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Die Schönheit des Vergehens

Jürgen Wenzel zeigt in Quohren seine morbiden Bilder, in denen er toten Karpfen und Fasanen ein Denkmal setzt.

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© Thomas Morgenroth

Von Thomas Morgenroth

Quohren. Der Karpfen reißt das Maul auf, zum letzten Mal. Oder vielmehr Mahl: Der Fisch, hübsch mit Muscheln und Zwiebeln dekoriert, wird gerade verspeist. Sein Anblick freilich ist kaum noch appetitanregend: Die Gräten spießen aus dem aufgerissenen Bauch, die Wirbelsäule liegt bloß, die gekochten Augen blicken gelb und starr. Nein, schön ist das Tier nun nicht mehr, es ist ein in Auflösung begriffener Kadaver, den zu entsorgen sich der Mensch beeilt, will er doch nicht länger sehen, womit er gerade seinen Hunger gestillt hat.

© Thomas Morgenroth

Wenn alle anderen den Blick abwenden, schaut Jürgen Wenzel ganz genau hin. Und malt ein Stillleben des Karpfens, das alles andere als still ist. Ein Teufel ist es, der auf der Leinwand aufersteht, ein untotes Ungeheuer, ein Rächer der geknechteten und aufgegessenen Kreatur. Nein, ein Moralapostel sei er nicht, sagt der Maler, aber er zeigt den Kreislauf der Natur ungeschminkt und führt den Fleischessern mit wuchtigen Gemälden und Grafiken ihre Bigotterie vor Augen. Sorgsam arrangiert, wie derzeit in der Galerie Q in Quohren.

Wenzel, Jahrgang 1950, der Rembrandt und Soutine, aber auch Francis Bacon zu seinen Anregern zählt, interessiert die Ästhetik des Todes, die Dramatik und die Schönheit des Vergehens. Den Künstler, der in Burgstädtel bei Dohna wohnt und arbeitet, reizen Formen und Farben und die Motive: Das Ende des Lebens einer Spezies zum Zwecke der Ernährung einer anderen. Das führt bei Wenzel zu mitunter makabren Bildfindungen, wie dem Tanz der Fasane. Lustig sieht es aus, wie die bunten Vögel mit gewagten Verrenkungen über den Tisch trippeln, die schlanken Hälse drehen und mit den Flügeln schlagen. Aber nur auf dem ersten Blick. Der zweite offenbart den aufgeschnittenen Körper, das gebrochene Genick, die fehlenden Federn.

Bilder vom Schlachthof

Eigentlich mag der aus Annaberg stammende Wenzel keine toten Tiere, vielleicht aber ist es ja gerade diese Abneigung, weshalb ihn das Sujet fasziniert. Sein Thema fand er während des Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Angehalten, Arbeiter in der sozialistischen Produktion zu porträtieren, suchte er sich die Fleischer im Schlachthof in Dresden für seine Bilder aus. Dort fand er die von ihm erhofften spannenden Situationen vor – und Rinderhälften. Motive, an denen er sich festbiss – im übertragenen Sinne natürlich nur –, und die schließlich zu seiner Diplomarbeit wurden.

„Das sind extreme Bereiche, in denen ich mich bewege“, weiß Wenzel, der allerdings weit mehr als ein Schlachthofmaler ist. Figuren und Porträts haben bei ihm den gleichen Stellenwert. Dann geht die Grafik bei Wenzel seit jeher Hand in Hand mit der Ölmalerei. 1982 gründete er mit Anton Paul Kammerer, Bernd Hahn und Andreas Küchler auf der Bürgerstraße 53 in Dresden-Pieschen das Atelierhaus und die Druckerei B 53, seit 1991 in Burgstädtel ansässig, wo Wenzel seit 1998 wohnt. Jährlich gibt er Grafikmappen heraus, die bei Sammlern begehrt sind. In Quohren zeigt er einige Blätter aus seiner Hommage an die Künstlergruppe „Die Brücke“.

Mit Fränzi und den anderen jungen Mädchen an den Moritzburger Teichen, wo sie den „Brücke“-Malern Modell standen, und dem Fasanenschlösschen schließt der Künstler den Kreis zu seinen Karpfen, Hummern, Wildenten und Fasanen, die ja dort gezüchtet, gefischt, geschlachtet oder auch geschossen werden. Ihnen setzt Jürgen Wenzel eigenwillige Denkmale, die nicht jedem schmecken werden.

Jürgen Wenzel „stillesleben“, Malerei und Grafik, bis 26. August in der Galerie Q, Schulweg 3, im Kreischaer Ortsteil Quohren; Fr/Sa 15-19 Uhr; Tel. 035206 39561.