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Ukrainerin in Dresden: "Anerkennung der Abschlüsse ist schwer, egal ob bei Ärzten oder Fußpflegerinnen"

Seit beinahe zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine. Natalija Bock vom Ukraine-Haus am Neumarkt spricht über die Sorgen um ihre Familie daheim - und welche Herausforderungen sie für Geflüchtete in Dresden sieht.

Von Julia Vollmer
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Dolmetscherin Natalija Bock lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Dresden.
Dolmetscherin Natalija Bock lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Dresden. © Archivfoto: Ronald Bonß

Dresden. Beinahe zwei Jahre dauert der Krieg gegen die Ukraine nun schon an. Am 24. Februar 2022 begann Russlands Angriffskrieg gegen das Land. Beinahe täglich sind Todesopfer zu beklagen. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, meist Frauen und Kinder, sind seitdem geflohen vor den Bomben und der Zerstörung. Auch nach Dresden.

Stand Ende Dezember lebten 9.216 Ukrainerinnen und Ukrainer in Dresden, 7.278 von ihnen sind vor dem Krieg seit 2022 geflohen. Eine, die sich mit ihrem Ukraine-Netzwerk von Beginn an für die geflüchteten Menschen einsetzt und Hilfe organisiert, ist Natalija Bock.

Sie stammt selbst aus der Ukraine, lebt aber seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Dresden. "Ich beobachte täglich mit großer Angst, was in der Ukraine passiert. Es sterben täglich Menschen", sagt sie. Sie sorgt sich um die Menschen, die noch dort sind. Auch um ihre Familie. Ihre Eltern leben in Kiew. "Mein erster Blick jeden Tag geht auf mein Handy, um zu schauen, dass es allen hoffentlich gut geht", sagt sie. Sie sorgt sich, dass der Krieg irgendwann noch näher an Deutschland heranrückt, aber auch darum, mit welchen Problemen die Ukrainer in Dresden kämpfen. Zwei Themen bereiten der Dolmetscherin besondere Sorge.

"Die Anerkennung der Abschlüsse verläuft sehr schleppend"

Natalija Bock sieht als eines der größten Probleme die Integration in den Arbeitsmarkt. Sie erlebt immer wieder in den Beratungen und in Gesprächen im Ukraine-Haus, dass die Menschen arbeiten wollen und sich noch mehr integrieren wollen. "Doch die Anerkennung der Abschlüsse verläuft sehr schleppend und ist schwer, egal ob bei Ärzten oder Fußpflegerinnen. Überall", sagt sie. Sie erlebe auch, dass etwa Medizinerinnen Jobs in der Raumpflege angeboten werden. Das sei sehr demütigend und schwer für die Menschen.

Die Vermittlung der Menschen aus der Ukraine in Arbeit in Dresden kommt voran, aber nicht so schnell, wie es sich alle Beteiligten erhoffen. Das Zahlenmaterial aus dem Jobcenter ist eher dürftig und wenig aktuell. Mit Stand Oktober 2023, aktuellere Daten liegen im Jobcenter nicht vor, waren 3.882 erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Jobcenter registriert. Das sind 3.677 mehr als im Februar 2022 vor Kriegsbeginn.

Im Juli 2023, auch hier liegen keine aktuelleren Daten vor, waren 1.343 Personen mit der Staatsangehörigkeit Ukraine in Dresden sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind 639 mehr als im Februar 2022, so Jobcenter Sprecher Pierre Ullmann.

Ein großes Thema, wie es auch Natalja Bock beobachtet, ist vor allem die Vermittlung von Akademikern aus der Ukraine in Arbeit, die ihren Abschlüssen entspricht. Dabei gibt es Probleme bei der Anerkennung. Laut Jobcenter-Sprecher Ullmann konnten in den ersten Arbeitsmarkt im Zeitraum von März 2022 bis November 2023 nur 470 Ukrainerinnen und Ukrainer vermittelt werden. Davon 33 in den Bereich "Spezialist", vergleichbar mit dem Bachelor-Abschluss oder einem Meister, und 75 in den Bereich "Experte" also vergleichbar mit dem Abschluss eines Hochschulstudiums. Wie viele Menschen in Branchen arbeiten, die nicht ihrem Abschluss entsprechen, kann er nicht sagen.

Verzögerungen auch durch Übersetzungsprobleme der Zeugnisse

Pierre Ullmann aus dem Jobcenter sieht klare Herausforderungen. "Es finden arbeitslose Menschen aufgrund der schwächelnden Konjunktur derzeit schwerer einen Arbeitsplatz – trotz Beschäftigungsrekord. Das betrifft auch im Besonderen auch Geflüchtete mit geringen Sprachkenntnissen", so Ullmann. Und dennoch sehe er einen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus den acht Hauptherkunftsländern der Geflüchteten wie Syrien und Afghanistan sowie aus der Ukraine. "Diese Entwicklung zeigt, dass es in die richtige Richtung geht", betont er.

Bei der Anerkennung der Studien- und Berufsabschlüsse komme es oft zu Verzögerungen, da die Übersetzung von Zeugnissen oder Studienbüchern Zeit fresse. Das sei ein Problem. Obendrein sei die Prüfung der Anerkennung "sehr komplex", da in der Ukraine etwa das deutsche System der dualen Ausbildung nicht existierte, so der Sprecher.

Viele Ukrainerinnen könnten sich laut Jobcenter eine Arbeit im Verkauf vorstellen. Doch hier ist die Kinderbetreuung eine Herausforderung. "Die von den Arbeitgebern geforderten Einsatzzeiten lassen sich nicht immer voll umfassend bedienen, da für Spät- oder Wochenenddienste keine Kinderbetreuung sichergestellt ist", sagt er. Die meisten Frauen leben ohne Männer und Familie hier und haben niemanden, der sich abends oder am Wochenende um die Kinder kümmert. Hier müssten Arbeitgeber umdenken und flexibler sein.

Noch immer haben nicht alle Kinder einen Schulplatz

Auch Natalija Bock kennt das Problem mit der Kinderbetreuung - abends, aber auch am Tag - aus den Beratungen. Denn wenn das Kind tagsüber nicht in die Schule gehen darf, können die Eltern auch nicht arbeiten, wenn die Betreuung nicht gesichert ist. Gerade bei Grundschülern.

Aktuell haben 53 ukrainische Kinder noch immer keinen Schulplatz, muss Petra Nikolov, Sprecherin des Landesamtes für Bildung (Lasub), einräumen. "In Dresden sind die räumlichen und personellen Kapazitäten an den Schulen nahezu ausgeschöpft", sagt sie. Im Januar habe es einen neuen Anstieg an Neuanmeldungen aus der Ukraine gegeben, auch durch Umzüge nach Dresden. "In Einzelfällen gibt es auch Kinder, die mit ihren Familien nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Dresden in die Ukraine zurückgekehrt sind, sich jetzt aber wieder in Dresden befinden", sagt sie.

Bock beobachtet auch, dass die ukrainischen Kinder noch nicht zufriedenstellend in den Schulen integriert werden und oft unter sich bleiben. "Dabei lernen Kinder am besten von anderen Kindern Deutsch", sagt sie.

Fragt man das Lasub, heißt es: Ab diesem Schuljahr gibt es keine "ukrainischen Vorbereitungsklassen". In Dresden lernen in den Vorbereitungsklassen Schülerinnen und Schüler aus den verschiedensten Nationen gemeinsam. Seit Beginn des Ukrainekrieges wurden 1.220 ukrainische Schülerinnen und Schüler in die Schulen aufgenommen, daher gebe es einzelne Klassen, in denen vorrangig Kinder und Jugendliche aus der Ukraine lernen. Hier sollen sie zunächst Deutsch lernen und dann später in die Regelklassen integriert werden. "Rund 900 Schülerinnen und Schüler sind in den Dresdner Schulen in Regelklassen teilintegriert", sagt Nikolov.

Natalija Bock hat neben der schnellen Integration ihrer Landsleute in Dresden einen sehnsüchtigen Wunsch: das Ende des Krieges gegen ihre Heimat. Bis dahin wird sie weiter jeden Morgen ihr Handy in die Hand nehmen und die Nachrichten checken und die Meldungen ihrer Familie. Immer in der Hoffnung, dass alle wohlauf sind.