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Der Macher der Heimatblätter in Reinhardtsgrimma

Der Liebe wegen zog Norbert Schulz in einen beschaulichen Ortsteil von Glashütte. Dort schrieb er seine ganz eigene Geschichte.

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Für Norbert Schulz ist Reinhardtsgrimma längst Heimat geworden. Das 			Heimatblatt, das seit 15 Jahren durch ihn besteht, ist mehr als der Beweis 		dafür.
Für Norbert Schulz ist Reinhardtsgrimma längst Heimat geworden. Das Heimatblatt, das seit 15 Jahren durch ihn besteht, ist mehr als der Beweis dafür. © Matthias Schildbach

Von Matthias Schildbach

Jeder Reinhardtsgrimmaer kennt Norbert Schulz. Nicht weil er mitten im Oberdorf wohnt, wo ihn jeder finden kann, sondern weil der 72-jährige seit Jahren Vorsitzender des Heimatvereins ist und mit rührseligen Angeboten für die Dorfgemeinschaft das Zusammenleben schon oft bereichert hat. Vor allem eine Aufgabe hat es ihm angetan: Er ist Initiator, Chefredakteur und Herausgeber der "Grimmschen Heimatblätter", einer vorzeigbaren Heimatzeitung, die in diesem Jahr mit ihrer 60. Ausgabe auf 15 Jahre Bestehen zurückblicken kann.

Von der BRD in die DDR – der Liebe wegen

Dass Nobert Schulz 1951 in Essen geboren wurde und im tiefsten Kalten Krieg vom westdeutschen Bundes- zum DDR-Bürger wurde, war von Anfang an kein Geheimnis. Darauf angesprochen, schmunzelt er etwas verwegen, entgegen dem Ausreisestrom aus der DDR diesen Schritt getan zu haben. Wie kam es zu diesem ungewöhnlich wirkenden Lebensschritt?

Die Verbindung zu Reinhardtgrimma hatte bereits seit der Kriegszeit bestanden, als Norbert Schulz' spätere Schwiegermutter bei einer Nachbarsfamilie in Essen in Stellung war. Die freundschaftlichen Bande hielten und so durfte Schulz' Schwester 1957 als Zehnjährige nach Reinhardtsgrimma in die Ferien fahren. Ihre begeisterten Erzählungen von dort weckten Interesse bei seinen Eltern und ihm.

Inzwischen nach Solingen verzogen, besuchte Familie Schulz Reinhardtsgrimma in den Jahren 1963, 1964 und 1965. 1963 war Norbert Schulz zwölf Jahre alt, ungeheuer aufgeregt vor den unheimlichen Grenzkontrollen. Er erinnert sich noch an die Tristesse der grauen Häuser in der DDR und wie verfallen alles war. In diesem Jahr lernte er die sechsjährige Hella kennen. Die Kinder verbrachten wundervolle Ferien, sie badeten im Dorfteich, gingen in die Pilze, zogen durchs Dorf. Die schönsten Kindheitserinnerungen nahm Norbert Schulz aus diesen Tagen mit sich.

Hella sah er erst acht Jahre später bei einem Besuch 1973 wieder: er 22, sie 16. "Ich hatte mich sofort in sie verliebt, was man mir wohl auch ansah", erinnert sich Norbert Schulz. "Sie trug ein in der DDR sehr beliebtes Kleidungsstück, einen Dederonkittel". Die Liebe hielt, ein nahezu täglicher Briefwechsel zwischen West und Ost stellte sich ein und gelegentliche Telefonate, die ja umständlich erst angemeldet werden mussten.

Was blieb von diesem Ferienaufenthalt, war der unbedingte Wunsch beider, zusammen zu sein. Hella wollte ein Studium zur Unterstufenlehrerin beginnen und konnte sich von Reinhardtsgrimma nicht trennen. "Dann komm’ ich eben zu dir", beschloss Norbert Schulz, doch das war schwerer als gedacht. Der Antrag auf Übersiedlung in die DDR zog sich ewig hin. Von einschlägigen Institutionen wurde Norbert Schulz immer wieder befragt. Schließlich zog er nach Westberlin, damit war er der Wehrpflicht entzogen und erhielt Tagesvisa für die DDR.

Im Februar 1976 wurde ihm dann die Einreise in die DDR genehmigt. Mit einem eigens gekauften Ford 17M bewerkstelligte er den Umzug. Was dann kam, die Arbeitssuche, das heimisch werden, die Familiengründung, das ist eine andere Geschichte. Alles in allem kam er schnell an im Dorf und wurde in die Gemeinschaft integriert. Die Stasi sah das skeptischer, nach der Wende erfuhr Norbert Schulz, dass er und seine Familie über Jahre überwacht wurden. Sein Westauto durfte er wider Erwarten behalten, man hatte ihm lediglich die Auflage erteilt, ihn den staatlichen Maschinen- und Materialreserven anzubieten.

Ein Heimatblatt fürs eigene Dorf

2006 brachte der im Vorjahr gegründete Heimatverein anlässlich der 800-Jahr-Feier-Reinhardtsgrimmas eine Chronik des Ortes heraus. Norbert Schulz war von Anfang an dabei und einer der aktiven Macher. Dabei kam der Gedanke auf, wie man am besten die kommenden Jahre dokumentieren und sich trotzdem auch mit dem Vergangenen beschäftigen könnte. Und weil die damaligen Amtsblätter, das Reinhardtsgrimmaer wie auch das Glashütter, nicht allzu informativ und ansprechend waren, kam die Idee auf, eine eigene Zeitung ins Leben zu rufen. Und so ist sie es dann auch geworden, im Februar 2009 erschien das erste „Grimmsche Heimatblatt“: Eine Ortschronik ganz für sich mit vielen Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart.

Reinhardtsgrimma ist mit seinen über 730 Einwohnern heute Ortsteil der Stadt Glashütte.
Reinhardtsgrimma ist mit seinen über 730 Einwohnern heute Ortsteil der Stadt Glashütte. © Matthias Schildbach

Angefangen wurde mit einer Auflage von 70 Exemplaren. "Heute sind wir bei 140 Stück, und damit ist das ganze Dorf abgedeckt", sagt Norbert Schulz stolz. "Etwa 20 Ausgaben werden nach auswärts verschickt. Wenn sich die Veröffentlichung manchmal um einige Tage verzögert, dann klingelt bei mir schon das Telefon", lächelt der Chefredakteur. "Da sieht man, dass die Leute regelrecht drauf warten." Und trotzdem Ältere versterben, werden die Grimmschen Heimatblätter von den Jüngeren weitergelesen, die Verkaufszahlen sinken nicht.

Und wie sieht die Gegenwart aus, wie die Zukunft? Der Generationswechsel ist deutlich spürbar, die Älteren fallen weg, können aus gesundheitlichen Gründen an den Veranstaltungen des Vereins nicht mehr teilnehmen, versterben. Neue kommen zwar trotzdem hinzu, vor allem die, die ins Rentenalter eintreten, aber eben niemand Jüngeres. Jüngere sind kaum für den Heimatverein zu aktivieren, bedauert Norbert Schulz.

Viel Herzblut steckt in der Vereinsarbeit

Von den 26 Mitgliedern, die der Verein derzeit hat, sind etwa 10 Mitglieder aktiv an der Gestaltung beteiligt. Die Tendenz beider Zahlen ist sinkend. "Wir versuchen, mit dem Mobilitätsgrad und dem Alter der Mitglieder Schritt zu halten", sagt Norbert Schulz. Und so werden auch die Aktivitäten angepasst: Die Ausflugsfahrten in die Lausitz, zur Göltzschtalbrücke oder in die weitere Heimat, wie Schulz sie nennt, waren immer sehr schön. Schwerpunkt lege man nun aber mehr auf Seniorennachmittage, wo alte Fotos Reinhardtsgrimmas gezeigt werden, Reiseberichte erzählt werden. Das kommt immer gut an.

Aber auch Bastelnachmittage oder Töpfern bereiten sehr viel Freude. "Wir wollen uns da mehr auf kleine Sachen konzentrieren. Die großen Feste vorbereiten und durchführen, das machen andere", sagt Norbert Schulz. Bislang pflegt der Heimatverein auch den Wanderweg vom Schloss durch den Liebsteingrund, die Sitzgruppe und das Denkmal für 1945 umgekommene Munitionsberger am Grimmstein und das Burgareal am Grimmstein selbst. Die Figuren der Märchenwiese am Buschhaus werden durch das Vorstandsmitglied und Wegewart Witold Donath ausgebessert, gestrichen und gepflegt. Die Märchenwiese wird durch den Bauhof der Stadt unterhalten.

Das Domizil des Vereins ist im alten Erbgericht, wo eine stattliche Sammlung allerlei historischer Dokumente, Gegenstände und Ausstellungsstücke zusammengetragen wurde.

Die Ausgaben 1 bis 55 (2009-2022) können übrigens online gelesen werden unter https://reinhardtsgrimma.de/heimatblatt.html