Dresden
Merken

Kältekammer Dresden: Als das Thermometer auf minus 27,4 Grad rutschte

In Dresden kann es im Winter kalt werden. Sehr kalt. Vor 95 Jahren wurden die bisher niedrigsten Temperaturen in der Stadt gemessen. Wie die Dresdner damit zurechtkamen.

Von Ralf Hübner
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Blick vom Dresdner Altstadtufer unterhalb der Augustusbrücke über die zugefrorene Elbe mit Passanten auf das Neustädter Ufer im Winter 1929.
Blick vom Dresdner Altstadtufer unterhalb der Augustusbrücke über die zugefrorene Elbe mit Passanten auf das Neustädter Ufer im Winter 1929. © Deutsche Fotothek/Walter Möbius

Dresden. Wenn die Prognosen der Meteorologen zutreffen, dann wird in der zweiten Februarhälfte der Winter zurückkehren. Die schon etwas frühlingshaft anmutenden Temperaturen sollen wieder in frostige Bereiche absinken. Denn auch im Februar, wenn der Frühling schon langsam in Sicht kommt, kann es in Dresden sehr kalt werden. Vor 95 Jahren - am 12. Februar 1929 - wurde mit 27,4 Grad unter Null die bisher tiefste in der Stadt je festgestellte Temperatur gemessen.

Unter der Überschrift "Erfrorener Straßenfasching" berichteten die Dresdner Nachrichten vom Karnevalstreiben in der Stadt. Während des rund zweistündigen Umzugs seien Alt und Jung wohl noch nie so viel von einem Bein auf das andere gehüpft, um sich zu erwärmen. Dennoch hätten die Menschen schon eine halbe Stunde vor dem Beginn des Umzugs an der Strecke gestanden. Allerdings: Kostümierte Erwachsene seien bei den Teilnehmern kaum zu sehen gewesen, resümierte der Autor und wertete das ironisch als Ausdruck des "ungeheuren" karnevalistischen Temperaments der Dresdner. Den Umzug selbst beschrieb er als "bieder". Anschließend seien die Menschen schnell in nahegelegene Restaurants oder Cafés geflüchtet, um sich aufzuwärmen.

Winter 1929 war der kälteste des 20. Jahrhunderts

Die Minusgrade hätten allerhand "Wollzeug" erfordert, die Nasenspitze brauchte nicht rot gefärbt zu werden, hieß es weiter. "Das besorgt die Kälte allein." Dennoch seien die Straßen nicht leer gewesen. Konfetti- und Luftschlangenhändler hätten sich ihre klammen Fäuste gerieben. Ein von Pferden gezogener "Sommerfrischewagen" sei durch die Stadt gefahren und belacht worden. Eine Ulk- und Gauklergruppe habe sich mit Kanonenöfen versehen und habe "Spaß gemacht". In den Mittagsstunden sei die Temperatur zwar auf minus 15 Grad gestiegen, doch selbst die "Kraftdroschkenfahrer" hätten behauptet, dass sie den Altmarkt an noch keinem Fastnachtstag so öd gesehen hätten. Gefeiert wurde hingegen beim Faschingsball in der Komödie, "die wohl den Anspruch erheben könne, das Haupttanz- und Künstlerfest des Faschingsdienstags zu sein", wie es hieß.

In einem anderen Beitrag des Blatts informierte die Stadtverwaltung, dass als Folge des starken Frostes zahlreiche "Wasserleitungsanlagen" eingefroren seien. Um Kosten bei der Instandsetzung zu sparen, wurden die Hauseigentümer angehalten, im eigenen Interesse die Leitungen mit Säcken, Stroh und Holzwolle zu umbinden, um sie zu schützen.

Der Winter des Jahres 1929 war der kälteste des 20. Jahrhunderts. Der Frost hatte ganz Deutschland und weite Teile Europas gepackt. "Sibirische Kälte in Deutschland", titelten die Dresdner Nachrichten. Auch in Berlin seien minus 27 Grad gemessen worden. Sogar die Ostsee war teilweise zugefroren. Deutsche Kriegsschiffe hätten das Ostsee-Eis bekämpft und an einem Tage 28 Schiffe aus höchster Not befreit, berichteten die Dresdner Nachrichten, die zur Berichterstattung einen Reporter auf das Linienschiff "Schleswig-Holstein" entsandt hatte. Dabei wurde das Schiff bei einem Einsatz von einem Dampfer, den es aus dem Eis befreit hatte, gerammt und selbst leicht beschädigt. In Berlin wurden die Kohlen zum Heizen knapp und gab es Befürchtungen, dass bei anhaltender Kälte auch die Versorgung mit Lebensmitteln gefährdet sei.

Ohrenschützer überall in Dresden ausverkauft

In Dresden war nach wochenlanger Eiseskälte die Elbe zugefroren. Wenn die Sonne aufging, glitzerte die spiegelglatte Fläche. Darüber erhob sich gespenstischer Dunst, wie berichtet wurde. "Die Elbe raucht! Die Elbe brennt!", hieß es. Die Straßenbahnen fuhren holpernd über das vom Frost emporgetriebene Kopfsteinpflaster. Die Fahrgäste saßen im Halbdunkeln, denn das Eis wucherte über Fenster und Türen. Die Stadtverordneten beschlossen Winterhilfen. Den Mitarbeitern der Straßenbahn sollte demnach an den Endhaltestellen ein Warmgetränk kostenfrei verabreicht werden. Ohrenschützer waren in der ganzen Stadt vergriffen. Die Milch wurde gefroren ins Haus gebracht, die Schule fiel teilweise aus, Wasserrohre waren zugefroren.

Auf der Suche nach Wasser und Nahrung kamen selbst scheue Tiere aus den umliegenden Feldern und Wäldern in die Stadt. Im Albertpark wurde ein Achtender-Hirsch gesichtet. Am 15. Februar wurde beschlossen, dass Arbeitslose und Kleinrentner kostenlos Kohle erhalten sollten. Für Obdachlose wurden Wärmestuben eingerichtet. Bedürftige Schulkinder erhielten ein warmes Frühstück. Erst am 4. März war die Eiszeit vorbei.

Die Elbe war in Dresden zuletzt 1963 zugefroren. Später verhinderten Chemikalien und warme Abwässer die Eisbildung.