SZ + Feuilleton
Merken

Was die Bombardierung Dresdens 1945 mit den Angriffen auf Gaza zu tun hat

Der 13. Februar 1945 geschah nicht aus heiterem Himmel: Die Bombardierung Dresdens hatte eine Vor- und Nachgeschichte, die bis heute wirksam ist.

Von Oliver Reinhard
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
In seiner Collage „Der bedingungslose Romantiker“ vermengt der Künstler Dada
Vadim Motive des historischen Zentrums von Dresden mit Trümmern
einer Stadt im
Nahen Osten.
In seiner Collage „Der bedingungslose Romantiker“ vermengt der Künstler Dada Vadim Motive des historischen Zentrums von Dresden mit Trümmern einer Stadt im Nahen Osten. © David Adam

„Bombardieren Sie das rote Leuchten der Zielmarkierer nach Plan.“ Diesen Befehl funkte „Masterbomber“ Maurice Smith aus seiner zweimotorigen Mosquito am späten Abend des 13. Februar 1945 an einen britischen Lancaster-Verband, der sich im Anflug auf Dresden befand. Minuten später versank die Stadt im größten Inferno ihrer Geschichte.

Die Bomben vernichteten das eng bebaute Zentrum und richteten in umliegenden Stadtteilen enorme Verwüstungen an. Durch die Innenstadt tobte ein Feuersturm. 25.000 Menschen wurden erschlagen, erstickten in Kellern, verglühten in den Flammen. Als sich die zweite Angriffswelle der Royal Air Force näherte, konnten ihre Besatzungen den Schein der Katastrophe schon von Weitem ausmachen. Dresden selbst war zum roten Leuchten geworden.

805 britische Bomber vom Typ Avro 683 Lancaster flogen die Nachtangriffe am 13. und 14. Februar 1945 auf Dresden.
805 britische Bomber vom Typ Avro 683 Lancaster flogen die Nachtangriffe am 13. und 14. Februar 1945 auf Dresden. © National Archives

Der konventionelle Bombenkrieg an seinem Höhepunkt

Warschau, Rotterdam, Belgrad, Hamburg; zwar ist Sachsens Landeshauptstadt „nur“ eine von vielen Städten, die im von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg ein schreckliches Schicksal erlitten. Doch hier erreichte der herkömmliche Bombenkrieg einen Höhepunkt an Effizienz. Er markiert den letzten Schritt auf dem Weg ins Atomkriegszeitalter, das ein halbes Jahr später in Japan begann.

So einzigartig historische und gegenwärtige Katastrophen in Kriegen auch sind oder sein mögen, so sehr in der Betrachtung alles andere um sie herum im Hintergrund zu verblassen droht: Ob in Dresden, Hiroshima, Mariupol oder in Israel und Gaza – nichts davon ist wirklich zu verstehen ohne die historisch-politischen Zusammenhänge, in denen sie geschehen. Auch der 13. Februar kann nicht für sich allein genommen betrachtet werden.

Das Zentrum Dresdens wurde weitgehend zerstört. Bis zu 25.000 Menschen kamen ums Leben.
Das Zentrum Dresdens wurde weitgehend zerstört. Bis zu 25.000 Menschen kamen ums Leben. © Bundesarchiv

Die Alliierten schlugen ab 1942 massiert zurück

Seit dem Angriff deutscher Bomber auf die baskische Stadt Guernica 1937 hatte sich der Luftkrieg in einer kontinuierlichen Eskalationsspirale radikalisiert. Der Zweite Weltkrieg begann mit massiven Angriffen der Luftwaffe gegen polnische Kleinstädte wie Wielun oder Metropolen wie Warschau und später Rotterdam, Coventry, London, Leningrad. Die Alliierten schlugen ab 1942 massiv zurück, im Mai erlebte Köln den ersten 1.000-Bomber-Angriff. Auch Dresden wurde ab 1944 mehrfach attackiert. Zunächst mit kleineren Schlägen, während gerade im Westen eine Großstadt nach der anderen in Trümmer sank.

Im Januar 1945 erreichte der Krieg das Gebiet des Deutschen Reiches. Im Westen standen die Alliierten mit starken Verbänden an der Grenze. Im Osten drang die Rote Armee am 12. Januar über die Weichsel vor und eroberte in kurzer Zeit Ostpreußen und Schlesien. Anfang Februar näherte sie sich Frankfurt an der Oder. Militärisch hatte Deutschland den Krieg längst verloren.

Der Anfang des modernen Bombenkrieges: 1937 legten deutsche Bomber die baskische Kleinstadt Guernica im spanischen Bürgerkrieg in Schutt und Asche.
Der Anfang des modernen Bombenkrieges: 1937 legten deutsche Bomber die baskische Kleinstadt Guernica im spanischen Bürgerkrieg in Schutt und Asche. ©   dpa

Obwohl der Krieg verloren war, wurde weitergekämpft

Doch die Reichsregierung dachte nicht an Verhandlungen oder Waffenstillstand. Sie gab stattdessen immer lautere Durchhalteparolen von Kriegswende und „Endsieg“ durch den Einsatz neuer Wunderwaffen aus. Folgsam kämpften an allen Fronten Millionen deutscher Soldaten und fügten ihren Gegnern empfindliche Verluste zu, auch die „Heimatfront“ hielt. Immer wieder kam es zu großen Abwehrschlachten wie noch Mitte April 1945 im Oderbruch oder zu Gegenstößen wie wenige Tage später bei Bautzen.

Bis zuletzt wurden von den Alliierten bereits eroberte Orte wieder „befreit“, um kurz darauf noch einmal erobert zu werden – sinnlose Aktionen, die den Krieg nur verzögerten und die Opferzahlen auf beiden Seiten unnötig erhöhten. Und bis in den März 1945 wurden auch mit den V2-„Vergeltungswaffen“ Terror-Angriffe auf London unternommen.

Bis in den März 1945 hinein wurden mit den V2-„Vergeltungswaffen“ Terror-Angriffe auf London unternommen.
Bis in den März 1945 hinein wurden mit den V2-„Vergeltungswaffen“ Terror-Angriffe auf London unternommen. © Bundesarchiv

Zum Kriegsende wurde Dresden ein wichtiges Bombenziel

Unterdessen hatten die britischen und US-Luftflotten zur Operation „Donnerschlag“ ausgeholt und eine Serie von Großangriffen auf Industrieziele und Städte gestartet. Das Ziel lautete: Truppenbewegungen der Wehrmacht behindern oder unterbinden sowie den eigenen Vormarsch und den der Roten Armee unterstützen.

So geschah es. Seit dem 1. Februar flogen die Bomber der Royal Air Force und der Amerikaner massive Angriffe, vor allem gegen Berlin, Essen und Magdeburg. Erstmals wurde nun auch Dresden als immer wichtiger gewordener Verkehrsknotenpunkt hinter der Front zum Hauptziel einer kombinierten Attacke beider Verbündeter auserkoren und war damit als „Opfer“ eines Flächenbombardements der RAF vorgesehen.

Während die Dresdner Bevölkerung noch hoffte, ihre Stadt würde von einem Großangriff verschont bleiben, war sich Sachsens Gauleiter Martin Mutschmann (r.) längst sicher, dass es auch die Elbmetropole treffen würde.
Während die Dresdner Bevölkerung noch hoffte, ihre Stadt würde von einem Großangriff verschont bleiben, war sich Sachsens Gauleiter Martin Mutschmann (r.) längst sicher, dass es auch die Elbmetropole treffen würde. © © Deutsche Fotothek

Die Erzählung der „unschuldigen Kunst- und Kulturstadt“

Zumindest Sachsens Gauleitung machte sich darüber auch keine falschen Illusionen. Nach dem Krieg gab einer ihrer Mitarbeiter zu: Ja, man habe gewusst, „dass wir mit einem schweren Angriff rechnen mussten … Damit haben ja alle parteilichen Stellen gerechnet, im Gegensatz zur Bevölkerung, wo bei einem ganzen Teil die Meinung bestand, dass Dresden verschont wird.“ Man ließ sie in dem Glauben.

Zu den singulären Merkmalen des 13. Februar 1945 gehört dessen Wirkungsgeschichte. Unmittelbar nach dem Bombardement wurde die Katastrophe ideologisch ausgeschlachtet. Den Anfang machte eine der letzten großen NS-Propagandakampagnen. Sie begründete die Erzählung von der „unschuldigen Kunst- und Kulturstadt“, die „sinnlos zerstört“ worden sei und Hunderttausende Opfer gefordert habe.

Bis zuletzt kamen zahlreiche Dresdner zu den offiziellen "Kampfkundgebungen", zu denen die SED das Gedenken gemacht hatte. 1989 sollen sich auf dem damaligen Georgi-Dimitroff-Platz 100.000 Einwohner versammelt haben.
Bis zuletzt kamen zahlreiche Dresdner zu den offiziellen "Kampfkundgebungen", zu denen die SED das Gedenken gemacht hatte. 1989 sollen sich auf dem damaligen Georgi-Dimitroff-Platz 100.000 Einwohner versammelt haben. ©  SZ-Archiv

Gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung

Diese Erzählung wurde international aufgegriffen, auch von britischen Gegnern des eigenen „Moral Bombing“, der gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung, um deren Moral zu zerstören. Ein Ziel, das nie erreicht wurde. Heute gehört Dresden zu den weltweit bekanntesten Mahn-Orten gegen Krieg und Gewalt, wie Guernica, Coventry und Hiroshima. Und bis heute wird die Erzählung von Dresden benutzt, ausgenutzt und instrumentalisiert für unterschiedliche politische Zwecke.

Das geschieht seit Jahrzehnten, es geschah auch am vergangenen Wochenende, als rechtsextreme Relativierer erneut das NPD-Unwort vom „Bomben-Holocaust“ benutzten, um das Verbrechen von Auschwitz gegen das Verbrechen von Dresden aufzurechnen. Aber auch Politiker instrumentalisieren den 13. Februar immer wieder.

2017 nahm der Künstler Manaf Halbouni ein Motiv aus dem zerstörten syrischen Aleppo zum Vorbild für sein Kunstwerk „Monument“ vor der Frauenkirche gegen zivile Opfer von Kriegen in Dresden und weltweit.
2017 nahm der Künstler Manaf Halbouni ein Motiv aus dem zerstörten syrischen Aleppo zum Vorbild für sein Kunstwerk „Monument“ vor der Frauenkirche gegen zivile Opfer von Kriegen in Dresden und weltweit. ©  Sebastian Kahnert/dpa

Die Frauenkirche im Nahen Osten

Die ist indes kein rein deutsches Phänomen. So rechtfertigte der ehemalige israelische Verteidigungs- und Premierminister Naftali Bennett nach dem Terrorangriff der Hamas die Luftschläge seiner Regierung auf den Gaza-Streifen gegenüber einem britischen Journalisten so: „Großbritannien hat im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft. Damals hat auch niemand gefragt, was in Dresden vor sich geht. Die Nazis hatten London ins Visier genommen, und ihr habt Dresden bombardiert.“

Doch das Vermächtnis des 13. Februar 1945 hat auch etliche positive Facetten. Nicht zuletzt inspiriert sie Künstler wie Manaf Halbouni mit seinen Aleppo-Bussen vor der Frauenkirche oder David Adam mit seinem Bild von Dresden, in dem sich Motive des Stadtzentrums mit Trümmern einer Stadt im Nahen Osten vermischen.

Wie sie beziehen sich Schriftsteller, Musiker, Politiker, Kulturinstitutionen und Vereine seit Jahren auf das Symbol „Dresden“, um militärische Gewalt gegen Zivilisten weltweit anzuprangern und sich gegen Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten sowie gegen Nationalismus, Rassismus und Extremismus zu engagieren, insbesondere gegen den von rechts. Auch das gehört zur einzigartigen Wirkungsgeschichte des 13. Februar 1945.