Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Feuilleton

So war "Der Besuch der alten Dame" am Staatsschauspiel Dresden

Ihr Name ist Hase, ihr Götze das Geld: In Dürrenmatts modernem Klassiker „Der Besuch der alten Dame“ im Dresdner Staatsschauspiel bleibt die Moral auf der Strecke.

Von Rainer Kasselt
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Anna-Katharina Muck spielt Dürrenmatts „Alte Dame“ als verletzte, verratene Frau, die den Bürgern ihrer Stadt ein unmoralisches Angebot macht.
Anna-Katharina Muck spielt Dürrenmatts „Alte Dame“ als verletzte, verratene Frau, die den Bürgern ihrer Stadt ein unmoralisches Angebot macht. © Sebastian Hoppe

Nach vierzig Minuten tritt die „schlimmst-mögliche Wendung“ der Handlung ein. Die klamme Stadt Güllen feiert die Rückkehr der Milliardärin Claire Zachanassian und erhofft sich einen Geldsegen. Ihre Bedingung: Sie möchte Gerechtigkeit kaufen. Der Bürgermeister glaubt, sich verhört zu haben. Gerechtigkeit könne man nicht kaufen. „Man kann alles kaufen“, entgegnet sie. Claire stellt die Bürger ihrer Heimatstadt vor die Wahl: „Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet.“ Seine Leiche oder kein Geld.

Ahmad Mesgarha spielt bravourös Alfred III und bezirzt Claire (Anna-Katharina Muck),, bis ihm bewusst wird, was ihm droht.
Ahmad Mesgarha spielt bravourös Alfred III und bezirzt Claire (Anna-Katharina Muck),, bis ihm bewusst wird, was ihm droht. © Sebastian Hoppe

Als Hure davongejagt

Freitagabend im Dresdner Schauspielhaus. Premiere von Friedrich Dürrenmatts tragischer Komödie „Der Besuch der alten Dame“, die nach der Züricher Uraufführung 1956 die Bühnen der Welt eroberte. Erzählt wird die Rache einer Frau an ihrem Jugendgeliebten Alfred. Sie war siebzehn und er noch nicht zwanzig. Er hatte sie schwanger im Stich gelassen, die Vaterschaft geleugnet und eine andere des Geldes wegen geheiratet. Claire wurde als Hure davongejagt und landete in einem Hamburger Bordell. Der alte Wüstling Zachanassian führte sie zum Altar. Seine Milliarden machten sie zur reichsten Frau der Welt. 45 Jahre und neun Ehen später reist sie nach Güllen und will mit Alfred die alten Liebesorte besuchen.

Die Bühne von Hansjörg Hartung ist eine verlotterte Bahnhofshalle. Unterm Dach prangt ein verblasstes Relief mit den Großbuchstaben ABENDLAND. Dessen oft beschworenen „Untergang“ darf man sich hinzudenken. Noch dreckiger ein Männerklo mit drei Urinalen, eines kracht zu Boden. Dieser unappetitliche Raum wird zum Ort des Wiedersehens von Claire und Alfred, bei Dürrenmatt ist es noch eine Liebesscheune. Regisseur Nikolai Sykosch lässt es an grotesker Drastik nicht fehlen. Er hat das Stück stark gekürzt, von 35 Figuren bleiben neun übrig. Gestrichen wurden die witzigen, pointierten Dialoge mit Claires Dienern und Ehemännern. Humor gibt es trotzdem. Urkomisch der vermasselte Empfang der Milliardärin. Die Honoratioren der Stadt, stark karikiert, himmeln sie wie eine Göttin an und schleimen um die Wette.

Die Regie stellt Bezüge zur ostdeutschen Vergangenheit her. Aus Konzernen werden Kombinate, aus Güllen wird Dresden, wo Wagner Opern komponierte. Und wo Claire, als sie noch Klara hieß, angeblich auf der Mathe-Spartakiade glänzte. Im Zentrum des zweieinhalbstündigen Abends steht das Verhalten der Bürger. Sie weisen den teuflischen Deal empört zurück. Der Bürgermeister, buckelnd und aasig von Hans-Werner Leupelt gespielt, ein Meister im Politsprech, säuselt von Freiheit, Menschlichkeit und Moral. „Lieber bleiben wir arm denn blutbefleckt.“ Von wegen. Die Bürger kleiden sich neu ein, kaufen teure Waren, nehmen Kredite auf, lassen anschreiben. Alle rechnen mit dem Geld, einer wird sich für den Mord schon finden.

Dürrenmatts Drama ist eine Parabel über die Korrumpierbarkeit des Menschen, er übt Kritik an der kapitalistischen „Haben-haben-Ordnung“. Für Regisseur Sykosch ist die tragische Komödie „das Stück der Stunde“. Er geißelt die Verwerfungen der Gegenwart, den Egoismus des Einzelnen, die Polarisierungen der Gesellschaft. In einer Szene tauchen fünf tanzende Hasen auf. Als sie die Masken abnehmen sieht man Bürgermeister, Pfarrer, Rektor, Polizist und Arzt. Ihr Name ist Hase, sie wissen von nichts und wissen doch alles. Am Ende der Inszenierung stecken sie in goldener Kleidung und aus dem Schnürboden regnet es Geld.

Traumrolle mit Tücken

Das Ensemble ist gut besetzt. Ahmad Mesgarha spielt bravourös Alfred Ill, anfangs in Jeans, später im dunklen Anzug. Als charismatischer „Frauenflüsterer“ umgirrt er siegessicher Claire, versichert ihr seine nie erloschene Liebe. Nach und nach begreift er den Ernst seiner Situation. In Todesangst zertrümmert er Requisiten, bekennt sich schließlich zu seiner Schuld. Anna-Katharina Muck gibt in Nobelkleidern die alte Dame. Eine Traumrolle mit Tücken. Oft wird sie als Monster gespielt, in Dresden ist sie eine verletzte, verratene Frau, die einen letzten Kuss mit Alfred tauscht. Sie sitzt wartend auf dem Sarg, den sie mitgebracht hat, beobachtet distanziert die Wandlung der Bürger, singt von ihren Gefühlen. Ein Rest Rätsel um ihr unmoralisches Angebot bleibt. Philipp Lux spielt im Pullover beeindruckend den ambivalenten Rektor, der Humanität predigt, den Schülerchor dressiert, vor dem Mord zurückschreckt, zur Flasche greift, im Suff die Wahrheit sagen möchte, von der Meute daran gehindert wird.

Passend das Schlussbild: Vier Sänger des Knabenchors des Heinrich-Schütz-Konservatoriums Dresden stimmen einen Choral an, der Arzt verkündet offiziell den Herzinfarkt Alfreds, ein Reporter spricht ergriffen: „Das Leben schreibt doch die schönsten Geschichten.“ Langer Applaus.

Wieder am 12. und 22. 4., sowie 5. und 19. 5. Kartentel. 0351 4913 555