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Dresdner Comödie: Gehörloser Schauspieler macht das Unmögliche möglich

Benjamin Piwko hat den Kampfsport zu seiner Bühne gemacht und erobert nun das Theater in Dresden. Er erzählt, was ihn daran fasziniert und warum Let's Dance so herausfordernd für ihn war.

Von Nadja Laske
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Schauspieler Benjamin Piwko sagt, er brauche keine Drogen, um aufgeputscht zu sein - jede neue Herausforderung erledigt das für ihn.
Schauspieler Benjamin Piwko sagt, er brauche keine Drogen, um aufgeputscht zu sein - jede neue Herausforderung erledigt das für ihn. © René Meinig

Dresden. Sein Leben liest sich wie ein entschlossenes "Trotzdem!". Unerschrocken, zielstrebig, fleißig, mit unendlich langem Atem. Doch erzählt Benjamin Piwko von seinen Wegen voller Mauern und Steinen, ahnt der Zuhörende, wie viel Kampf seine Stärke all die Jahre bedeutet hat.

Während einer Probenpause sitzt der 42-Jährige im stillen Foyer der Dresdner Comödie und öffnet, schneller als das Auge funktioniert, eine Wasserflasche ohne Kronkorkenöffner. "Ich bin Kampfsportler", sagt er und lacht. Zunächst spricht er leise, mit Blick zu einer jungen Frau, die ihm gegenüber Platz genommen hat. Sie ist Gebärdendolmetscherin.

Im Alter von acht Monaten verlor Benjamin Piwko infolge einer Virusinfektion das Gehör. Seine Mutter zog mit ihm in die Schweiz, wo er ab seinem zweiten Lebensjahr auf einer Privatschule das Verstehen der Sprache anhand des Lippenlesens und auch zu sprechen lernte. "Ich wusste lange gar nicht, dass es eine Zeichensprache für Gehörlose gibt. Gebärdensprache war verboten", sagt er.

Mit sieben zurück in Deutschland, hatte er eine Schule für hörgeschädigte Kinder besucht. Er war der einzige Taube in der Klasse. Zunehmend wunderte er sich, warum die anderen verstehen, was die Lehrerin von ihnen will, nur er nicht, und vertraute sich seiner Mutter an. "Damals hat sie mir zum ersten Mal gesagt, dass ich gehörlos bin."

"Ich sehe mich nicht als Behinderten"

In seinem Umfeld hatte diese Besonderheit zwar eine Rolle gespielt, war aber niemals als Behinderung thematisiert worden. "Ich sehe mich auch heute nicht als Behinderten, sondern als Mensch und begegne anderen Menschen ebenso." Seine Mutter, alleinerziehend und eine starke Frau, habe ihn nach Kräften gefördert und bestärkt. Als sich Benjamin Piwko mit 14 Jahren entschloss, die Gebärdensprache zu lernen, war das keine Revision bisheriger Entscheidungen. "Im Gegenteil, ich sehe die Gebärden eher als Ergänzung und zusätzliche Kommunikationsmöglichkeit an."

Seine Mutter war es auch, die ihn schon als kleines Kind zum Kampfsport brachte. "Damit konnte ich Stress abbauen, mich selbst bestätigen und über Erfolge freuen, groß und sichtbar machen", erinnert er sich. "Der Sport ist für mich eine Kommunikationsmöglichkeit ohne Worte." Er sollte auch sein Beruf werden.

Nach seiner Tischlerlehre wurde Benjamin Piwko Stuntfighter, Choreograf und Coach für Shows und Filme, er entwickelte eigene Kampfstile und eröffnete 2008 in Hamburg seine eigene Kampfsportschule für Kinder.

Szene aus "Die Goldfische" Bis Anfang April ist Benjamin Piwko (Mitte) in dem Stück an der Comödie Dresden zu sehen.
Szene aus "Die Goldfische" Bis Anfang April ist Benjamin Piwko (Mitte) in dem Stück an der Comödie Dresden zu sehen. © Foto: Robert Jentzsch | www.rjph

Und dann fand er plötzlich diese Mail in seinem Postkasten. Eine Einladung zum Kennenlernen und das Angebot, in einem Tatort mitzuspielen. So kam er 2016 zu seiner Hauptrolle in der Folge "Totenstille" und wurde plötzlich bekannter denn je, nicht nur dem Fernsehpublikum, sondern auch Filme- und Theatermachern. Erst im vergangenen Jahr war er im Fernsehfilm "Du sollst hören" zu sehen. Dazwischen machte er auch Erfahrung mit einer Rolle, in der er synchronisiert wurde. "Der Regisseur fand mich cool, wusste aber gar nicht, dass ich taub bin." Schließlich blieb er bei seiner Besetzung und verlieh seinem Darsteller eine Ersatzstimme.

Tiefgründige Erfahrung mit Theater macht Benjamin Piwko nun in Dresden zum ersten Mal. In "Die Goldfische" ist er als Rainer zu sehen: ein gehörloser Autist und schwul - to much, könnte man meinen. Doch die Kombination macht Sinn und hat ihren guten Grund, wie der Zuschauer rasch erkennen wird.

"Ich liebe diese Vielschichtigkeit", sagt Benjamin. Als Autist habe Rainer größte Schwierigkeiten, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, sie auch nur anzuschauen. Um von den Lippen zu lesen oder Gebärden zu sehen, bliebe ihm aber gar nichts anderes übrig, als sich ihnen zuzuwenden. Auch seine Homosexualität zwinge ihn dazu, sich zu verhalten, mitzuteilen und zu reflektieren.

Die Probenarbeiten machen ihm riesigen Spaß, strengen aber auch an. Reagieren doch Schauspieler auf der Bühne auf Stichwörter. Benjamin Piwko würde sie nicht hören. Also braucht er visuelle Signale, die ihm anzeigen: Jetzt muss ich auf diese oder jene Weise agieren: Das kann ein Wasserglas sein, das im Spiel auf dem Tisch abgestellt, wird oder die Geste eines Schauspielkollegen.

"Im Sport habe ich für mein Leben gelernt"

Kommt der Sport für ihn ohne gesprochene Sprache aus, ist die Arbeit für Theater und Film das ganze Gegenteil. Sie basiert auf verlautbartem Text. Dass Benjamin von Lippen lesen und auch sprechen kann, löst dabei nicht alle Probleme. Doch vielleicht ist das ja auch gar nicht das richtige Wort. Es geht um Herausforderungen, die seinen Kampfgeist wecken. "Im Sport habe ich so viel für mein ganzes Leben gelernt", sagt er. Darauf gehe sein Lebensmotto zurück: das Unmögliche möglich machen, immer eine Lösung finden, man muss nur wirklich wollen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass man in eigener Sache immer die hundertprozentige Entscheidungsgewalt hat."

Benjamin Piwko entschied auch, sich in der Tanz-Show Let's Dance auf dem Parkett zu beweisen. Tanz und Musik mögen ohne Worte auskommen, doch sie verlangen Gehör. "Es war für mich extrem herausfordernd, die Choreografie einzustudieren", erzählt er. Denn er kann Melodie nicht hören, den Takt nicht aufnehmen. "Auch Vibrationen nehme ich nicht wahr, wenn ich in Bewegung bin, zum Teil keinen direkten Kontakt zum Boden habe." So lernte er jeden Schritt, jede Drehung auswendig nach gezählten Sekunden.

In dieser Welt, in der das Hören dominiert, fühlt sich Benjamin inzwischen nicht mehr als Außenseiter, über dessen Kopf gesprochen wird. Doch er wünscht sich sehr, dass Menschen ihn mitnehmen und ihre Unsicherheiten im Umgang mit einem Gehörlosen zum Thema machen. "Fragt mich einfach, wie ich ticke, was ich brauche oder wie etwas mache. Dann habe ich die Chance, mich mitzuteilen, und Barrieren verschwinden."

Die enge Zusammenarbeit mit Comödien-Intendant und Regisseur Christian Kühn gibt ihm dabei jede Menge Kraft. Auch für den Theatermacher ist diese Inszenierungsarbeit Neuland. Fragt man ihn, wie er sich darauf vorbereitet habe, zuckt er die Schultern. Offen sein und probieren. Ein Lehrbuch hat auch er nicht - aber eine großartige Erfahrung mit Benjamin Piwko, der die Zeit in Dresden und sein Theaterteam liebt: "Das ist für mich das beste Beispiel, wie man miteinander umgehen sollte."

Vorstellungen "Die Goldfische" vom 24. März bis 2. April (außer am 27. März) Tickets und weitere Informationen auf www.comoedie-dresden.de