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Durch Pirna geht’s künftig nur mit Alkohol

Neue thematische Führung in der Stadt Pirna setzt auf Hochprozentiges. Es gibt Anekdoten und Beifall – aber auch kritische Töne.

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Von Ronny Zimmermann

In einer Zeit, wo in Frankreich die Jakobiner wüten und Napoleon mehr und mehr die Macht ergreift, brennen sie in Pirnas Hinterhöfen einen neuen Likör. Bitter soll er sein. Dazu gehaltvoll und scharf. Der Mörser zerreibt Tausendgulden, Angelikawurzel und Enzian. Es ist das Jahr 1793 – am Standort der Likörfabrik riecht es nach Alkohol. Dort, wo heute der Hof des Eiscafés „Alfredo“ liegt, verfeinert Gottlieb Hafftmann täglich seine Mischung. Bald schon soll Pirna seinen eigenen Likör haben. Nun, 218Jahre später, steht Stadtführer Wolfgang Bieberstein an gleicher Stelle. Er trägt ein weißes Hemd, schwarze Weste und Zylinder. In der Hand hält er eine Flasche Likör. „Das ist ein Original nach Pirnaer Tradition“, erzählt Bieberstein, „bitter im Geschmack, nach dem Essen besser als jede Medizin.“

Der „Hafftmann’sche“ ist ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Zehn Jahre lang ist er schon Stadtführer, wandelte mal als Nachtwächter mal als alter Schwede durch die Altstadt. Nun kommt etwas ganz Neues hinzu: Ein feucht-fröhlicher Verdauungsspaziergang mit einer echten Pirnaer Marke. „Ich will die Leute für die Stadt Pirna begeistern und nicht zum Alkohol verleiten“, sagt Bieberstein zu seiner neuen Führung. Etwas Verführung ist dann aber doch dabei. Denn gleich zu Beginn erhält jeder Teilnehmer einen original Hafftmann’schen Magenbitter. Auch Bieberstein nimmt einen kleinen Schluck. Dann fängt er an zu erzählen. „Meine Frau sagt immer: ,Wer Sorgen hat, der hat auch Likör!‘“ Die Gruppe lacht. Bieberstein führt sie vorbei am Engelserker auf die Lange Straße bis zur Marienkirche. Er berichtet viel vom historischen Pirna um 1800 und bleibt dabei gewohnt witzig. „Konnte ich Ihnen gerade etwas Neues erzählen?“, fragt er eine Frau. Sie nickt. „Gut. Da muss ich Ihnen also kein Geld zurückzahlen.“ Bieberstein trinkt aus seiner Likörflasche.

Hat’s Napoleon auch gekostet?

Dass der Pirnaer Stadtführer aber auch ernst sein kann, beweist er wenige Minuten später. Wolfgang Bieberstein bleibt am Markt stehen und zeigt auf ein eingerüstetes Gebäude. „Wenn ich höre, wie die Leute hierzu nur noch ,Tom-Pauls-Haus‘ sagen, dann kann ich nur den Kopf schütteln“, erzählt er, „das hier ist das Peter-Ulrich-Haus, und das wird auch so bleiben.“ Bieberstein spielt auf die Ilse-Bähnert-Stiftung des bekannten Kabarettisten an. Diese kaufte das Haus und lässt nun Café und Kabarett einbauen. Bieberstein will Pirnas historischen Wert schützen – auch im Wortschatz. „Welch‘ Offreschung!“, würde dazu das sächsische Original Ilse sagen. Der Stadtführer braucht dringend einen Likör.

Bei den Gästen kommt Biebersteins neuer Rundgang prima an. „Es hat mir gut gefallen. Er erzählt lustige Anekdoten und vermittelt die Fakten sehr gekonnt“, sagt Dietmar Dirschel. Er hat schon oft Stadtrundgänge mitgemacht, aber dieser sei besonders originell. Auch Carmen und Dieter Schmiedel sind zufrieden: „Der Rundgang war sehr interessant und auch der Magenbitter ist vom Feinsten.“

Das dachte sich zu seiner Zeit wohl auch Napoleon. 1813 wohnte er kurze Zeit im Marienhaus am Markt. Ihm schlug wohl eher sein zerschlagener Europafeldzug auf den Magen als der Pirnaer Likör…

Der nächste Stadtrundgang mit Magenbitter findet am Sonnabend, von 14 bis 15 Uhr, statt. Treffpunkt ist der Hof des Eiscafés „Alfredo“ in Pirna. Preis: 5 Euro.