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Die Wölfe kommen

Eine neue Gruppe grenzt an den Hohwald und Tschechien. Doch mehr Schafe reißen die Tiere bisher nicht.

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Von Irmela Hennig

Die Wölfe heulen in der Wolfsscheune auf dem Rietschener Erlichthof. Das eindrucksvolle Geräusch kommt hier nur vom Band. Doch es wird wahrscheinlicher, in der Region zwischen der Sächsischen Schweiz und dem Landkreis Görlitz einem Wolf zu begegnen. Vor allem im nordöstlichsten Zipfel von Sachsen. In einigen Ecken ist es schon so normal geworden, dass die Menschen Sichtungen gar nicht mehr melden, bedauert Ilka Reinhardt vom Lupus Institut für Wolfsmonitoring und Wolfsforschung. Die Wissenschaftler aber sind unbedingt angewiesen auf jeden Tipp aus der Bevölkerung. Aktuell leben wohl 16 Rudel und Paare in der Region. Ihre Wolfsreviere verschieben sich immer wieder. Deswegen appelliert Ilka Reinhardt an die Menschen, jede Sichtung an die Experten weiterzugeben.

Bei Biehain gerieten im August zwei Wölfe in die Fotofalle. Die Welpen gehören zu einem neuen Rudel, das sein Revier an der polnischen Grenze hat und eine Lücke füllt, die das Nieskyer Rudel hinterlassen hat. Das ist weiter nach Westen gerückt. Foto: Lupu
Bei Biehain gerieten im August zwei Wölfe in die Fotofalle. Die Welpen gehören zu einem neuen Rudel, das sein Revier an der polnischen Grenze hat und eine Lücke füllt, die das Nieskyer Rudel hinterlassen hat. Das ist weiter nach Westen gerückt. Foto: Lupu

Das Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz hat nun über den Stand der Dinge in Sachen Wölfe insgesamt informiert. Demnach gibt es in Ostsachsen gesichert vier neue Wolfsrudel. Eines davon liegt unweit des Hohwaldes, von Neustadt keine 30 Kilometer entfernt in Cunewalde bei Oppach. Die anderen neuen Gruppen haben ihr Revier in den Königshainer Bergen, um Biehain im Osten des Landkreises Görlitz und bei Knappenrode. Auch im tschechischen Rumburk – da sind sich die Experten ziemlich sicher – soll es Wölfe geben. „Die kommen möglicherweise auch zu uns“, schätzt Ilka Reinhardt. Vielleicht sogar in die Sächsische Schweiz.

Hinzu kommen zwei Paare – bei Bernsdorf und bei Neustadt im Landkreis Bautzen, wobei das Neustädter vielleicht schon Nachwuchs hat und damit ein Rudel ist. Außerdem leben in Sachsen zwei weitere neue Rudel – in der Gohrischheide bei Zeithain sowie bei Raschütz im Landkreis Meißen, recht nahe der Oberlausitz. Unklar ist, ob es im Zittauer Gebirge eine Wolfsfamilie gibt. Die Experten konnten zwar einzelne Hinweise und Spuren finden, aber nicht in kurzen Zeiträumen. Ein bestimmtes Tier muss im Abstand von sechs Monaten mindestens zweimal in einem Territorium nachgewiesen werden, sodass man vermuten kann, dass es sesshaft ist.

In ganz Sachsen leben inzwischen 18 Rudel und Paare sowie ein Einzeltier in der Hohwaldregion. Im Beobachtungszeitraum 2014/2015 zählte man lediglich zehn Rudel und ein Einzeltier. In acht Rudeln konnte für dieses Jahr Nachwuchs festgestellt werden. Welpen kamen bei den Wolfsfamilien in Daubitz, Nochten, Biehain, Milkel, Knappenrode und Raschütz zur Welt. Bei den Tieren in Dauban und Neustadt bei Hoyerswerda konnte das Muttertier, die Fähe, mit Gesäuge entdeckt werden. Bei den anderen Rudeln, unter anderem in den Königshainer Bergen, bei Niesky und Cunewalder Rudel, gibt es noch keine Hinweise auf Junge. Ilka Reinhardt geht davon aus, dass die Zahl der Rudel in Sachsen zunehmen wird. Wann und wo sie sich niederlassen, könne man nicht vorhersagen. Es sei aber schon überraschend, dass sich die Tiere in Ostsachsen auf relativ engem Raum immer noch neue Gebiete suchen. So ist es im Fall des Biehainer Rudels direkt an der polnischen Grenze. Das nutzte eine Lücke, die frei geworden war. Zuvor war das Nieskyer Rudel dort ansässig. Das ist aber weiter gen Westen gerückt, nachdem dort das Kollmer Rudel verschwunden war. Die Nähe – „das geht wohl nur, weil die Wölfe hier oft miteinander verwandt sind“, sagt Ilka Reinhardt vom Lupus Institut. Mitunter würden Töchter unweit ihrer Eltern eine Familie gründen. Das werde teilweise geduldet. „Es zeigt auch, dass genügend Nahrung für alle vorhanden ist, sonst würden das die Eltern nicht zulassen“, so Ilka Reinhardt.

Das sei ein Indiz dafür, dass der Bestand an Reh- und Rotwild nicht zurückgeht. Dies aber wird von einigen Jägern angedeutet. Helene Möslinger vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz weist aber darauf hin, dass die Zahl der von Jägern erlegten Rehe – dem Lieblingsmahl der Wölfe – nicht rückläufig sei. Das zeigen die Zahlen der Unteren Jagdbehörde. Außerdem ergeben Kotuntersuchungen auch immer wieder – Wild steht auf dem Speiseplan der Wölfe an erster Stelle und muss nicht ersetzt werden, weil die Rehe fehlen.

Nutztiere wie Schafe und Ziegen spielen in der Statistik nur eine untergeordnete Rolle. Von Januar bis September dieses Jahres wurden dem Kontaktbüro 42 Fälle gemeldet, in denen Wölfe Nutztiere gerissen haben sollen. In 23 Fällen konnten Sachverständige das bestätigen oder nicht ausschließen. Dabei wurden 135 Tiere getötet, zehn werden vermisst, vier wurden verletzt. Diese Woche kamen gleich zwei neue Vorfälle hinzu. Ein Wolf oder mehrere Wölfe haben in der Nacht zum Mittwoch eine Schafherde bei Cunnewitz in der Nähe von Kamenz überfallen. Nur einen Tag später kamen sie offenbar wieder. Dann wurden weitere Schafe angegriffen und getötet. 29 Tiere sind tot. Es war die gesamte Herde.

Der Herbst sei dabei die Jahreszeit, in der verstärkt Übergriffe auf Nutztiere vorkommen. „Die Welpen sind dann größer, und die Rudel brauchen mehr Nahrung“, erklärt Vanessa Ludwig vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz. Die meisten Wolfsangriffe auf Vieh gab es dieses Jahr im Raum Bautzen mit 13 Fällen. Der aktuelle Übergriff in Cunnewitz ist da noch nicht mit eingerechnet. Im Landkreis Görlitz waren es dagegen sieben. Dass mehr Wölfe mehr Nutztierrisse bedeuten, bestätigen die Experten nicht. Es sei eher so, dass es mehr Angriffe auf Schafe, Ziegen und Co. gibt, wenn sich irgendwo ein Rudel neu ansiedelt. „Dann sind die Herden oft noch nicht ausreichend geschützt“, so Vanessa Ludwig. Deswegen schwanke die Zahl der Risse von Jahr zu Jahr, nehme aber nicht kontinuierlich zu.

Den Schutz der Nutztiere lässt sich der Freistaat einiges kosten. 2015 gab es dafür über 311 000 Euro. Das war ein deutlicher Sprung im Vergleich zum Vorjahr, hatte aber damit zu tun, dass ganz Sachsen als Wolfsland eingestuft wurde – überall können Halter Geld beantragen. (mit SZ/kat)

www.wolfsregion-lausitz.de