SZ + Dresden
Merken

Eine Simson namens Kalle – Wie eine Dresdnerin mit einem DDR-Moped Tiktok erobert

Mit Videos über ihre getunte Simson und die Reparatur ihres Pickups begeistert die Dresdnerin Käthe auf Tiktok. Dabei setzt sie auf Humor und sächsische Tradition. Eine Aufgabe, die das Publikum nicht immer würdigt.

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Dresdnerin hat ihre Simson „Kalle“ bis aufs kleinste Detail nach ihren Wünschen gebaut.
Die Dresdnerin hat ihre Simson „Kalle“ bis aufs kleinste Detail nach ihren Wünschen gebaut. © Moritz Fuß

Von Moritz Fuß

Dresden. Zwischen den Rostlauben auf dem Werkstatt-Hof am Dresdner Stadtrand grinst eine junge Frau in die Smartphone-Kamera. Mit den Händen in die Hüften gestemmt, sagt sie mit starkem sächsischem Dialekt: "So, wir müssen noch das Dach von der alten Mühle ausbeulen." Sie öffnet die Tür des Kleinwagens, legt sich mit dem Rücken auf den Fahrersitz und tritt mit den Füßen gegen das verbeulte Dach. Ein kurzes Knacken und das Dach des VW Lupos springt wieder in seine ursprüngliche Form. Die Frau lacht und steigt aus dem Auto, Kameramann Adam gibt Daumen hoch, das nächste Video ist im Kasten.

Mit Kurz-Clips wie diesen unterhält "Quietschiie", die eigentlich Käthe heißt, ihre Fans auf der Social-Media-Plattform Tiktok. In den sozialen Medien der Motor-Szene setzen viele Frauen auf Make-Up oder freizügige Kleidung. Käthe gibt lieber andere Einblicke: Sie will ihr Publikum mit ihrer Leidenschaft für Simson-Mopeds, gewaltige Pickups und den sächsischen Dialekt entertainen. Eine absolute Ausnahme.

Simson-Moped ist auch für Tiktok-Generation Kult

Käthe studiert Mediendesign in Dresden, spielt Fußball im Verein, arbeitet nebenbei in einem Grafikstudio und einer Gaststätte. Sie ist 23 Jahre alt und obwohl sie sich im Internet offen präsentiert, will sie ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. Sie trennt ganz klar zwischen Käthe und "Quietschiie".

Mit 14 hat sie sich ihr erstes Moped gekauft und nur wenig später ihre erste Simson in einer Werkstatt selbst zusammengeschraubt. Sie nennt sie liebevoll "Kalle". Das Zweitakt-Moped aus DDR-Zeiten ist auch für Käthes Generation Kult. Auf Social Media finden sich unter Hashtags wie "Simsontuning", "Simsonpower" und "SimsonS51" zahlreiche Videos und Kanäle von begeisterten jungen Fans des DDR-Mopeds. "Ich glaube, dass die Begeisterung für die Simson so angehalten hat, weil es einfach ein Fahrzeug mit ganz viel Charakter ist", sagt Käthe. "Direkt nach der Wende wurden die Mopeds auf den Schrott geworfen, weil sie absolut nichts mehr wert waren. Aber in den vergangenen Jahren haben sie wieder einen wahnsinnigen Aufschwung erlebt", sagt die 23-Jährige.

Quietschiie verbringt den Großteil ihrer Videos mit der Reparatur des F350 6,0 Power Stroke.
Quietschiie verbringt den Großteil ihrer Videos mit der Reparatur des F350 6,0 Power Stroke. © Moritz Fuß

Am Wochenende trifft sich die neue Generation Simson im Schönfelder Hochland. Vor den Toren der Stadt zwischen grünen Wiesen und sanft geschwungenen Hügeln liegt ihre Teststrecke. Teilweise 100 Leute grillen zusammen, fahren auf dem Hinterrad und haben Spaß. Auch Käthe rast hier mit ihrem "Kalle" durch die idyllische Landschaft und lässt die Reifen quietschen. Ihr Fahrstil hat ihr ihren Spitznamen eingebracht. "Quietschiie" nimmt regelmäßig an Moped-Wettbewerben teil. Besonders liebt sie Hillclimb-Rennen – hierfür muss man einen steilen Berg hinauffahren. Das Moped, das am weitesten kommt, gewinnt. Die vergangenen zwei Jahre hat sie dabei den ersten Platz belegt.

Sächsischer Charme erobert Tiktok

Auf Tiktok geht es für Käthe im Moment ähnlich steil bergauf. Die sozialen Medien haben für ihr Hobby lange keine Rolle gespielt. Nur nebenbei hat sie mal Videos und Bilder gepostet. Doch das hat sich in den vergangenen Wochen geändert. Tag für Tag klettert die Zahl ihrer Follower um rund tausend neue Anhänger. Ihre Videos knacken teilweise die Marke von einer Million Aufrufe. Mittlerweile postet "Quietschiie" jeden Tag mindestens ein Video auf Tiktok. Die Studentin weiß: Je regelmäßiger sie ihre Clips veröffentlicht, desto häufiger werden sie auch durch den Algorithmus der App anderen Usern angezeigt. Inzwischen ist das Posten der Videos für sie zum Nebenerwerb geworden. Mit Werbung kann sie nun Ersatzteile für die Reparaturen ihrer Fahrzeuge kaufen.

In ihrem neuesten Video will Käthe ihren Followern zeigen, wie man einen Ölwechsel bei ihrem Pickup durchführt. Aber dafür muss sie sich erstmal verwandeln: Beige Mütze, braune Fliegerbrille und sächsischer Dialekt. Aus der schüchternen Käthe wird die laute und selbstbewusste "Quietschiie". Ein Skript für das, was folgt, gibt es nicht. Sie klettert die zwei Meter hohe Hebebühne rauf und steigt mit Trichter und Ölkanister in den Motorraum des Achtzylinders. Kameramann Adam geht mit dem Smartphone auf die gegenüberliegende Seite und nickt ihr zu. "Quietschiie" legt los. "Aufschrauben. Da kommt der Trichter rein. Jetzt füllen wir kännchenweise das Öl da rein. Dann schrauben wir den Schrott wieder zu."

Gelernte KFZ-Mechanikerin ist Käthe alias Quietschiie nicht, den Ölwechsel bei einem Pickup schafft sie trotzdem.
Gelernte KFZ-Mechanikerin ist Käthe alias Quietschiie nicht, den Ölwechsel bei einem Pickup schafft sie trotzdem. © Moritz Fuß

Eine Szene dauert nur wenige Sekunden. Sie schaut sich die Aufnahme nochmal genau an. Passt, zur nächsten Szene. Fast drei Stunden dreht die Tiktokerin zwischen Pickup, Simson und Blechkisten. Am Ende hat sie Material für mindestens vier Videos à einer Minute gefilmt. Das reicht, um bis zum Wochenende jeden Tag etwas zu posten.

„Quietschiie“ verfolgt ein klares Ziel

"Natürlich sitzen alle Handgriffe nicht optimal", sagt Käthe. Das sehen auch manche Nutzer unter ihren Videos so. "So eine Hohlfrucht!", "Wie wäre es mit einer Reinigung der Kabelführung?", "Dichtung einölen, hast du vergessen". Vor allem Männer versuchen der jungen Frau die Welt zu erklären. "Wenn es schlechte Kommentare gibt, dann ist es wahrscheinlich auf Neid bezogen, oder es sind Männer, die sich in ihrer Männlichkeit angegriffen fühlen. Es nicht akzeptieren können, dass eine Frau das als Hobby macht", sagt Käthe. Für sie zählt am Ende nur eines, die Passion für Simson-Mopeds, große Autos und sächsische Tradition. "Quietschiie" ist keine Mechanikerin oder Feministin. Sie ist Käthe aus Dresden.

Der Autor ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und im Rahmen eines Ausbildungsseminars zu Lokaljournalismus in Dresden. In dem Programm lernen die Geförderten das journalistische Handwerk parallel zu ihrem Studium und werden finanziell unterstützt.