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Er schaute hinter die Fassaden

Völlig unerwartet starb am Freitag der Maler Eberhard Havekost. Er war erst 52. Ein Nachruf von SZ-Redakteurin Birgit Grimm.

Von Birgit Grimm
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Der Maler Eberhard Havekost ist tot. Das Foto zeigt ihn 2013
Der Maler Eberhard Havekost ist tot. Das Foto zeigt ihn 2013 © Robert Michael

Dresden. Eberhard Havekost? Gestorben? Mit 52? Der Maler, der in den 90er-Jahren an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste studierte und mit seinen Künstlerkollegen Thomas Scheibitz und Thoralf Knobloch die Szene in Schwingungen versetzte?! Einer aus dem Osten, der es wissen wollte, der jung genug war, um sich nicht einschüchtern zu lassen vom Platzhirschgehabe westlicher Großkünstler.

In die Welt der Sammler und in die großen Museen der Welt hineingebracht hat ihn die Dresdner Galerie Gebr. Lehmann. Es ist selten, und es ist ein Glücksfall für Künstler und Galerist, so lange und kontinuierlich zusammenzuarbeiten, eng befreundet zu sein wie Ralf und Frank Lehmann es mit Eberhard Havekost waren. Ralf Lehmann sagte: „Donnerstag hatten wir noch telefoniert, über sein Projekt für Los Angeles, und Abbildungen herausgesucht. In den nächsten Tagen wollten wir ihn besuchen. Und dann aus dem Nichts das.“ Havekost, der in Berlin und Düsseldorf lebte, plante zwei Ausstellungen in den USA, in Los Angeles und New York.

Havekost, Jahrgang 1967, wuchs in einem Künstlerhaushalt auf, sang im Kreuzchor und lernte den Beruf des Steinmetzes. 1989 floh er über Budapest in den Westen, kehrte aber bald nach Dresden zurück, um an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Malerei zu studieren, zuletzt als Meisterschüler bei Ralf Kerbach. Die Lehmänner nahmen Havekost unter Vertrag, förderten und begleiteten seitdem ununterbrochen seinen malerischen Weg um die Welt. Regelmäßige Auftritte in seiner Heimatstadt gehörten dazu wie die Auftritte in so bedeutenden Museen wie der Kunsthalle Schirn in Frankfurt, dem Stedelijk Museum in Amsterdam, dem Museum der Moderne Salzburg, dem Kunstmuseum Wolfsburg und nicht zuletzt den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Im Lipsiusbau auf der Brühlschen Terrasse zeigte Havekost 2010 – in jenem Jahr wurde er Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie – die Soloshow mit dem Titel „Ausstellung“. Andere Schauen von ihm hießen schlicht „Titel“, „Material“ oder „Zoom“. Auch mit seinen Bildertiteln schwurbelte er nicht rum: „160 mal 260“, hieß eins, weil es diese Maße hatte. Und „Minus 2 Meter“ ein anderes, weil er Details aus „160 mal 260“ extrem vergrößert hatte. Die Ideen für seine Malerei holte Havekost aus den Medien, aus dem Fernsehen, aus Magazinen, auch dann, wenn er den Wald abbildete. Im Computer speicherte er Tausende Fotografien, er erfand nichts. Alles war schon vor ihm da. Er zoomte, machte Ausschnitte, verzerrte, manipulierte die Farben und versuchte so, den Dingen auf den Grund zu gehen. Havekost stellte die Wahrnehmung auf die Probe, seine eigene und die der Betrachter. In einem seiner seltenen Interviews sagte er der SZ: „Man kann sich nicht daran erinnern, wie man als Kleinkind die Welt wahrgenommen hat. Mit dem eigenen Wachsen schrumpft alles andere. Leider schrumpft der Kosmos mit – durch Bildung und den dadurch entstehenden dauerhaften Konsens. Man ist sich einig, dass ein Haus ein Haus und diese Farbe hier ein Blau ist. An diesem Punkt fängt der Künstler an zu arbeiten, indem er behauptet, das könne man alles auch ganz anders sehen.“

Für eine Sonderausgabe zum 250. Jubiläum der sächsischen Kunsthochschulen gestaltete Havekost die Titelseite der Sächsischen Zeitung am 6. Februar 2014.
Für eine Sonderausgabe zum 250. Jubiläum der sächsischen Kunsthochschulen gestaltete Havekost die Titelseite der Sächsischen Zeitung am 6. Februar 2014. © SZ

Überrascht hat Havekost die Leser der Sächsischen Zeitung, als er 2014 gemeinsam mit Studierenden der HfBK Dresden und der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst eine Kunstausgabe gestaltete. Anlass war das 250. Gründungsjubiläum beider Schulen. Havekost hat damals nicht gezögert, aber auch keine Wünsche erfüllt. „Ich habe eine Sentimentalität für Zeitungen, obwohl ich keine Zeitung lese“, sagte er. Papier, Druckerschwärze, ein analoges Medium, das sich mit Anstand behauptet im digitalen Zeitalter – das gefiel dem Maler, der damals weder Website noch E-Mail-Adresse hatte. Wir ließen ihm freie Hand. Er adelte die Ausgabe mit einem Umschlag, der einen Pfau in Schwarzweiß erkennen ließ. Pflanzen waren zu sehen, ein Fasan spielte mit. Er hatte sie in einem Naturbuch aus den 1930er-Jahren entdeckt. Die Drucker kamen ordentlich ins Schwitzen, aber sie hatten den Künstler verstanden und gaben ihr Bestes. Allerdings fand es mancher Leser nicht witzig, dass die Finger beim Aufblättern schwarz wurden.

Auch der Musik hielt Havekost die Treue, eigentlich wollte er DJ werden. Hin und wieder hat er aus Spaß an der Sache selbst aufgelegt. Sven Helbig, Komponist und Mitbegründer der Dresdner Sinfoniker, macht bei Radio 1 die Sendung „Schöne Töne“. Ralf Lehmann sagt: „Diesen Donnerstag wird er Stücke von einer Liste spielen, die Havekost ihm 2005 auf einer Fahrt nach Berlin in einem tschechischen Speisewagen in sein Handy getippt hat.“ Eine wunderbare Art, Abschied zu nehmen.