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DVB auf Flüsterfelgen durch die Stadt

Die Verkehrsbetriebe testen ein Hightech-Rad, das nicht nur im Nahverkehr eine kleine Revolution bringen könnte.

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© Tobias Wolf

Von Tobias Wolf

Der Urenkel der Trabant-Karosserie ist rund und hat zehn Löcher. Nur: Der Nachkomme der Zwickauer Legende wird ein Auto eher tragen als verkleiden. Die TU Dresden testet momentan auf dem Lausitzring eine neuartige Leichtbaufelge für Linienbusse. Hergestellt aus Carbon und Aluminium könnte sie den Nahverkehr der Zukunft revolutionieren, denn das Hightech-Material Carbon spart Gewicht gegenüber herkömmlichem Stahl. Statt über 40 Kilogramm wiegt das Rad nur noch 18 Kilogramm. Dafür sorgt die Kohlefaser Carbon im Felgenring. Der sogenannte Radstern besteht aus Aluminium. Das Unternehmen ThyssenKrupp Carbon Components entwickelt und produziert die Felgen in Kesselsdorf vor den Toren Dresdens.

Ein Gelenkbus hat zehn Felgen, rechnet Robert Roch vor, Fuhrpark-Chef der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB). „Damit ist der Bus bis zu 250 Kilogramm leichter“, sagt der 46-Jährige. „Ich erwarte deshalb auch Einsparungen beim Spritverbrauch.“ Ein bis zwei Prozent weniger Dieselkraftstoff könnten die Felgen bringen. Klingt nicht viel, spart aber beim Betrieb der gelben Flotte mehrere zehntausend Euro pro Jahr – obwohl die Carbonräder etwa das Doppelte ihres Pendants aus Stahl kosten. Bei einem rein elektrisch angetriebenen Bus ist der Einspareffekt noch größer, weil er beim Bremsen Energie rückgewinnt und in die Batterie einspeist. Bis die neue Felge im Alltagseinsatz ankommt, muss die Weltneuheit zunächst die Tests auf dem Lausitzring überstehen, bevor es die Zulassung vom Kraftfahrt-Bundesamt gibt. Dann dauert es noch rund fünf Jahre, bis alle Fahrzeuge umgerüstet sind – so lange muss ein Radsatz bei den DVB halten.

Die Kohlefaser-Alu-Felge bringt nicht nur in ökonomischer Hinsicht etwas. „Sie ist auch deutlich leiser als Stahlfelgen“, sagt Roch. Das ist in Wohngebieten und vor Krankenhäusern wichtig. Fährt der Bus zusätzlich elektrisch, dürfte in Zukunft nur noch das leise Wimmern der Gummi-Reifen zu hören sein. „Wie bei der Straßenbahn ist die Zukunft des Busverkehrs elektrisch.“ Seit vergangenem Jahr testen die DVB auf der Linie 79 zwischen Mickten und Übigau diese Zukunft.

Ob die Flüsterbusse sich auch auf die Immobilienpreise an stark befahrenen Hauptstraßen auswirken werden, ist derzeit zwar spekulativ, die Lebensqualität der Anwohner dürfte sich aber deutlich verbessern, wenn es kaum noch Krach durch den Verkehr auf leisen Sohlen gibt.

Was verbirgt sich hinter dem Werkstoff? Carbon oder Kohlefaser besteht aus Kohlenstoff. Dieser kommt unter anderem in Zellulose vor, dem Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände. Bäume und Flachs eignen sich ebenso. In technischen Verfahren wird daraus die Carbonfaser hergestellt. Verflochten zu einem Gewebe und aufgefüllt mit Kunstharz können damit hochfeste leichte Werkstoffe hergestellt werden. Eingesetzt werden diese bislang unter anderem in der Luft- und Raumfahrt, im Auto- und Maschinenbau, der Medizintechnik sowie für Sportgeräte.

Felgen aus heimischen Hölzern

Fasern und Kunstharz miteinander zu verbinden, ist keine ganz neue Methode. „Der Trabant mit seiner Duroplast-Karosserie aus Baumwolle und Harz war ein Vorreiter“, sagt Niels Modler, Professor am Institut für Leichtbau- und Kunststofftechnik an der TU Dresden. Auch bei der Herstellung des Zwickauer Kultautos ging es ums Gewicht und vor allem um den schonenden Einsatz teurer Rohstoffe.

Immerhin wog der Trabant gerade einmal 600 Kilogramm. Heutige Kleinwagen bringen es auf das Doppelte. Der Rohstoff für die moderne Carbonfelge wächst um die Ecke. Theoretisch wäre es möglich, die gesamte Produktion in Dresden und Umgebung zu konzentrieren, sagt Modler. „So könnte man schnellwachsende Hölzer aus dem Tharandter Wald für die Herstellung der Fasern verwenden.“ Geht es nach den DVB, kann die Serienproduktion nicht schnell genug beginnen. „Wir hoffen darauf, dass die Felge noch in diesem Jahr eine Zulassung bekommt“, sagt Bus-Chef Robert Roch. „Dann können wir 2017 mit der Umrüstung beginnen.“ Bis nächste Woche sind DVB-Experten und TU-Forscher auf dem Lausitzring, um die Räder auf Diesel-, Elektro- und Hybridbussen zu testen.

30 000 Felgen will ThyssenKrupp Carbon Components einmal in Kesselsdorf produzieren. Das könnte Hunderte neue Arbeitsplätze schaffen, so die Einschätzung des Unternehmens. Das Potenzial der neuen Radtechnologie ist gigantisch. Mehrere Hundert Millionen Felgen werden jährlich auf der Welt hergestellt – für Autos, Lastwagen oder Busse. Deshalb könnte die Carbon-Felge auch im Transportgewerbe eine Revolution bringen. Für Spediteure dürfte dabei nicht nur das Einsparpotenzial beim Spritverbrauch interessant sein, sondern auch die Möglichkeit, mehr Güter zu laden. Die Carbontechnik trüge bei ihrem Siegeszug dann weltweit die Herkunftsbezeichnung „Made in Saxony“.