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Die Spur führt in die Dresdner Punk-Szene

Wer erstach den Ingenieur Thomas Hummel? Diese Frage stellt sich die Kripo schon seit über 20 Jahren. Zurzeit prüfen die Beamten 167 neue Hinweise.

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Von Alexander Schneider

Es ist bisweilen skurril, wenn Polizeibeamte heute Zeugen befragen, die vor 20 Jahren in der Dresdner Punkszene unterwegs waren. Inzwischen hat sich manch früherer Totalverweigerer eine durch und durch bürgerliche Existenz aufgebaut, ist Arzt, Therapeut oder arbeitet als Tätowierer. Andere dagegen leben noch immer den Punk der frühen 90er und haben ihre Ressentiments gegenüber der Polizei beibehalten.

Doch Mord verjährt nicht. Und so kommt es immer wieder vor, dass Kriminalhauptmeisterin Barbara Wehling und Hauptkommissar Torsten Beyer noch heute ihre Fühler in die Punkszene ausstrecken müssen. Dort vermuten sie den Mörder von Thomas Hummel, der am 18.März 1991 in Laubegast auf offener Straße erstochen wurde. Zeugen sahen einen Punk – eine unsaubere Gestalt mit Tarnfleckenjacke, bunten Haaren und Irokesenfrisur – vom Tatort flüchten.

Hummel war ein optimistischer, intelligenter Ingenieur, der als angenehmer Zeitgenosse beschrieben wird. Als er an jenem Morgen zur Arbeit aufbrach, sollte es sein letzter Gang werden. In der Laibacher Straße wurde er gegen 6.15Uhr von seinem Mörder niedergestochen. Die Polizei geht von einem blutigen Kampf aus, bei dem der Täter seinem Opfer fünf Messerstiche zugefügt hatte und selbst verletzt wurde. Hummel verblutete am Tatort. Er wurde 26 Jahre alt.

In der kleinen Stube der beiden Ermittler im dritten Stock der Polizeidirektion sammelt sich nun das gesamte Wissen um den rätselhaften Fall. Es füllt viele Akten: Zeugenaussagen, Gutachten, Phantombilder, DNA-Spuren und dergleichen. Alles, was helfen könnte, den Täter ausfindig zu machen.

167 Hinweise nach „XY“

Seit Juni wachsen die Akten wieder schneller. Da hat das ZDF-Magazin „Aktenzeichen XY…ungelöst“ ausführlich den Mordfall Hummel vorgestellt. In einem 14-minütigen Krimi entführten die Fernsehfahnder ihr Publikum in die frühen 90er. Die Mühe hat sich gelohnt: Nach der Ausstrahlung gingen 167 Hinweise ein. Aus ganz Deutschland.

Darunter waren vielversprechende Tipps, wie die Aussagen mehrerer Gefängniswärter und ehemaliger Gefangener. Und es war auch einiges Bizarre dabei: „Eine Hellseherin vermutete den Täter nach einer Vision irgendwo im Raum Heilbronn“, sagt Torsten Beyer. Sein Blick verrät, dass diese Spur wohl nicht zu den heißesten gehörte. Wieder andere Zuschauer haben noch während der Sendung mal schnell im Internet gegoogelt, um den Fahndern zu erzählen, wo man nach einem Punk mit dem Spitznamen „Steini“ suchen könnte. Dazu fällt selbst Beyer nichts mehr ein.

Inzwischen hat das Duo Wehling/Beyer ein Drittel der neuen Hinweise abgearbeitet. Eine heiße Spur war nicht darunter. Konkrete Angaben zu Personen ließen sich schnell überprüfen – durch einen DNA-Abgleich. Denn die Polizei hat den genetischen Fingerabdruck des Täters. Der konnte zehn Jahre nach der Tat dank der inzwischen verfeinerten Technik von Blutspuren an der Kleidung von Thomas Hummel gewonnen werden.

Die Überprüfung der verbleibenden Hinweise bedarf eines längeren Atems. Wieder spielt die Punkerszene eine Rolle. Es gibt Tipps zu und von altgedienten Punkern oder Leuten, die etwa als Sozialarbeiter Zugang zu der Neustädter Szene hatten – und in all den Jahren nie befragt wurden. Erst kürzlich erhielten die Beamten ein Buch über Dresdner Punker, von dem sie sich weitere Zeugen versprechen, um den alten Mordfall aufzuklären.

Es ist ein schwieriges Geschäft. „Mancher bekommt kalte Füße, wenn wir ihn befragen wollen. Doch andere sind offener. Eine Frau sagte uns: ,Ich hab’ viel Scheiße gebaut – aber bei Mord hört der Spaß auf‘“, sagt Barbara Wehling. Ihre Ermittlungen müssen sie und Kollege Torsten Beyer nach ihrer tägliche Arbeit richten. Aktuelle Todesfälle haben Vorrang.

Für Hinweise, die zur Ergreifung des Mörders von Thomas Hummel führen, wurden 5000 Euro ausgesetzt. Die Polizei bittet Zeugen um Hilfe unter 4832233.