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Auf dem Weg zum Dresdner Kapellknaben: "Am Tisch wird nicht gesungen"

Der achtjährige Johannes hat es zu den Dresdner Kapellknaben geschafft. Wie das Leben in dem berühmten Knabenchor aussieht und wie man ein Teil davon werden kann.

Von Nadja Laske
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Seit einiger Zeit lernt Johannes auch, Klavier zu spielen. Am liebsten aber singt er bei den Dresdner Kapellknaben - manchmal so laut wie eine Feuerwehr.
Seit einiger Zeit lernt Johannes auch, Klavier zu spielen. Am liebsten aber singt er bei den Dresdner Kapellknaben - manchmal so laut wie eine Feuerwehr. © Matthias Rietschel

Dresden. Der Sängerwettstreit im Wohnzimmer braucht manchmal einen liebevollen Schlichter - oder auch ein Machtwort. Nämlich dann, wenn Johannes seiner Schwester in höchsten Tönen deutlich machen will, dass sein Chor der bessere ist, nicht ihrer. "Am Tisch wird nicht gesungen", bringt Thomas Birkner dann seine Kinder zur Ruhe.

Dabei weiß er genau: Ein schöneres Battle als dieses kann es gar nicht geben. Zeigt es doch, wie sehr Johannes Musik und Gesang liebt. Vielleicht wäre das unentdeckt geblieben, hätte es in Johannes Kindergarten nicht einen Erzieher gegeben, der einst Kapellknabe war. Er sorgte dafür, dass die Knirpse eine Einladung zum Vorsingen erhielten - eine Chance, die Thomas Birkner und seine Frau nicht ungenutzt ließen.

Aufnahmeprüfung nach mehreren Jahren "Vorchor"

"Meine Mama hat mir Videos gezeigt, auf denen die Kapellknaben singen. Das fand ich schön", erzählt der Achtjährige. Schließlich bestand er das Vorsingen und machte sich damit auf den Weg, ein Kapellknabe zu werden.

Das geht nicht von heute auf morgen. In der ersten und zweiten Klasse singen die Kinder im Vorchor I. Das bedeutet, sie kommen einmal pro Woche zur Probe ins Kapellknaben-Institut. Die Schuljahrgänge drei und vier singen zweimal wöchentlich im Vorchor II, an den sich eine Aufnahmeprüfung anschließt. Wer sie besteht, ist Dresdner Kapellknabe und gehört damit neben dem Dresdner Kreuzchor und dem Thomanerchor Leipzig zu einem der drei Chöre Deutschlands, die den Titel Immaterielles Kulturerbe tragen dürfen.

Die Dresdner Kapellknaben wurden 1709 gegründet, sie singen bei Gottesdiensten in der ehemaligen Hofkirche, geben Konzerte mit Musikern der Sächsischen Staatskapelle und gehen auf Tourneen.
Die Dresdner Kapellknaben wurden 1709 gegründet, sie singen bei Gottesdiensten in der ehemaligen Hofkirche, geben Konzerte mit Musikern der Sächsischen Staatskapelle und gehen auf Tourneen. © PR/Dresdner Kapellknaben

Danach gefragt, was Johannes denn am Chor so sehr mag, dass er jeden Montag und Dienstag nach der Schule zur Probe geht, fällt ihm ganz viel ein: "Das Singen gefällt mir, die Theorie aber nicht so. Beim Stadionkonzert waren wir dabei und auch bei der Johannespassion. Das war toll." Gerade arbeitet der Vorchor an einem Musicalprojekt, das viel Spaß macht. Freunde habe er am Kapellknaben-Institut (KKI) gefunden, der Chorleiter steckt alle mit seiner Freude am Singen und der Musik an. "Wenn wir ganz laut und kraftvoll singen sollen, dann ruft er: Jetzt kommt die Feuerwehr!", erzählt Johannes lachend. Seit zwei Jahren leitet Domkapellmeister Christian Johannes Bonath den Chor.

Wenn Johannes nicht gerade im Probenraum des Vorchores II zu tun hat oder im Studierzimmer, dann geht der Zweitklässler ins Erdgeschoss des Institutes. "Dort gibt es immer Bananen und Erdbeersirup." Es lässt sich also aushalten an diesem KKI, zu dem auch ein Internat gehört. Dort wohnen junge Sänger, die von weiter her kommen und die Woche über in Dresden verbringen. Wer diese Option nicht nutzt, kann das sogenannte Tagesinternat besuchen und wird dort den Tag über betreut, geht abends aber heim.

"Durch Johannes erschließt sich uns eine neue Welt"

Dass ihr Sohn diese Möglichkeiten hat, wissen seine Eltern sehr zu schätzen. Viele Jahre hat die Familie in den USA gelebt, woher Johannes Mutter stammt. Im Jahr 2021 kam sie zurück nach Deutschland. Damals konnte Johannes kein Wort Deutsch, heute spricht er wie jedes andere Kind hier auch.

"Wären wir in den USA geblieben, hätten wir wahrscheinlich sein Talent überhaupt nicht entdeckt", sagt seine Mutter. Und selbst wenn, dann wäre eine solche Förderung wie die bei den Kapellknaben unerschwinglich gewesen. Überhaupt fasziniere sie hier diese große Liebe zu Kunst und Kultur und die hohe Qualität, vor allem der Musik.

Auch sein Vater ist begeistert: "Durch Johannes erschließt sich uns eine neue Welt, zu der wir zuvor keinen Zugang hatten." So werden die Dresdner Kapellknaben und alles, was mit dem Chorleben zusammenhängt, zu einer großen Bildungsreise, auf die nicht nur Johannes neugierig ist.

Wer diese Neugier teilt und gern mehr über alles erfahren möchte, was der junge Vorchorist gerade erlebt, der hat am 4. Mai die Möglichkeit dazu. Dann laden die Dresdner Kapellknaben zum Tag der offenen Türen in ihr Kapellknaben-Institut auf die Wittenberger Straße 88 ein. Zwischen 11.30 und 15 Uhr können die Besucher öffentlichen Proben lauschen. Interessierte Jungen sind eingeladen, ihre Stimme bei erfahrenen Ausbildern zu testen. Die Internatsräume stehen zur Besichtigung offen, ebenso gewinnen die Gäste Einblicke zu den Lern- und Freizeitmöglichkeiten.

www.kapellknaben.de