es habe eine „mehr oder weniger unterschwellige Sympathie“ für die RAF gegeben, weil beide den selben Feind sahen: den westdeutschen Staat.

Zudem habe die Stasi das Insiderwissen der zweiten RAF-Generation über den Linksterrorismus abschöpfen und sie zugleich unter Kontrolle haben wollen. Und Stasi-Minister Erich Mielke habe die irrige Idee verfolgt, die RAF im Ernstfall in der Bundesrepublik im Dienste der Stasi einzusetzen, heißt es im Buch.

Der RAF-Experte Tobias Wunschik von der Stasi-Unterlagen-Behörde kommt in dem Band auch zu Wort. Er sagt, schon seit Mitte der 70er Jahre habe die DDR wissentlich RAF-Leute durchreisen lassen. Im Gegenzug sei zugesichert worden, keine Anschläge in der DDR zu verüben.

Orte weit weg von der Westgrenze wählt die Stasi für ihre Schützlinge aus: Schwedt, Dresden, Senftenberg, Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda, Erfurt. Als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) sollen die Ex-Terroristen nun auch aus ihrem zivilen Umfeld berichten. Betriebe mit mehr als 1000 Beschäftigten scheinen der Stasi unauffällig genug als Arbeitsstellen. Auch Wohnungen samt Einrichtung besorgt das MfS.

Am Beispiel von Maier-Witt wird der irrwitzige Aufwand geschildert, damit Tarnungen nicht auffliegen und bekannt wird, was die DDR in Zeiten der Entspannungspolitik zwischen Ost und West hinter den Kulissen treibt. So wird zwei Jahre vor dem Mauerfall aus der falschen Angelika Gerlach wieder eine andere Person mit neuer Vita: Sylvia Beyer, die nach zeitweiligen Stationen in Hoyerswerda und Erfurt nach Neubrandenburg geschickt wird. Auf Kosten der Stasi wird der Ex-RAF-Kämpferin noch die etwas schiefe Nase gerichtet und ein anderes Outfit verpasst.

Nach der Wende in der DDR kommt dann der Paukenschlag: Im Sommer 1990 werden die Ex-Terroristen nacheinander enttarnt und festgenommen. Susanne Albrecht alias Ingrid Becker wird als erste gefasst. Sie war an der Ermordung von Dresdner Bank-Chef Jürgen Ponto im Jahr 1977 beteiligt.

Ex-SED-Partei- und Staatschef Erich Honecker lässt damals mitteilen, er habe erst aus der Presse von der Aufnahme der Terroristen in der DDR erfahren. Stasi-Größen sagen dagegen, der Befehl sei von Honecker persönlich gekommen.

Einige der RAF-Aussteiger werden zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Maier-Witt, die an der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer beteiligt war, bekommt zehn Jahre Haft. Vier Jahre sitzt sie ab. Heute arbeitet sie in Skopje auf dem Balkan für das Forum Ziviler Friedensdienst.

Maier-Witt sei eine der wenigen Ex-Terroristen, die sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandergesetzt hätten, schreibt Wilhelm. Inge Viett hingegen sei immer noch eine glühende DDR-Anhängerin. Einige der damals in der DDR Untergetauchten seien heute von der Bildfläche verschwunden, einige lebten mit neuer Identität. So arbeite Susanne Albrecht unter anderem Namen in Norddeutschland.

Ein Kapitel in dem Buch heißt: „Die RAF und noch kein Ende“. Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass nach misslungenen Überfällen auf Geldtransporter DNA-Spuren von drei seit Jahren gesuchten Linksterroristen sichergestellt wurden. Wahrscheinlich sei ihnen einfach das Geld ausgegangen, heißt es in dem Buch. (dpa)