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Warum Toom-Mitarbeiter aus Döbeln im Job fremdgehen

Mitarbeiter mehrerer Firmen aus der Region Döbeln packen in den Roßweiner Werkstätten mit an. Auch Sächsische.de ist dabei. Alle haben denselben Grund.

Von Cathrin Reichelt
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Silke Frenzel (li.) – eigentlich Verkäuferin im Döbelner Toom Baumarkt –arbeitet einen Tag lang in den Roßweiner Werkstätten mit. Dort hilft sie unter anderen Andrea und Peter beim Verpacken von Lebensmitteln.
Silke Frenzel (li.) – eigentlich Verkäuferin im Döbelner Toom Baumarkt –arbeitet einen Tag lang in den Roßweiner Werkstätten mit. Dort hilft sie unter anderen Andrea und Peter beim Verpacken von Lebensmitteln. © Foto: Lutz Weidler

Roßwein. Mit kritisch prüfendem Blick steht Thorsten hinter mir. „Das machst Du gut“, lobt er und geht zurück an seinen Platz. Ich sitze in einem Arbeitsbereich der Roßweiner Werkstätten und klebe Pads auf Zwischenkeile für den Fensterbau. Zuvor hat mir Nico begeistert die Regulierungspatrone für ein Zirkulationsventil erklärt. Für deren Zusammenbau und Justierung ist er zuständig.

Der Aktionstag „Schichtwechsel“ hat mich in die Werkstätten geführt. Dabei haben am Donnerstag in ganz Deutschland Mitarbeiter aus Unternehmen ihren Arbeitsplatz mit dem in einer Werkstatt für behinderte Menschen getauscht.

Neben meinem Platz sorgt ein Radio für gute Stimmung. Anfangs werden noch die Neuigkeiten der vergangenen Stunden ausgetauscht. Dann beginnen alle zu arbeiten.

Einige Mitarbeiter haben dieselbe Aufgabe wie ich, andere nähen und füllen Kirschkernkissen, stecken Gefache oder verpacken Tuben mit Regenbogenglitzer. Alle arbeiten konzentriert, aber jeder nach seinem eigenen Rhythmus. Stückzahl-Vorgaben gibt es nicht.

Einen Tag die Perspektive wechseln

Werkstattleiterin Anne Möbius hatte 23 Partner aus verschiedenen Branchen und Verwaltungen für den Aktionstag angefragt. Einige haben gar nicht geantwortet, viele abgesagt. Nicht nur Personalknappheit, auch die Herbstferien spielen eine Rolle.

Silke Frenzel und ihre Kollegin von Toom in Döbeln packen in zwei anderen Bereichen der Roßweiner Werkstätten mit an. „Die Arbeit hier ist vielfältig, wie bei uns im Baumarkt“, sagt Silke Frenzel, die gerade Lebensmittel in Kartons verpackt.

Aber im Laufe des Tages will sie alles, was die Mitarbeiter in diesem Bereich tun, ausprobieren. Wie ich ist sie in der Gruppe gut aufgenommen worden.

„Die Leute sind sehr freundlich und neugierig. Es ist interessant, mal einen Tag mitzuerleben“, meint die Toom-Verkäuferin. Und sie sei froh, dass es solche Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung gibt.

Auch ein Angestellter des Gesundheitsamtes sowie Mitarbeiter der Firmen Gerüstbau Gemeinhardt aus Roßwein und Horizon Global Germany Hartha wechseln an diesem Tag den Arbeitsplatz und die Perspektive. Bei den beiden Letztgenannten und Toom dürfen im Gegenzug Mitarbeiter der Roßweiner Werkstätten in den Arbeitsalltag „schnuppern“.

Tagesstruktur besonders wichtig

„Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, was wir machen und welche Kompetenzen und Fähigkeiten dahinter stecken“, erklärt Anne Möbius den Hintergrund des Aktionstages.

Schön wäre es, wenn der eine oder andere Mitarbeiter durch den „Schichtwechsel“ die Möglichkeit für ein längeres Praktikum, einen längerfristigen Arbeitsplatz außerhalb der Werkstätten oder sogar die Chance auf eine Übernahme auf den ersten Arbeitsmarkt bekäme.

Zwei Mitarbeiter seien bereits auf einem guten Weg in diese Richtung gewesen. Doch dann kam Corona und habe alle Vorbereitungen zunichtegemacht.

Die Werkstätten haben zwei gleichwertige Säulen. Sie sind eine soziale Einrichtung mit und für Menschen mit einem Handicap und ein Partner der Industrie.

„Für jeden Menschen sind Familie, Wohnen, Essen und Arbeit wichtig. Wenn eins davon wegfällt, wie während der Pandemie, ist das für unsere Mitarbeiter sehr schwierig. Sie brauchen die Tagesstruktur besonders“, sagt die Werkstattleiterin.

Die 360 Mitarbeiter sind in sieben Arbeitsbereichen an der Stadtbadstraße in Roßwein, in fünf Bereichen und der Holzrestauration an der Wehrstraße sowie drei Montage- und zwei Holzabteilungen in Hartha beschäftigt. „Dabei hat es aber in den vergangenen Jahren einen Umbruch gegeben“, so Anne Möbius. Der habe sich bereits vor Corona abgezeichnet.

Jetzt auch Lebensmittel-Kunden

Bis 2019 hätten die Werkstätten drei bis vier große feste Kunden gehabt. Damit sei eine große Abhängigkeit verbunden gewesen. Einbrüche habe es dann während Corona und der Energiekrise gegeben. Das habe zu vielfältigeren Arbeiten im Verpackungsbereich geführt.

„Der Nachteil ist, dass wir viel flexibler auf Liefertermine und wechselnde Tätigkeiten reagieren müssen. Es gibt aber auch einen entscheidenden Vorteil: Wir können auf Engpässe mit kleineren Aufträgen reagieren“, so Anne Möbius.

Reagiert haben die Werkstätten auch darauf, dass ein Kunde weggebrochen ist, für den Elektromontagen erledigt wurden. Für den sei extra eine Art Reinraum gebaut worden. Der steht jetzt nicht leer. Dort werden nun Lebensmittel verpackt.

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Als das Angebot von einer Firma aus der Region kam, haben die Mitarbeiter das Gesundheitszeugnis beantragt und die Werkstätten Hygienekleidung angeschafft. „Inzwischen gibt es vier solcher Bereiche, neben der Stadtbadstraße zwei in der Wehrstraße und einen in Hartha“, sagt Anne Möbius.

Die gesamte Auftragslage habe sich stabilisiert. Der Garten- und Landschaftsbau, die Holzrestauration und die Wäscherei seien sehr gut ausgelastet. Für alle anderen Bereiche sind Anfragen willkommen. Insgesamt erwirtschaften die Mitarbeiter die Werkstattlöhne selbst.