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Die Nonnen von Goppeln

Ein Gespräch mit der Oberin der Nazarethschwestern: über Kinder, das Altwerden – und das Paradies.

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© Andreas Weihs

Von Franz Werfel

Goppeln. Einst waren sie 126 Schwestern, verstreut über 15 Filialen ihrer Gemeinschaft. Vor allem in den neuen Bundesländern, genauer in Sachsen, ging es den Nazarethschwestern vom Heiligen Franziskus jahrzehntelang gut. „Wir hatten Schwestern in Magdeburg, Borna, Leipzig, Zwickau, Schwarzberg und noch viel mehr“, zählt Generaloberin Daniela auf. Die 74-jährige gebürtige Pommerin leitet seit fast drei Jahren die einzige verbliebene Einrichtung. Das Mutterhaus in Goppeln steht immer noch da, unverwüstlich, wie ein Fels in der Brandung.

Die Generaloberin der Goppelner Nazarethschwestern, Schwester Daniela, zeigt das einzige Grab im Garten der christlichen Gemeinschaft. Hier liegt Mutter Maria Augustina, die Gründerin der Schwesternschaft. Im Alter von 58 Jahren wurde sie am 8. Mai 1945,
Die Generaloberin der Goppelner Nazarethschwestern, Schwester Daniela, zeigt das einzige Grab im Garten der christlichen Gemeinschaft. Hier liegt Mutter Maria Augustina, die Gründerin der Schwesternschaft. Im Alter von 58 Jahren wurde sie am 8. Mai 1945, © Andreas Weihs

Wobei auch hier der Zuspruch nachgelassen hat. 1923 siedelte die Gründungsschwester Maria Augustina von Koblenz nach Dresden über. Fünf Jahre später zog sie, die mit bürgerlichem Namen Clara Schumacher hieß, nach Goppeln. „Die christliche Sozialarbeit war in Sachsen, nun ja, unterbestimmt“, erzählt Oberin Daniela. Eines trieb Maria Augustina und ihre zwei Mitschwestern, mit denen sie ihr Unternehmen begann, an: die Kinder. „Unsere Ordensmutter nahm sich der vielen Waisen und Findelkinder an. Und auch die von ihren Eltern verlassenen Kinder nahm sie in ihre Obhut“, sagt Schwester Daniela. Einmal wurde ein Kind an der Orgel in der Dresdner Hofkirche gefunden. Es war dort versteckt worden. Sein neues Zuhause fand es in Goppeln.

Was wünschen sich alte Menschen?

Heute leben noch 34 Schwestern in Goppeln. In der DDR betreuten sie ein Kinderhaus. Das Altenheim und den Seniorenwohnpark bauten einst die Schwestern auf. Beide Einrichtungen laufen erfolgreich und sind weit über Goppeln und Dresden hinaus bekannt. „Seit ein paar Jahren führen wir die operativen Geschäfte aber nicht mehr selbst“, sagt Schwester Daniela.

Sie selbst kam 1965 nach Goppeln, als 23-Jährige. Aus ihrer Pommerschen Heimat im heutigen Polen musste sie mit ihrer Familie 1946 fliehen. Da war der Vater schon im Krieg gefallen. Als junge Frau wollte sie sich sozial engagieren, plante „ein Jahr für Gott“ in der katholischen Kirche. Daraus wurde mehr. Drei Jahre nach ihrem Umzug ins kleine Goppeln trat sie der Schwesternschaft bei – und hieß fortan Schwester Daniela. „Der Name wurde für mich ausgesucht.“ Ihren bürgerlichen Namen behält sie für sich. „Der spielt keine Rolle mehr“, so die Oberin. Mit ihrem neuen Namen, der die weibliche Entsprechung zum alttestamentlichen Daniel ist, konnte sie sich anfreunden. Daniel bedeutet: „Gott ist mächtig“ oder „Gott ist mein Richter“.

Für alle Menschen da sein

Wie wird das wohl sein, am Ende des Lebens? Wie sieht ihr Paradies aus? „Ich glaube fest daran, dass wir bei Gott gut aufgehoben sein werden“, sagt die Oberin. Das ewige Leben heißt für sie: Gottes Nähe spüren und in seinem Licht weiterleben. Kann man den säkularen Sachsen davon etwas abgeben? „Ich glaube, das ist schwierig. Denn wem Gott egal ist, der sehnt sich ja auch nicht nach seiner Nähe.“

Und wonach sehnen sich die alten Menschen, die in der Nähe der Goppelner Schwestern ihre letzten Lebensmomente verbringen? Den meisten Alten seien die gleichen Dinge wichtig, hat Schwester Daniela beobachtet. „Jeder wünscht sich regelmäßigen Besuch durch gute Freunde, vor allem aber durch die eigene Familie. Jeder wünscht sich, dass man an ihn denkt. Und dass gut und liebevoll mit einem umgegangen wird.“ Hat man als Ordensfrau weniger Angst vor dem Tod? Schwester Daniela seufzt. „ Man ist und bleibt ja Mensch, auch wenn man glaubt. Die Ängste kommen schon von ganz allein.“

Früher hat sie sich vor allem um die Kinder im Goppelner Heim gekümmert. Die Arbeit mit alten Menschen lag ihr nicht unbedingt. „Natürlich“, sagt Schwester Daniela, „ist es ein Unterschied, ob man das erwachende, wachsende Leben begleitet. Oder ob man alte Menschen auf ihr Lebensende hinpflegt.“ Aber man könne, wenn man wolle, lernen, ein guter Seelsorger und Altenpfleger zu werden und für Menschen da zu sein. „Dabei ist der häufige Umgang mit älteren Menschen ganz wichtig“, sagt sie. Theorie könne etwas helfen. Vor allem aber brauche man Geduld.

Mit einem Lächeln sterben

Die schnelle Welt könne einen durcheinanderbringen. Deshalb blenden einige Schwestern sie in ihrem streng durchgetakteten Tagesablauf aus. „Nachrichten brauche ich nicht jeden Tag“, sagt die Oberin. „So viel ändert sich ja doch nicht. Und wenn wirklich Gravierendes passiert, dann bekomme ich das schon mit.“

Trotz des hohen Durchschnittsalters der Goppelner Schwestern – etwa die Hälfte ist älter als 80 –, helfen sie sich und versorgen sich selbst, so gut es eben geht. „Bis vor Kurzem haben zwei Schwestern im Altenheim immer an den Betten der Sterbenden gesessen. Das können wir nun nicht mehr leisten.“

Wichtig war diese Zeit des intimen Zusammenseins aber immer. Fast alle Schwestern, die in der Gemeinschaft verstarben, hatten bei ihren letzten Atemzügen ein Lächeln auf den Lippen.

www.nazarethschwestern.de