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Die Stasi spähte vom Feuerwachturm

Ein ehemaliger Priestewitzer beweist mit seiner Stasiakte: „Horch & Guck“ nutzte den Turm im Gävernitzer Wäldchen.

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Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Der Feuerwachturm an der B101 zwischen Gävernitz und Ockrilla wurde von der Stasi als Beobachtungspunkt genutzt. Den Beweis lieferte dieser Tage Johannes Riedrich (82) mit Auszügen aus seiner mehr als 1000 Seiten umfassenden Stasi-Akte.

Verdächtig, weil zu häufig hier

Riedrich, der 1949 von Priestewitz nach Köln gezogen war, hatte eine enge Bindung zu seinen Verwandten in der DDR. Innerhalb von 40 Jahren war er etwa 80 Mal zu Besuch bei seiner Schwester in Gävernitz und bei seinen Eltern. Aber nicht nur diese Häufigkeit machte ihn verdächtig. Hinzu kam, dass er dabei regelmäßig an der sowjetischen Kaserne in Meißen-Bohnitzsch vorbei fahren musste. Wenn Riedrich in der DDR war, wurde er auf Schritt und Tritt beobachtet. Der Turm, von dem aus die heutige B101 von Bohnitzsch bis nach Gävernitz einzusehen ist, spielte dabei eine wichtige Rolle.

Allerdings konnte „Horch & Guck“, wie die Stasi im Volksmund genannt wurde, nicht unkontrolliert auf den Turm steigen. Die Genossen mussten sich jedesmal in der Bezirksdirektion Straßenwesen in Dresden den Schlüssel holen. Auch das geht aus den Beobachtungsprotokollen hervor.

Der gegenseitigen Kontrolle diente auch die Tatsache, dass immer zwei Genossen auf Beobachtungsposten gingen. Der Turm wurde übrigens nicht als Feuerwachturm, sondern als Funkumsetzerturm bezeichnet.

In den Protokollen ist minutengenau vermerkt, wann Riedrich mit dem Auto in welcher Richtung unterwegs war, wer bei ihm im Wagen saß und welche Durchschnittsgeschwindigkeit er in der Ortslage Ockrilla fuhr. Dazu wurde die Zeit zwischen dem Passieren von Ortseingang und Ortsausgang gestoppt. Auch am Turm selbst gab es eine Geschwindigkeitsmessstrecke.

„Ich habe natürlich genau darauf geachtet, nie zu schnell zu fahren“, sagt Johannes Riedrich. Einmal sei er trotzdem festgenommen und einen Tag lang verhört worden. Aus seiner Akte ging später hervor, dass er für einen Nato-Spion gehalten wurde. Seine Lebensgefährtin, die beim Straßenverkehrsamt in Köln arbeitete, war ebenfalls für die Stasi interessant. Ihr hatten die Genossen sogar in Köln nachgestellt und versucht, von ihr Informationen zu bekommen.

Bis in den Intershop verfolgt

Johannes Riedrich hat laut gelacht, als er aus seiner Akte erfuhr, welchen Apparat er mit jedem seiner DDR-Besuche in Bewegung setzte. „Wenn wir beispielsweise von Gävernitz nach Meißen in den Intershop fuhren, wurden wir nicht nur vom Turm aus beobachtet, sondern per Funk weiter gemeldet, so dass uns in Meißen jemand hinterher fahren konnte.“

Erst 1986 wurde die Akte Riedrich geschlossen. Es hatten sich offenbar keine Indizien dafür ergeben, dass der frühere Priestewitzer seine Besuche in der Heimat nutzte, um die sowjetischen Truppen in Meißen-Bohnitzsch auszuspionieren.Jörg Mosch