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Erster deutscher Passagier-Düsenjet aus der DDR: Das Ende der Flugträume

Luft- und Raumfahrtindustrie in Sachsen ist ohne die ehemalige DDR-Flugzeugindustrie nicht denkbar, auch wenn vor 65 Jahren der erste deutsche Passagier-Düsenjet abstürzte.

Von Ralf Hübner
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Was als Demonstration der Leistungsfähigkeit der DDR-Luftfahrt gelten sollte, endete in der Katastrophe.
Was als Demonstration der Leistungsfähigkeit der DDR-Luftfahrt gelten sollte, endete in der Katastrophe. © Foto: Stasi-Unterlagen-Archiv

Dresden. Das tragische Ereignis bewegt noch immer. Nach einer Flugzeit von etwa 50 Minuten zerschellte am 4. März 1959 auf einem Feld bei Ottendorf-Okrilla das in Dresden gebaute erste deutsche Düsenstrahl-Passagierflugzeug "152" beim zweiten Versuchsflug – 5,8 Kilometer von der Landebahn entfernt. Die vier Besatzungsmitglieder Ingenieur-Pilot Willi Lehmann, Versuchspilot Kurt Bemme, Bordingenieur Paul Heerling und Flugversuchsingenieur Georg Eismann kamen ums Leben.

Die Wucht des Unglücks hallt bis heute nach: Mit einer öffentlichen Kranzniederlegung wollen am Montag auf dem Neuen Friedhof in Klotzsche Hinterbliebene, ehemalige Flugzeugwerker, Vertreter der Stadt und Firmen der sächsischen Luft- und Raumfahrt-Industrie sowie Mitglieder der Gesellschaft zur Bewahrung von Stätten deutscher Luftfahrtgeschichte an das Unglück vor 65 Jahren erinnern. Es war der Anfang vom Ende des DDR-Flugzeugbaus.

Der Prototyp der „152“ zerschellte beim zweiten Übungsflug. Niemand an Bord überlebte.
Der Prototyp der „152“ zerschellte beim zweiten Übungsflug. Niemand an Bord überlebte. © Foto: Stasi-Unterlagen-Archiv

Dabei sollte jener 4. März, ein trüber Frühlingstag, eigentlich ein Tag des Triumphs werden. Die Ökonomen hatten gewarnt, doch der SED-Parteiführung und ihrem Chef Walter Ulbricht muss es wohl zu verlockend erschienen sein, mit Hilfe der nach dem Krieg aus der Sowjetunion zurückkehrenden Techniker und Ingenieure des ehemaligen Dessauer Junkerswerkes eine eigene Flugzeugindustrie aufzubauen – zumal Westdeutschland damals nichts Vergleichbares aufweisen konnte.

Ein erster erfolgreicher Erprobungsflug der "152" Anfang Dezember 1958 hatte optimistisch gestimmt. Jetzt sollte, einen weiteren erfolgreichen Versuchsflug vorausgesetzt, die Maschine zur Messe nach Leipzig fliegen, eine Schleife über dem Messegelände drehen und dort den sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow beeindrucken. Schließlich sollte das Flugzeug in die Sowjetunion geliefert werden.Ein Kamerateam sollte während des Versuchs bei einem Überflug Bilder machen, mit denen Chefkonstrukteur Brunolf Baade zwei Tage später bei einem Vortrag auf der Leipziger Messe glänzen wollte.

"Milchiger" Himmel am Unglückstag

Der Himmel sei an jenem Tag "milchig" gewesen, wird berichtet. Als das Flugzeug 12.55 Uhr auf die Startbahn rollte, sei er jedoch etwas aufgerissen. Doch dann lief einiges nicht planmäßig. Schon nach dem Start war die Maschine deutlich schneller auf 6.000 Meter Höhe gestiegen als eigentlich vorgesehen. Die Geschwindigkeit wurde nach und nach auf 500 Kilometer je Stunde gesteigert. Ungewöhnlich war, dass Pilot Willi Lehmann dann per Funk um Erlaubnis fragte, die Geschwindigkeit noch weiter zu erhöhen. Die Anfrage führte bei der Bodencrew zu einer rund zehnminütigen Debatte, bei der auch juristische Drohungen ausgesprochen sein sollen. Schließlich wurde das Ansinnen abgelehnt.

Lehmann soll Berichten zufolge "verschnupft" reagiert haben. Nach einer Flugzeit von 45 Minuten leitete er den Sinkflug ein, wieder deutlich schneller als vorgesehen. Möglicherweise ein folgenschwerer Vorgang, denn die Kraftstoffanlage hatte einen Konstruktionsfehler, der bis dahin nicht bekannt war. Die Maschine drehte eine Kurve in Richtung Flughafen. Als die Bodenstation noch einmal um eine Standortmeldung bat, meldete sich der zweite Pilot Kurt Bemme nur mit einer kurzen Antwort. Dann herrschte Stille.

Der Rumpf der „152“ steht am 29.11.2018 in einem Hangar vom Flughafen in Dresden.
Der Rumpf der „152“ steht am 29.11.2018 in einem Hangar vom Flughafen in Dresden. © Thomas Kretschel

Absturzursache wurde nie gefunden

Die Ursache des Absturzes konnte nie mit letzter Gewissheit gefunden werden. Eine Kommission nahm die Untersuchung auf, ihr Bericht blieb unter Verschluss. Offiziell war von einer "Verkettung unglücklicher Umstände" die Rede. In dem Bericht der Kommission hieß es, dass das Unglück vermeidbar gewesen wäre, wenn der Pilot eher "Gas gegeben" hätte. Denn das Flugzeug war in der letzten Phase möglicherweise schon in Vorbereitung auf den geplanten Überflug sehr langsam geworden – die Triebwerke drehten im Leerlauf – so dass es zu einem Strömungsabriss kam. Wollte der Pilot aber "Gas geben", dauerte es einige Sekunden, ehe die Triebwerke wieder Schub lieferten. Andererseits: Lehmann galt als erfahrener Pilot, der in der Sowjetunion schon oft große Strahlflugzeuge geflogen hatte und der die Eigenheiten von Düsentriebwerken kannte.

Zudem stellte sich heraus, dass die Kraftstoffanlage eine Fehlkonstruktion aufwies, wie sich im Oktober 1960 nach weiteren Versuchsflügen mit einem weiteren Modell der "152" bei Tankleerungsversuchen herausstellte. Auch die Aussagen von Zeugen des Absturzes konnten die Unglücksursache nicht weiter erhellen. Fest steht laut Experten nur, dass die Maschine in niedriger Höhe zu langsam geworden war. Die Triebwerke waren hingegen in Ordnung. Ob die Kraftstoffanlage trotz ihres Fehlers noch arbeitete, ist unklar. Am 7. März wurde in einer Halle des Flugzeugwerkes Trauerfeier gehalten.

Im August 1960 schließlich wurden mit einem weiteren fertiggestellten Flugzeug die Testflüge wieder aufgenommen, Doch dann streikten die Testpiloten Gerhard Güttel und Heinz Lehmann und drängen darauf, dass vor weiteren Flügen zunächst die Kraftstoffanlage des Flugzeugs untersucht werde. Bei erneuten Tankleerungsversuchen wurden die Fehler an der Anlage sichtbar. Das Erprobungsprogramm stockte. Eine mögliche Serienproduktion rückte in weite Ferne. Zudem hatte die Sowjetunion mittlerweile das Interesse an dem DDR-Flugzeug verloren. 1961 wurden deshalb die Arbeiten an der "152" eingestellt.

Die Unglücksstelle wird begutachtet. Feuerwehrleute verhindern, dass es zu Bränden kommt.
Die Unglücksstelle wird begutachtet. Feuerwehrleute verhindern, dass es zu Bränden kommt. © Foto: Stasi-Unterlagen-Archiv

Die "152" war das späte Erbe der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG aus Dessau, wo in den 1930er-Jahren unter anderem die Ju 52 produziert worden war, das erste dreimotorige Ganzmetallflugzeug der Welt. Der Ursprung der späteren "152" war das Entwicklungsflugzeug EF 150, ebenfalls ein Bomber, das unter Leitung des Flugzeugkonstrukteurs Brunolf Baade entwickelt wurde. Aus rein technischer Sicht hätte nach Meinung von Experten der Flugzeugbau trotz des Scheiterns der "152" nicht aufgegeben werden müssen. Allerdings litt der DDR-Flugzeugbau von Anfang an unter der fehlenden Zulieferindustrie und der nicht vorhandenen Einbindung in die internationalen Arbeitsteilung und Spezialisierung. Ein Umstand, der sich bis zum Ende der DDR nicht ändern sollte.