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Wieder zwei Dynamo-Chaoten in Dresden verurteilt

Keine Zeugen oder Videos, dafür knappe Geständnisse nach kuscheligen Deals: Die Justiz hechelt die Dynamo-Krawalle vom Mai 2021 durch - mit wechselhaftem Erfolg.

Von Alexander Schneider
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Dynamo Dresden gelang am 16. Mai 2021 der Wiederaufstieg - doch statt zu feiern gingen Hunderte Dynamo-Chaoten auf die Polizei los. Dabei waren wegen der Corona-Pandemie Versammlungen verboten. Durchgesetzt wurde das Verbot vor dem Stadion jedoch nicht.
Dynamo Dresden gelang am 16. Mai 2021 der Wiederaufstieg - doch statt zu feiern gingen Hunderte Dynamo-Chaoten auf die Polizei los. Dabei waren wegen der Corona-Pandemie Versammlungen verboten. Durchgesetzt wurde das Verbot vor dem Stadion jedoch nicht. © Foto: Archiv

Dresden. Wer verstehen will, welche Bedeutung der Fußballclub Dynamo Dresden im öffentlichen Leben Dresdens spielt, muss sich ein Wochenende im Jahr 2021 ansehen. Am Sonntag, 16. Mai, verursachten Tausende sogenannter Dynamo-Fans vor heimischer Kulisse die bisher schwersten Krawalle. Die einen, weil sie über Stunden massivste Gewalt ausgeübt, die anderen, weil sie zusahen und den Chaoten so erst eine Bühne und einen Schutzraum dafür geboten hatten.

Mehr als 180 Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt, auch mehrere Journalisten und Ungezählte aus dem Fanlager. An jenem Sonntag hatte Dynamo Dresden mit einem Sieg über Türkgücü München den Aufstieg in die 2. Bundesliga geschafft – heute nennen manche die Krawalle "Aufstiegsfeier", auch wenn längst belegt ist, dass die Gewalt von langer Hand in Ultras-Kreisen vorbereitet worden war.

Das wichtige Spiel fand ohne Zuschauer statt. Im Mai 2021 galt die Corona-Schutzverordnung, die jegliche Menschenansammlungen untersagte. Am 15. Mai hatten Gerichte daher auch in Dresden Kundgebungen untersagt. Weil zahlreiche Corona-Protest-Demos geplant waren und die Polizei das Demonstrationsverbot durchsetzen musste, wurde das geplante Aufstiegsspiel auf Sonntag verschoben.

Politische Versammlungen und das Recht auf freie Meinungsäußerung wiegen verfassungsrechtlich mehr als Fußballspiele. Doch was am Sonnabend galt, war am Sonntag schon wieder vergessen. Das ist wohl der Dynamo-Faktor. Tausende Polizisten vertrieben die vielen Fangruppen nicht aus der Innenstadt – sie schirmten lediglich das Stadion hinter einer Wand aus Polizeifahrzeugen ab. Bald kamen die Fans, das Bier floss in Strömen. Das Unheil nahm seinen Lauf – und füllt nun Hunderte Strafakten der Staatsanwaltschaft Dresden.

Dynamo-Krawalle: Stadionverbot auf Bewährung?

Am Dienstag standen zwei dieser Chaoten vor dem Amtsgericht Dresden. Der eine, Nico H. (30, Stahlbetonbauer) hatte sich in der ersten Ultras-Gruppe befunden, von der die Ausschreitungen am Trainingsgelände im Großen Garten ausgingen. Der andere, Martin F. (29, Zerspanungsmechaniker) war auch heftig unterwegs. Beide bewarfen Polizisten mehrfach mit Flaschen und Pyrotechnik, F. hatte sogar einen Beamten getroffen.

Ihr Mandant, lobte F.s Verteidigern Ines Kilian, habe in der Folge schon ein "Stadionverbot auf Bewährung" von Dynamo erhalten. Das war neu. Stadionverbote auf Bewährung für Gewalttäter? Kilian sprach von einem spontanen Ereignis und "Gruppendynamik", F. habe sich hinreißen lassen. Bei H., der an der Spitze lief und Pyrotechnik mitgebracht hatte, sei es der Alkohol gewesen, so Verteidigerin Linda Röttig.

Der Ultras-Fan hat offenbar nie ein Stadionverbot erhalten. Im K-Block, heißt es, gelten andere Regeln. Das jedenfalls berichten Ermittler, wenn man sie danach fragt. Auch das "Stadionverbot auf Bewährung" sorgt dort für Heiterkeit.

Das Schöffengericht vereinbarte mit Anwälten und Angeklagten gemeinsam einen Deal, wonach die beiden Dresdner mit Bewährungsstrafen um die eineinhalb Jahre und einer wenig schmerzhaften Geldauflage rechnen können. Danach stellte man ihnen keine Fragen mehr. Einsilbiges Geständnis, kein Bedauern, keine Zeugen, nicht mal Videos der Täter sahen sich die Richter in dieser "Beweisaufnahme" an.

Weitere Anklagen gegen beide Randalierer aus Dresden

Dafür stellten sie weitere Anklagen ein. H. und F. sollen sich bereits im Oktober 2018 an einer Schlägerei am Pichmännel-Oktoberfest beteiligt haben, als nach Schankschluss zwei Gruppen - Dynamo-Anhänger und privat feiernde Polizisten - vor dem Festzelt im Ostragehege in die Haare bekamen. Das war vor fünfeinhalb Jahren. Angeklagt wurde die Sache 2022, die Beweislage sei jedoch, so der Vorsitzende Richter, schlecht.

Martin F. jedoch hatte auch im Februar 2020 bei einer Faschingsveranstaltung in Radeburg die Kontrolle verloren und einem Mann, der offenbar schon am Boden gelegen hatte, "mindestens einmal ins Gesicht getreten". Auch diesen Vorwurf räumte Verteidigerin Kilian für F. bei der ganzen Dealerei mit ein. Immerhin, sagt sie, habe sich das Amtsgericht Meißen lange Zeit damit gelassen, den Strafbefehl zu erlassen. Erst danach habe F. sich beim Geschädigten entschuldigen und ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 400 Euro zahlen können.

Die drei Anklagen gegen F. sowie eine einschlägige Verurteilung in Hamburg 2022 wegen Landfriedensbruchs anlässlich eines Fußballspiels zwischen St. Pauli und Dynamo Dresden im Februar 2020 zeigten, dass der 29-Jährige ein Problem damit habe, sich zu beherrschen. Gerade im Zusammenhang mit Fußball neige er zu Gewalt, sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer, in dem es doch um fast nichts mehr ging. Sie sagte, auch wenn man hier eine Verfahrensabsprache, einen Deal, einging, sei an den Taten vom 16. Mai "nichts zu verharmlosen".

"Der Fackelmarsch war der Auslöser"

Als die Staatsanwältin auch noch erwähnte, dass manche Zeugen, verletzte Polizisten, die sie selbst im Gericht habe weinen sehen, diesen Mai-Sonntag "wie im Krieg" erlebt hätten, konnte es sich Verteidigerin Kilian in ihrem Plädoyer nicht ersparen, zu entgegnen, sie selbst habe einige dieser Dynamo-Täter verteidigt, aber niemanden weinen sehen - und sie verbitte sich angesichts der aktuellen tatsächlichen Kriege solche Vergleiche.

Nach der kurzen Empörung wurde das Urteil dann wieder im kuscheligen Richter-Ton verkündet: H. bekam 18 Monate und F. 17 Monate wie besprochen auf Bewährung und beide die Auflage, 800 Euro für gemeinnützige Vereine zu zahlen. Tatsächlich sprach der Vorsitzende von einer "Aufstiegsfeier", betonte aber, dass die Gruppe, zu der H. gehörte, "einer der Auslöser" für die Gewalt gewesen sei. Das hätten bisher auch in seinen anderen Verfahren alle einheitlich ausgesagt: "Der Fackelmarsch war der Auslöser".

Noch immer finden Prozesse rund um Dynamo-Krawalle statt

Mit Stadionverboten hat das Gericht nichts am Hut, die werden über den Verein beziehungsweise den Fußballverband "geregelt". Inzwischen sind seit den Krawallen vom Mai 2021 fast drei Jahre vergangen. Die Polizei hat noch einzelne Beschuldigte in der Mache, andere Verfahren verstauben vor Gericht. Unbedingte Freiheitsstrafen muss kaum noch ein Chaot befürchten.

So wurde bereits im September 2023 ein Beschuldigter nach zwei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen, der mehr als 40 Gegenstände auf Polizisten geworfen und sogar mehrfach getroffen haben soll. Der Mann soll darüber hinaus und abseits vom Fußball auch in einer Kneipe einen Gast verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn Anfang September 2023 vor dem Landgericht Dresden angeklagt, weil sie von mehr als vier Jahren Haft ausging.

Die zuständige Kammer des Landgerichts hob den Haftbefehl zwei Wochen darauf mit der Begründung auf, dass eine Wiederholungsgefahr nicht zu begründen sei, teilte ein Justizsprecher auf Anfrage mit. Das Hauptverfahren sei inzwischen eröffnet worden und soll "noch im Jahr 2024" durchgeführt werden. Allerdings: Haftsachen, also Verfahren mit Angeklagten, die in Untersuchungshaft sitzen, müssen aufgrund des Eingriffs in deren Freiheitsrechte von den Gerichten "bevorzugt terminiert" werden.

Ein rätselhafter Freispruch und seine Folgen

Manchmal sind juristische "Fehleinschätzungen" die Ursache für eine lange Verfahrensdauer, die im krassen Widerspruch zu vollmundigen Ankündigungen aus dem Sommer 2021 stehen. Erst Mitte Februar dieses Jahres wurde ein 31-jähriger Angeklagter wieder freigesprochen, der sich Ende 2021 auf einem Fahndungsfoto der Polizei selbst erkannt hatte - und später, im März 2023, in seinem erstinstanzlichen Prozess behauptete, er sei nicht der gesuchte Täter auf dem abgebildeten Foto, sondern habe sich lediglich als Zeuge melden wollen. Das hatte tatsächlich ein Staatsanwalt dem Angeklagten abgenommen und den Freispruch gefordert.

Auch im Februar überwogen nun bei einer Berufungskammer des Landgerichts "die Zweifel" und sprach den Angeklagten erneut frei - obwohl nun bekannt wurde, dass der Angeklagte auch von mehreren Zeugen auf dem Fahndungsfoto identifiziert worden war und er auch von einer sogenannten Wiedererkennerin, einer "Super-Recognizerin" der Polizei identifiziert wurde. Das Gericht hatte auch hier davon abgesehen, sich die Videos der Krawalle anzusehen.

Die Staatsanwaltschaft Dresden, die schon nach dem ersten Freispruch im März 2023 Berufung eingelegt hatte, teilte nun mit, auch dieses Urteil auf dem Wege der Revision anzufechten.