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Dissertation auf Klopapier

In den Sammlungen der TU Dresden finden sich Raritäten. Darunter ist auch eine Doktorarbeit, die ein Soldat während des 1. Weltkrieges irgendwo in der Nähe von Verdun zu Klopapier brachte.

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© Sven Ellger

Von Jana Mundus

Sie war sein Schatz. Er musste seine wichtigste Habe irgendwie nach Hause bringen. Walther Pauer wusste, dass das gefährlich war. Oft hatte der Ingenieur Angst, dass sie entdeckt wird. Jahrelang war die unscheinbare Papierrolle sein Halt, sein Lichtblick, seine Hoffnung auf ein Leben nach der Kriegsgefangenschaft.

Das Modell zur Bewegungsumwandlung von Schubert.
Das Modell zur Bewegungsumwandlung von Schubert. © Sven Ellger
Der Schädel eines Perückenbocks.
Der Schädel eines Perückenbocks. © Sven Ellger
Walther Pauers Dissertation auf einer Klopapierrolle.
Walther Pauers Dissertation auf einer Klopapierrolle. © Sven Ellger

1916 war er in der Nähe von Verdun in die Hände französischer Soldaten geraten. Vor seinem Kriegsdienst als Offizier war der gebürtige Regensburger Assistent am Lehrstuhl für Kolbenmaschinen an der damaligen Technischen Hochschule Dresden. Während seiner Gefangenschaft nutzte er die Zeit und beschäftigte sich mit Fragen der Gegendruck- und Entnahmedampfmaschinen, sein Spezialgebiet. Er wollte den Doktortitel. Doch französische Beamte entdeckten seine Unterlagen und konfiszierten sie. Also schrieb er seine Gedanken und Berechnungen mit Bleistift auf das einzige Stück Papier, das ihm blieb: auf eine Rolle Toilettenpapier.

Unentdecktes in Kisten

Ganz vorsichtig hält Kirsten Vincenz die Rolle in den Händen. An einigen Stellen halten sie nur noch dünne Klebestreifen zusammen. Für die Direktorin der Kustodie der TU Dresden ist diese Dissertation auf Klopapier auch heute noch ein kleiner Schatz. Erst seit gut einem Jahr gehört die Pauer-Rolle zur Sammlung der Kustodie. „Natürlich hat er seine Arbeit nach der Rückkehr in die Heimat noch einmal ins Reine geschrieben und eingereicht“, erklärt sie. 1920 erhielt er dafür seinen Doktor, habilitierte später und war bis 1958 Professor und sogar Direktor des Instituts für Wärmetechnik und Wärmewirtschaft. In der ständigen Ausstellung der Kustodie im Bürogebäude am Zelleschen Weg 17 kann sich die Klopapierrolle jeder ansehen. Dort finden sich noch mehr Raritäten.

Insgesamt 50 000 Objekte gehören zu den mehr als 40 Sammlungen der TU Dresden. Viel zu tun für das dreiköpfige Kustodie-Team. Neben Kirsten Vincenz gehören seit diesem Jahr auch Jörg Zaun und Gwendolin Kremer dazu. Zaun leitete zehn Jahre lang die Kustodie in Freiberg. „An meiner neuen Aufgabe reizt mich nun vor allem das breite Spektrum der Sammlung“, sagt er und nimmt eines der ältesten Stücke aus einer Vitrine. Johann Andreas Schuberts Lehrmodell zur Darstellung der Bewegungsumwandlung aus dem Jahr 1832. Schon der Professor für Mathematik und Technische Wissenschaften wusste, wie wichtig es ist, dass die Studenten auch mal selbst kurbeln können. Dass sie mit eigenen Augen sehen, wie aus einer Kreisbewegung ein Hoch-und-runter wird. „Wir haben viele solcher Modelle aus der Lehre“, sagt Zaun. In den vergangenen Monaten hat er sich schon einen guten Überblick über den Bestand verschafft. Erstaunliches sei dabei. Allerdings lagere eben vieles ausschließlich im Depot.

Ein Punkt, über den auch Kirsten Vincenz schon viel nachgedacht hat. „Wir haben so wahnsinnig schöne Dinge und müssen in Zukunft dafür sorgen, dass sie wieder besser gesehen werden.“ Hinzu kommen viele Kunstobjekte aus den 1950er- bis 1980er-Jahren. Öffentlich gezeigt werden können sie in der Altana-Galerie der Kustodie im Görges-Bau auf der Helmholtzstraße. Um die Ausstellungen kümmert sich Gwendolin Kremer, die bisher als freie Kuratorin unter anderem in der Galerie Neue Meister tätig war. Die Objekte aus der Welt der Wissenschaft sind nun etwas Neues für sie. „Aber mit jedem Stück erweitere ich meinen Horizont. Das ist spannend.“ Für nächstes Jahr ist unter anderem eine Ausstellung zum Thema Materialien und Werkstoffe geplant.

Enormer Platzmangel

Das Sammeln geht auch heute weiter. Immer unter der Frage, was erhaltenswert ist. Der Platz in den Lagern ist knapp. „Für uns faszinierend sind beispielsweise Dinge aus der Lehre, die selbst gebastelt wurden“, sagt die Direktorin. So griffen zu DDR-Zeiten Hochschulmitarbeiter schnell mal selbst zu Pappe und Leim, um Modelle zu fertigen. Denkbar wären in Zukunft auch Forschungsprojekte zu den Sammlungen selbst. „Das wäre auch für uns interessant. Wir haben selbst noch längst nicht alles entdeckt.“