Merken

Der lange Weg zur Geschäftsidee

Im Sommer 2014 lief Johanna Weber zu Fuß von Kassel nach Dresden. Seitdem ist sie in ihrem Leben große Schritte gegangen.

Teilen
Folgen
NEU!
© René Meinig

Von Nadja Laske

Dresden. Start und Ziel müssen nicht weit voneinander entfernt liegen, um eine große Reise zu machen. Vor drei Jahren lief Johanna Weber von Hessen nach Sachsen. Rund 360 Kilometer weit war die damals 30-Jährige mit ihren beiden kleinen Kindern und Mischlingshündin Thekla zu Fuß unterwegs. Ihre Tochter Charlotta, gerade neun Monate alt, absolvierte die ungewöhnliche Wanderung im Kinderwagen, deren größere Schwester Ronja rollte auf dem Laufrad nebenher. Gepäck, Proviant und Hundefutter hatte Johanna am Sportwagen verstaut.

Das Quartett legte pro Tag etwa 20 Kilometer zurück, übernachtete auf Zeltplätzen, in Pensionen und Pilgerstätten. Es war nicht etwa das Auto kaputt gegangen, und auch die Bahnangestellten streikten nicht. Johanna Weber war daheim die Decke auf den Kopf gefallen. Ihre Ausbildung zur Erzieherin hatte sie für das Babyjahr ruhen lassen. In ihrem Dorf am Rande von Kassel passierte nicht viel. Zumindest für sich und ihre Kinder wollte sie die Ereignislosigkeit in ein Erlebnis verwandeln. Wer besucht schon auf diese Weise die Oma in Dresden? Dort war Johanna groß geworden, und tief im Inneren sehnte sie sich doch immer zurück in ihre alte Heimat.

Die hat sie nun wieder. Für die Zeit ihrer Ausbildung blieb die junge Frau zunächst in Hessen. Ein Wechsel von Bundesland zu Bundesland wäre einfach zu kompliziert geworden. Die Lehrpläne unterscheiden sich doch stark. Dann aber entschloss sich die ganze Familie, nach Dresden zu ziehen und hier neu anzufangen. „Mein Mann ist Banker von Beruf und wollte auch etwas anderes versuchen“, sagt sie. Wer nichts wagt, gewinnt nichts, da waren sie sich einig.

Im kleinen, hellen Laden in der Nähe des Schillerplatzes geht ständig die Tür. „Kreativraum“ steht in geschwungener Schrift über dem Eingang. Kunden kommen und gehen. Die einen suchen ein bestimmtes Material, die anderen Garn. Eine Frau erkundigt sich nach den Nähkursen, die hier angeboten werden. Darf sie ihre eigene Nähmaschine mitbringen? Wie lange dauert der Lehrgang und wie viel kostet er? Johanna misst und schneidet Stoffe, wickelt Bänder von großen Rollen, lässt bunte Knöpfe in Papiertütchen gleiten. Sie erklärt und berät und ist ganz in ihrem Element.

Erst vor einigen Wochen hat sie gemeinsam mit ihrem Mann den Näh-Laden eröffnet. An Haken und auf Bügeln baumeln farbenfrohe Kleidchen, Hosen, Jäckchen. Auch selbst genähte Kleidung für Kinder und Erwachsene sind hier zu finden. Als Teil der Ladenzeile entlang der Tolkewitzer Straße fühlt sich Johanna zu Hause. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind auch die Kinder und Jugendlichen, für die die Pädagogin neben ihrer Arbeit im Geschäft außerdem da ist. Nicht Vollzeit, aber mit ganzem Einsatz kümmert sie sich um minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie in Dresden sind. Alltag im Heim, Schule, Hausaufgaben, Freizeit, Ausbildungssuche, dafür sind Betreuer wie sie wichtige Begleiter. Ihren Beruf als Erzieherin will Johanna nicht missen.

So geht sie in ihrem neuen Leben viele kleinere Wege, die zusammen eine wichtige Etappe bedeuten. An manchen Tagen legt sie locker 20 Kilometer zurück, wie damals auf der Tour von Kassel nach Dresden, jedoch ohne die Stadt zu verlassen. Das Ziel heißt Ankunft.