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Die Sprücheschreiberin

Juliana Dressel-Zagatowski verschönert die Pirnaer Schaufenster. Entwickelt sich diese Aktion zum Exportschlager?

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© Kristin Richter

Von Mareike Huisinga

Pirna. Das junge Pärchen schlendert durch die Schössergasse und stutzt schließlich vor dem Schaufenster des Bastelgeschäfts „Creatives Hobby“. „Schau mal“, sagt die Frau und zeigt auf den schwungvoll geschriebenen Spruch. „Es gibt einen Weg zum Glück“, liest sie laut vor und wendet ihren Blick auf das zweite Schaufenster, auf dem die Lösung steht: „Glücklichsein ist der Weg.“ Sie muss lächeln, genauso wie ihr Partner. Dann fassen sie sich an den Händen und gehen weiter. Offensichtlich haben die beiden ihren Weg gefunden.

Obwohl einige Schriftzüge bereits verblasst sind, erregt die Aktion „Kalligrafie an den Schaufenstern“ immer noch Aufmerksamkeit. Das Gesicht, das dahinter steht, ist Juliana Dressel-Zagatowski aus Pirna.

Im Auftrag des Citymanagements Pirna hat sie im Mai zum Muttertag zahlreiche Schaufenster in der Pirnaer Altstadt mit klugen, anregenden und nachdenklichen Sprüchen verschönert. Die richtige Frau für die richtige Aufgabe, denn Dressel-Zagatowski ist ausgebildete Kalligrafin.

Das Aussuchen der Sprüche, Sprichwörter und Aphorismen übernahm das Citymanagement gemeinsam mit den teilnehmenden Geschäften. „Wir versuchen, solche Texte zu wählen, die einen Bezug zu dem Warenangebot haben“, erklärt Jana Türke vom Citymanagement Pirna. Zum Beispiel stand lange Zeit an der Buchhandlung Gladrow die Weisheit: „Bücher erreichen Ecken, da kommt kein Fernseher hin.“ Besser kann man Lesegenuss nicht ausdrücken. Ziel der Aktion ist, Passanten zum Schmunzeln und Stehenbleiben zu animieren und somit noch stärker auf die Auslage und die Angebote der Geschäfte hinzuweisen. Rund 150 Schaufenster beschriftete Juliana Dressel-Zagatowski im Frühjahr. „Ich arbeite immer nur nachts“, sagt die 52-Jährige, die für diese Entscheidung gute Gründe hat. „Tagsüber bin ich in meinem Hauptberuf tätig“, sagt die Leiterin der Dresdner Gutenberg-Oberschule.

Zweitens hat sie während der Nachtstunden mehr Ruhe. „Sonst würde ich oft angesprochen werden. Unterbrechungen stören den Schreibrhythmus“, erklärt die Expertin. Und schließlich sei der Hinguck-Effekt größer, wenn sämtliche Schaufenster von einem Tag auf den anderen mit Aufschriften versehen sind. Eine sportliche Herausforderung: Für die Schönschreibaktion braucht sie über acht Stunden. Glücklicherweise bekommt sie viel Unterstützung. „Ein Kaffee-Restaurant hat mir beispielsweise heißen Tee herausgebracht“, erinnert sie sich.

Überhaupt kommt die Aktion gut bei den Geschäftsleuten an. Die Mitarbeiter der Pirnaer Seifenoper in der Barbiergasse zeichneten den Schriftzug sogar von innen nach, um ihn auch bei schlechter Witterung zu erhalten.

Eine weise Maßnahme, denn Juliana Dressel-Zagatowski schreibt ausschließlich von außen an die Scheiben. Dazu benutzt sie einen Spezialstift mit flüssiger Kreide.

Schön zu schreiben ist für die Pirnaerin zu einer Leidenschaft geworden. „Im Schreiben kann man sich selbst erkennen. Es ist eine Belobigung“, sagt die Künstlerin. Sie überlegt einen Moment und fügt hinzu: „In der Art und Weise, wie ich schreibe, klingt oftmals eine Botschaft mit.“

Kalligrafie als Therapie

Diese Einordnung ist umso erstaunlicher, da sie als Kind im Schönschreiben nicht gerade glänzte. Dressel-Zagatowski muss lächeln und berichtet: „Ich war eine gute Schülerin, aber im Schreiben bekam ich meistens nur Vieren.“ Bei den Füllern, die ihr Vater ihr schenkte, drückte sie die Spitzen in kürzester Zeit breit. Schließlich war es auch ihr Vater, der mit ihr ein ernstes Gespräch führte. „Durch das Schriftbild stellt man sich vor und zeichnet sich selber aus“, erklärte er seiner Tochter, die sich diese Worte zu Herzen nahm, daraufhin fleißig übte und entsprechend ihren Berufsweg wählte. Nach dem Studium – Kunst und Russisch – bekam sie 1986 eine Assistenzstelle an der Pädagogischen Hochschule in Dresden, wo sie zur Kalligrafin ausgebildet wurde.

Auch als Schulleiterin begleitet sie das schöne Schreiben weiter. Haben die Schüler ihre Aufgaben gemacht, bietet sie Feder und Tinte an, damit die Jungen und Mädchen in schöner Schrift Gedanken, Gedichte oder andere Texte zu Papier bringen können. „Die meisten sind mit großer Begeisterung dabei. Selbst Jugendliche, die unter Hyperaktivität leiden, konzentrieren sich über einen längeren Zeitraum“, sagt die Pädagogin, die in diesem Zusammenhang Kalligrafie auch als eine Form von Therapie einordnet.

Sicher ist bereits heute: Im nächsten Sommer wird es eine neue Auflage der Aktion „Kalligrafie an den Schaufenstern“ in Pirna geben. Generell spricht Jana Türke von einer Erfolgsgeschichte. „Viele Touristen sind begeistert. Ich habe schon Passanten gesehen, die die Sprüche fotografieren.“ Sogar das Ausland zeigt Interesse. „Es gibt Anfragen unter anderem aus der Schweiz, die die Idee kopieren wollen“, berichtet Türke.

Sollte sich hier ein neues Geschäftsfeld für die Stadt erschließen? Abwarten!