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Die Pleite vieler DDR-Betriebe wäre vermeidbar gewesen

Der frühere Staatsbanker Edgar Most zieht zum 20. Jahrestag der Währungsunion eine kritische Bilanz und fordert einen Pakt Ost.

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Vor zwanzig Jahren, am 1. Juli 1990, wurde über Nacht die D-Mark in der DDR eingeführt. Alle Sparguthaben, aber auch alle Kredite der Kombinate wurden im Verhältnis 1:2 umgetauscht. Die neue Währung wurde euphorisch gefeiert. Einer, der nicht jubelte, war Edgar Most, Vize-Chef der Staatsbank. Er ahnte, was folgen würde: Einbruch der Produktion, Firmenpleiten und hohe Arbeitslosigkeit, weil die Produkte aus der Ex-DDR nun zu teuer waren. Die SZ sprach mit Edgar Most über die Bedeutung von Geld, geheime Staatsbankbilanzen und wie sich die Fehler der Wiedervereinigung korrigieren ließen.

Herr Most, wie wichtig ist Ihnen Geld?

Ganz wichtig, weil sich mit Geld viel bewegen lässt. Leider hat die Finanzkrise es in negative Schlagzeilen gebracht. Geld ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Damit hat es den Grundgedanken der Schaffung des Geldes verlassen.

Was ist der Grundgedanke?

Eine Beziehung zur Realwirtschaft herzustellen. Das bedeutet, wenn Geld Mittel zum Zweck ist, darf Geldschöpfung nur betrieben werden, wenn es auch einen gesellschaftlichen Nutzen gibt.

Erfüllte das Geld in der DDR diesen Grundgedanken?

Ja. Das war im Sozialismus klar geregelt. 1949 hat schon Stalin festgelegt, Kredite dürfen nicht ausgegeben werden, um Verluste zu decken. Das führte in der DDR dazu, dass kein Bürgermeister Schulden machen durfte. Danach sahen unsere Straßen und Städte zum Teil auch aus. Doch das war das unterschiedliche Wesensmerkmal. Amerika will sein Wirtschaftswachstum durch Schulden finanzieren. Unser Lebensstandard lebt nur von Pump, das ist nicht zu verantworten.

Die DDR-Bürger lebten nicht auf Pump, aber sie beschafften sich Westgeld, um ihre Konsumwünsche zu erfüllen.

Und haben damit dazu beigetragen, dass ein Teil der DDR-Wirtschaft endgültig am Boden lag, weil die DDR-Produkte nichts mehr wert waren.

Und was war Ihnen das DDR-Geld wert?

Für mich persönlich hatte das Geld natürlich einen Wert, im Rahmen dessen, was möglich war. Ich selbst hatte kein Westgeld, auch keine Westkontakte. Insofern hatte ich damit kein Problem. Ich hatte nur ein Problem, als verkündet wurde, am 1. Juli 1990 wird die D-Mark eingeführt zu einem Umtauschkurs von 1: 2, und alle schrien „Hurra“.

Ihnen war also schon damals bewusst, was mit dem Einzug der Westmark auf die Menschen zukam?

Ich war dafür, die D-Mark einzuführen, aber dagegen, alles über einen Kamm zu scheren. Mit dem Umtausch der 168 Milliarden Ost-Mark an Sparguthaben konnte man zum Kurs 1:2 leben. Was wir überhaupt nicht wollten, war, dass auch die Kredite der Unternehmen 1:2 umgetauscht wurden. Damit war am 1.Juli fast jeder DDR-Betrieb pleite.

Aber hätte man denn die Schulden zu einem anderen Kurs umtauschen können als die Sparguthaben?

Natürlich. Bei einer Binnenwährung, die nicht ans Ausland gebunden ist, können Sie im Inneren das Vermögen so bewerten, wie Sie es für richtig erachten. Am Ende musste die Treuhand die ganzen Schulden schlucken, weil sonst kein Investor ein Unternehmen gekauft hätte. Mit dieser Bewertung, konnte nichts privatisiert werden. Die Wahrheit kam mit dem Markt.

Wenn die Politiker damals die Wahrheit gesagt hätten, wäre es dann nicht zur Währungsunion gekommen?

Doch. Die Leute hätten trotzdem ihre D-Mark bekommen, aber zu anderen Rahmenbedingungen. Der Bürger ist gut gestellt worden. Da hat der Kohl sein Wort gehalten. Aber die Wirtschaft, die die Wertschöpfung erbringen muss, wurde schlechter gestellt. Wir haben heute noch keine selbsttragende Wirtschaft. Kein neues Bundesland, auch Sachsen nicht, kann das, was es selbst ausgibt, auch erwirtschaften – und wird es auch in den nächsten 20 Jahren nicht.

So düster fällt Ihre Bilanz über den Aufbau Ost aus?

In den vergangenen 20 Jahren sind 1,4 Billionen Euro Transferzahlungen von West nach Ost geflossen, und wir haben das Westniveau immer noch nicht erreicht, nicht einmal 80 Prozent. Wir liegen bei 65 Prozent. Damals hieß es: „Wenn die D-Mark nicht kommt, gehen wir zur D-Mark.“ Die D-Mark ist gekommen, die Leute sind gegangen.

Weil sie arbeitslos wurden?

Ja, aber das war nur ein Punkt. Die jungen Leute sind gegangen, weil es keine Ideale mehr gab, weil alle großen Forschungseinrichtungen und Hochschulen auf den Kopf gestellt wurden. Vor dem Mauerbau sind drei Millionen abgewandert, nach dem Mauerfall noch einmal drei Millionen, und die Kreativen wandern immer noch ab.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Gefühle am 1. Juli 1990?

Vorher hatte ich mich maßlos aufgeregt. Ich hatte gerade die erste private Bank in Ostdeutschland gegründet und alle Schulden übernommen. Ich wusste, bei einem Kurs von 1:2 bekomme ich die Kredite niemals wieder, wo soll das Geld herkommen. Deshalb habe ich versucht, im April 1990 noch einmal mit Kohl intensiv zu diskutieren. Ich habe sogar die Bilanz der Staatsbank mitgenommen, was verboten war.

Und was stand da drin?

Die Höhe unserer Schulden, die realen Werte der DDR-Betriebe, das vom Staat festgelegte Preis- und Wertgefüge. Ein Beispiel: 1967 haben wir eine Düngemittelanlage für 180 Millionen Valuta-Mark in Frankreich und Großbritannien gekauft und zu 600 Millionen DDR-Mark in der Bilanz aktiviert. Wir hätten die Vermögenswerte, die wir im Westen gekauft hatten, zum Kurs von 1:8 und nicht 1:2 bewerten müssen. Ich habe zu Kohl gesagt: Sie haben einen Wechsel unterschrieben und wissen nicht einmal, welche Summe da reingehört. Der damalige Bundesbank-Chef Karl-Otto Pöhl hat das sofort begriffen und gesagt, da müssen wir noch einmal nachdenken. Doch dafür war es zu spät. Am nächsten Tag hat Kohl die Einführung der D-Mark verkündet.

Das ist ja nun Geschichte. Wie lässt sich der Aufbau Ost heute beschleunigen?

Im Gesprächskreis Ost, der Bundeskanzler Gerhard Schröder beriet, diskutierten wir nächtelang, warum keiner der 49 deutschen Global Player im Osten sitzt, obwohl sie alle Betriebe hier haben. Wir wollten sie an einen Tisch holen und dafür begeistern, mehr für den Osten zu tun, auch mal eine Vertriebszentrale oder ein Forschungszentrum hierher zu verlagern. Von den verlängerten Werkbänken im Osten mit hoher Produktivität sollte ein Teil der Wertschöpfung verbindlich auch im Osten bleiben, und sei es über Stiftungen.

Welche Wege gibt es noch?

Unter die noch nicht gelösten Eigentumsfragen einen Schlussstrich ziehen. So sind etwa 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen noch nicht privatisiert. Der Bestandsschutz läuft in zwei Jahren aus. Und wir sollten endlich vereinigungsbedingte Fehler korrigieren.

Und die wären?

Stichwort Wassergeld: Wir haben die Infrastruktur nach dem Wasserverbrauch von 1989 neu gebaut. Da gab es noch eine Industrie, später nicht mehr. Deshalb zahlen wir heute 30, 40 Prozent mehr Wassergeld als die Bayern. Wir haben über 700 Abwasserzweckverbände, zu DDR-Zeiten hatten wir 14.

Würde diese Fehlerkorrektur auch finanziellen Spielraum schaffen, sodass Sachsen seinen Sparkurs lockern könnte?

Freilich. Denn dort, wo die Fehlerbeseitigung Geld kostet, sollte dafür der Erblastentilgungsfonds wieder geöffnet werden, in dem die durch die Wiedervereinigung entstandenen Schulden verwaltet werden. Jetzt, wo man Bürgschaften von über 400 Milliarden Euro für die Banken gewähren kann, muss das andere auch möglich sein.

Hat die Politik den Aufbau Ost abgeschrieben?

Glaube ich nicht. Aber ich hätte vergangenes Jahr im Wahlkampf mehr zu diesem Thema erwartet. Wir werden in 20 Jahren nicht weiter sein als heute. Deshalb brauchen wir einen Pakt Ost. Wenn der Solidarpakt II ausläuft, entsteht in den Haushalten ein Loch von bis zu 25 Prozent. Das ist durch Sparen nicht auszugleichen. Dann kommt die Debatte, was können wir uns leisten, was nicht. Wir müssen Kapital heranorganisieren, und das geht nur, wenn Sie Kapital steuerlich freistellen.

Wird es jemals gleiche Lebensverhältnisse zwischen Ost und West geben?

Nein, daran glaube ich nicht mehr. Wenn man immer abhängig ist vom Geld anderer, macht sich Schwachmut breit. Wir müssen in der Bevölkerung das Ego wieder wecken, zu versuchen, eine selbsttragende Gesellschaft zu erreichen. Wir dürfen nicht so tun, als ob nach 20 Jahren alles gelaufen ist. Das ist es nicht.

Was haben Sie mit Ihrem letzten DDR-Geld gemacht?

Ich habe eine Sammlung aller Gelder, die wir seit 1945 eingeführt haben. Da sind die letzten Scheine und Münzen hineingewandert – wie übrigens die letzten D-Mark auch.

Das Gespräch führte Nora Miethke.