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Keine kalte Küche bei den Alten Meistern

2.500 Mahlzeiten teilt die Heilsarmee pro Monat aus. Die Bedürftigen werden immer mehr. Ein Dresdner Gastronomen-Paar spendet trotz Krise Hunderte Portionen.

Von Nadja Laske
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Antje und Kai-Marten Graul haben selbst vier Kinder. Die Armut ganzer Familien macht sie betroffen.
Antje und Kai-Marten Graul haben selbst vier Kinder. Die Armut ganzer Familien macht sie betroffen. © Sven Ellger

Dresden. Mit Ordnern voller Papiere hat sich Antje Graul in die hintere Ecke ihres Lokals verzogen. Dort bollert die Heizung und der Tisch sieht nach viel Arbeit aus. Keine Gäste im Haus heißt nicht, die Gastronomin habe nichts zu tun. Sie sorgt dafür, dass Leben in den Alten Meistern bleibt.

Wie alle anderen Restaurants auch, muss ihres zum Schutz vor Corona geschlossen bleiben. Wenn Antje Graul zusammen mit ihrem Mann Kai-Marten von der Balkonbrüstung aus auf Semperoper, Theaterplatz und Schloss schaut, lässt der Anblick nicht nur in der Januarkälte frösteln.

Weit und breit kein Mensch. Minutenlang. Dann laufen Jogger vorüber. In der Ferne hämmern Bauarbeiter an der Augustusbrücke. So viel Einsamkeit ist schwer zu ertragen. "Keine Aufgabe zu haben, und das über Wochen und Monate hinweg, ist eine belastende Situation", sagt die 53-Jährige. Nicht nur sie vermisst es, Gastgeberin sein zu können. Auch um das Seelenwohl ihres guten Dutzends Mitarbeiter sorgt sich die 53-Jährige.

Wärmezelt für Wohnungslose

Antje und Kai-Marten haben ihr Team in Kurzarbeit schicken müssen und Coronaboni gezahlt. Das hilft wirtschaftlich, Sinn in den Alltag bringt es nicht. Wer gute Mitarbeiter hat, will sie behalten und nicht zusehen müssen, wie sie in Branchen abwandern, in denen es Arbeit gibt.

Diese Gedanken beschäftigen Antje Graul schon seit dem ersten Lockdown. Damals gab es für ihr Unternehmen noch keine Staatshilfen. "Inzwischen bekommen wir Unterstützung und sind uns bewusst darüber, dass es viele Menschen gibt, denen es viel schlechter geht als uns."

Nach ihrer Hotelfachausbildung studierte Antje Sozialpädagogik. Auch das hat ihren Blick für Bedürftigkeit geschärft, ebenso wie den Wunsch, Hilfe weiterzugeben. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, andere in weitaus misslicheren Lagen zu unterstützen, traf sie auf ein Projekt der Heilsarmee Dresden.

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Die hatte Spenden gesammelt, um auf ihrem Gelände ein großes beheizbares Zelt aufbauen und betreiben zu können. Weil die Furcht vor Ansteckung mit dem Coronavirus die Kapazitäten in den kirchlichen Nachtcafés und den städtischen Notunterkünften für Wohnungslose stark einschränkt, drohte den Betroffenen ein Winter ohne Schutz.

Die Chefin der Heilsarmee, Rosi Scharf, und ihr Team orderten kurzerhand in Leipzig eine mobile Halle, die einst als Möbellager gedient hatte. "Sie war schon weiterverkauft worden, doch der neue Besitzer überließ sie uns über die kalte Jahreszeit zur Nutzung", erzählt die 59-Jährige.

In dem Zelt finden auf 250 Quadratmetern 50 Bedürftige Platz - tagsüber um sich zu wärmen und um zu essen und nachts zum Schlafen. Auslöser für die Aktion war ein Anblick, den Rosi Scharf nicht einfach ignorieren konnte: "Die Menschen saßen in der Nähe unserer Essenausgabe, die seit der Pandemie nur noch to go anbieten darf, auf dem Bordstein im Schmutz und aßen. Das war menschenunwürdig!"

400 Kinder unter den Bedürftigen

Von ihrem Kampf um bessere Bedingungen hörte schließlich Antje Graul und fand das Engagement großartig. Für das Projekt Wärmehalle waren 20.000 Euro eingegangen. "Ich habe bei der Heilarmee angerufen und angeboten, zweimal pro Woche Essen zu liefern", erzählt sie.

Die Idee wurde dankbar angenommen. Seitdem kocht das Küchenteam der Alten Meister jeden Donnerstag und Freitag jeweils 80 Portionen - zumeist reichhaltige Eintöpfe, die sich gut transportieren und ausgeben lassen. Antje selbst bringt das Essen als Spende zum Standort der Heilsarmee in Dresden-Reick.

"Eigentlich kochen wir selbst jeden Tag frisch", sagt Rosi Scharf. Aber der Bedarf steigt ständig. Deshalb ist die Leiterin des Korps Dresden dankbar für die Unterstützung des Gastronomen-Paars. Als sie vor neun Jahren ihre Aufgabe übernahm, waren 700 Mahlzeiten pro Monat nötig, um Bedürftige zu versorgen. "Inzwischen geben wir 2.500 Mahlzeiten im Monat aus."

Fast 1.000 Menschen bestellen monatlich bei der Heilsarmee sogenannte Notfall-Pakete mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln. "Unter diesen Eintausend sind 400 Kinder", sagt Rosi Scharf. Je länger der Lockdown dauere, desto häufiger kommen Dresdner, die ihre Arbeit verloren haben oder extrem wenig Kurzarbeitergeld erhalten. "Sie hatten vorher ein normales Leben mit normalem Verdienst. Jetzt drücken laufende Kosten so stark, dass kaum Geld für Essen bleibt."

Mehr Geld- als Sachspenden vonnöten

Lebensmittel und Essenportionen zum Mitnehmen zu verpacken, braucht nicht nur viel Material, sondern auch zahlreiche helfende Hände. Ihre älteren Ehrenamtlichen musste Rosi Scharf alle nach Hause schicken, damit sie gesund bleiben. "Corona hat unsere Helfergruppe völlig verändert: Jetzt packen Studenten, Angestellte in Kurzarbeit und eben auch Gastronomen mit an." Neben Antje und Kai-Marten Graul kochen die Lehrlinge des Restaurants "Dresden 1900" für die Heilarmee.

Das caritative Engagement hat einen guten Nebeneffekt: Wie diese Auszubildenden haben auch die Mitarbeiter des Restaurants Alten Meister eine sinnvolle Aufgabe und die Chance, wenigstens einen Teil ihrer Arbeit zu tun. Freitags und sonnabends kochen sie für die eigenen Gäste Speisen zum Mitnehmen - bis endlich das Leben in die Altstadt zurückkehrt und die Stammgäste ins Lokal.

Momentan benötigt die Dresdner Heilsarmee keine Winterbekleidung. Die Lager sind gut gefüllt. Allerdings werden Schlafsäcke neueren Datums und Isomatten für Obdachlose gebraucht. Am meisten helfen finanzielle Spenden.

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