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Die Rettung seltener Hutbergbäume

Am Kamenzer Hausberg wachsen Uralt-Nadelgehölze, die Wilhelm Weiße vor über 100 Jahren dort kultivierte. Die Prietitzer Baumschule Kohout soll sie jetzt reproduzieren.

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© Matthias Schumann

Von Manuela Paul

Kamenz. Für Sebastian Tischer geht es am Dienstagvormittag hoch hinaus. In luftiger Höhe, inmitten der Wipfel uralter Nadelbäume, schneidet der Mitarbeiter der Prietitzer Baumschule Kohout sorgsam kräftige, gesunde Fichtenzweige ab – sogenannte Reiser. Seine kostbare Ernte verstaut er in speziell gekennzeichneten Tüten. Denn mit diesem Reisig haben die Prietitzer so einiges vor. Aus diesem historischen Erbgut wollen sie für die Stadt Kamenz neue, besondere Blaufichten ziehen.

Dass am Hutberg uralte stattliche Fichten, Kiefern und Tannen wachsen, ist dem bekannten Kamenzer Baumschulgärtner Wilhelm Weiße zu verdanken. In seiner 1873 in Kamenz gegründeten Kunst- und Handelsgärtnerei, reichte irgendwann der Platz nicht mehr aus für all die Pflanzen, die der leidenschaftliche Gärtner sammelte. Darunter zahlreiche Raritäten und Exoten. Deshalb wurde beispielsweise auch der heutige Volkspark sein Baumschulquartier, weiß die Chefin der Stadtgärtnerei, Manuela Rutkowsky zu berichten.

Eigene Züchtungen

Später überzeugte er die Stadtoberen, Flächen am damals recht kahlen Hutberg zu erwerben, um dort Bäume und Sträucher zu pflanzen und sie forstwirtschaftlichen Beobachtungen und Versuchen zu unterziehen. Vor allem Nadelgehölze faszinierten ihn. Ganz besonders die Blaufichte. Bis aus Nordamerika und Ostasien beschaffte er sich Pflanzen und Saatgut. Daraus züchtete er schließlich zwei eigene Blaufichten-Sorten, die er König Albert und Fürst Bismarck taufte. Bei Erster wachsen die Zweige der Baumkrone Kandelaber-artig, also wie bei einem Kerzenleuchter, erklärt Heidrun Pallmann, frühere Stadtgärtnerei-Chefin und heutige Vorsitzende des Hutberg-Fördervereins. Die Äste der Sorte Fürst Bismarck hingegen seien im Kronenbereich eher waagerecht abgespreizt. Auf historischen Bildern, welche junge Bäumchen dieser Sorten zeigen, sehe man die Unterschiede sehr gut.

Einige Exemplare dieser zwei Weiß’schen Züchtungen sind bis heute in der Pillnitzer Nadelgehölzsammlung und auf dem Kamenzer Hutberg erhalten. Was allerdings zum Großteil fehlt, sind Aufzeichnungen der Forschungergebnisse von Wilhelm Weiße. „Es gibt so gut wie keine Unterlagen mehr“, bedauert die Kamenzerin. Denn 1945 habe man sein komplettes Archiv aus der Villa Weiße in ein Gewächshaus ausgelagert. Was dann passierte, liegt eigentlich auf der Hand: „Papier verträgt Gewächshausluft auf Dauer nicht“, erklärt Heidrun Pallmann.

Robuste Baum-Nachkommen ziehen

Das aufgeschriebene Wissen war dahin. Nun sollen mittels Vermehrung die zwei Züchtungen für die Nachwelt erhalten werden. Denn der Bestand am Hutberg sei inzwischen überaltert, so Manuela Rutkowsky. Die Prietitzer Baumschulgärtner werden die Reiser auf ganz normale winzige Fichten aufpfropfen und daraus Nachkommen der Weiß’schen Blaufichten ziehen. Sobald die Bäumchen kräftig genug sind, sollen sie dann den Bestand am Hutberg verjüngen.

Damit wird quasi kulturelles Erbe erhalten, erklärt Gärtnermeister Jörg Kohout. Seine Baumschule hat mit derlei Veredlungen und Vermehrungen bereits reichlich Erfahrungen. Denn die Prietitzer erledigen solcherlei Arbeiten längst nicht mehr nur fürs eigene Unternehmen, sondern beispielsweise auch für den Sächsischen Staatsforst. Der sucht momentan die ältesten Fichten, Eichen und Lärchen in Deutschland, die dank bestimmter Resistenzen dem Borkenkäfer, Trockenperioden, Dauernässe oder anderen Widrigkeiten standgehalten haben, erzählt Jörg Kohout. Aus diesem Genmaterial sollen die Prietitzer nun robuste Nachkommen ziehen, um Wälder aufzuforsten.