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So reagiert das Diako in Dresden auf Attacken in der Notaufnahme

Randaliert, verbal attackiert, beschimpft: Immer wieder gibt es Angriffe auf Mitarbeiter in Krankenhäusern. Das Dresdner Diakonissenkrankenhaus hat deshalb jetzt Ärzteteam und Pflegekräfte schulen lassen.

Von Theresa Hellwig
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Der ärztliche Leiter der Notaufnahme des Dresdner Diakonissenkrankenhauses, Thomas Hohaus (l.) und die Pflegerin Kathrin Birkhofer sind von Egon Herter geschult worden. Sie haben erfahren, wie sie aggressive Situationen deeskalieren können.
Der ärztliche Leiter der Notaufnahme des Dresdner Diakonissenkrankenhauses, Thomas Hohaus (l.) und die Pflegerin Kathrin Birkhofer sind von Egon Herter geschult worden. Sie haben erfahren, wie sie aggressive Situationen deeskalieren können. © Matthias Rietschel

Dresden. Egon Herter deutet auf einen Mann im Publikum und winkt ihn zu sich. "Umklammere mich mal", fordert der Mann mit dem Schweizer Dialekt den Seminarteilnehmer auf. Dann zeigt Egon Herter den Anwesenden, wie sie sich aus der Umklammerung befreien können – wie sie dem Gegenüber unters Kinn fassen können und sich wegdrehen können. Dazu gibt er ein lautes "Stopp!" von sich. "Jetzt gehen wir auf Sicherheitsabstand", erklärt er dann in Richtung Publikum – und tritt ein paar Schritte zurück.

Das Publikum, das besteht nicht etwa aus Sicherheitskräften, Polizisten oder Bediensteten einer JVA. Es sind keine Menschen, die in Berufen arbeiten, bei denen man davon ausgeht, dass sie dringend ein Deeskalationstraining brauchen, weil sie in Konfliktsituationen mit Menschen arbeiten. Im Gegenteil: Die Seminarteilnehmenden an diesem Tag wollen anderen Menschen helfen. Es sind Ärzte und Pflegekräfte: Mitarbeitende des Dresdner Diakonissenkrankenhauses.

Egon Herter selbst hat einst in der Schweiz als Pflegekraft gearbeitet. Nun gibt er Deeskalationskurse in Krankenhäusern. Und an diesem Tag ist er eben im Dresdner Diakonissenkrankenhaus zu Gast.

Attacken auf Rettungskräfte

Zwei Tage lang schult er die Mitarbeitenden der Notaufnahme und auch von den Stationen. Er zeigt ihnen, wie sie mit laut gewordenen Patienten und Angehörigen umgehen können und erklärt, wie sie aufgebrachte Menschen mit Worten emotional erreichen können.

Erst vor Kurzem hatte das Ärzteblatt darüber berichtet, dass in Notaufnahmen die Gewalt zunimmt. Es gebe mehr verbale Attacken – und mehr Handgreiflichkeiten.

Allein in den vergangenen paar Wochen habe es im Diakonissenkrankenhaus zwei Polizeieinsätze gegeben, berichtet auch Thomas Hohaus, der ärztliche Leiter der Notaufnahme in dem Krankenhaus. Einmal habe ein Mann, der als Selbstvorsteller – also nicht mit dem Rettungsdienst – in die Notaufnahme gekommen war, randaliert. "Er war erst einmal nicht groß auffällig", sagt Thomas Hohaus. "Es stellte sich aber heraus, dass er Wahnvorstellungen hatte." Der Mann habe begonnen, zu randalieren – und die Einrichtung der Notaufnahme beschädigt. Darunter auch medizinische Technik, wie ein CT-Gerät.

Szene hat sich ins Gedächtnis der Schwester eingebrannt

Der andere Vorfall – auch Sächsische.de berichtete darüber – ereignete sich am 21. Oktober. Ein Betrunkener trat einen Sanitäter und verletzte den Mann leicht.

"Die Menschen werden generell immer aggressiver", sagt Thomas Hohaus. Wie oft im Jahr das Krankenhaus mit ähnlichen Vorfällen zu tun hat, weiß er gar nicht so genau. "Man muss das auch nicht überdramatisieren", sagt er, "das kommt unter zehnmal im Jahr vor".

Dennoch: Es beeinflusse die Mitarbeitenden im Krankenhaus. Das weiß auch Kathrin Birkhofer. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Krankenschwester in der Notaufnahme. "Kleinere Sachen", sagt sie, "sind eigentlich Alltag bei uns". Kleinere Sachen – damit meine sie zum Beispiel, dass aufgebrachte Patienten Urinflaschen wegwerfen. Auch angeschrien werde das Personal in der Notaufnahme häufig. "Vor allem am Wochenende, in den Spät- oder Nachtdiensten", sagt sie. Als "Scheißladen" müsse sich das Personal durchaus öfters beschimpfen lassen. Und dass Menschen sich in die Tür stellen, wenn sie eigentlich hindurchgehen wolle, erlebe sie auch immer wieder.

Mitgefühl ist wichtig

In ihr Gedächtnis habe sich eine Situation eingebrannt. So sei vor Kurzem ein Geflüchteter aus einer Erstaufnahmeeinrichtung mit der Polizei in die Notaufnahme gebracht worden. Er habe eine Platzwunde am Kopf gehabt, rumgeschrien und sei motorisch sehr unruhig gewesen. "Der Mann hatte offensichtlich Folternarben und sprach nur Arabisch und Französisch", erinnert sich Kathrin Birkhofer. "Trotzdem hat die Polizei für mein Gefühl sehr grob mit dem Mann gesprochen."

Es sei sehr schwer gewesen, herauszufinden, was das eigentliche Problem des Mannes war. Die Mitarbeitenden der Notaufnahme hätten dann eine Ärztin dazugeholt, die Französisch spricht. Und fanden so heraus, dass der Mann durch die Situation mit der Polizei retraumatisiert worden war. "Wir konnten den Mann herunterbringen, ihm ein Beruhigungsmittel verabreichen", erinnert sich Kathrin Birkhofer. "Er ist in die Psychiatrie verlegt worden."

Die Situation hat sie in ihrer Erinnerung – als eine, in der sie und das Team gut zusammengearbeitet haben. "Wir haben es hier gemeinsam geschafft, den Mann zu erreichen", sagt sie. "Auch durch Mitgefühl."

Mitgefühl – das sei wichtig, sagt auch der Trainer Egon Herter. Verständnis dafür, was die betroffenen Menschen in ihre Situation gebracht habe. "In unserem Kurs schauen wir uns an, was aggressionsauslösende Reize sind", erklärt er, "und wie wir diesen begegnen können. Wie wir die Betroffenen erreichen können."

Die Pflegerin fühlt sich nach dem Training sicherer

So wissen auch Thomas Hohaus und Kathrin Birkhofer um die Probleme im deutschen Gesundheitssystem, sagen sie. "Wer zu uns kommt, ist ja nun einmal oft in einem psychischen Ausnahmezustand", sagt Kathrin Birkhofer. "Patienten haben es heutzutage oft nicht leicht; sie werden von Pontius zu Pilatus geschickt und finden keinen Arzt, der sie aufnehmen kann", sagt Thomas Hohaus.

Das Hintergrundwissen helfe in Situationen mit Betroffenen, so Egon Herter. "Ich habe heute beispielsweise gelernt, dass es mehrere Deeskalationsstufen gibt", sagt Kathrin Birkhofer. "Ich habe Dinge gelernt, die im Alltag anwendbar sind." Einiges haben sie und die anderen bereits vorher unbewusst angewendet – so auch in der Situation mit dem traumatisierten Mann aus der Erstaufnahmeeinrichtung. Aber sie habe das Gefühl, dass ihr die Teilnahme am Kurs jetzt etwas mehr Sicherheit gebe.