Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Merken

Ehemaliger SS-Mann schweigt

Schon zum zweiten Mal steht Siert Bruins wegen eines NS-Verbrechens vor Gericht. 1980 war der ehemalige SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Von Jörn Hartwich

Hagen. Um kurz vor elf Uhr bahnt sich Siert Bruins einen Weg durch die wartenden Journalisten. Sein Blick ist fest, die Hände des 92-Jährigen sind auf einen Rollator gestützt. Fast 69 Jahre ist es her, dass er als junger SS-Mann im holländischen Appingedam den niederländischen Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema erschossen haben soll. Jetzt steht der gebürtige Niederländer dafür zum ersten Mal vor Gericht. Zum Prozessauftakt am Montag im westfälischen Hagen traf er dabei auch auf Angehörige des Opfers. Gewürdigt hat er sie mit keinem Blick.

Ob er sich zu Unrecht vor Gericht gezerrt fühlt? Auch Verteidiger Klaus-Peter Kniffka war sich da vor Prozessbeginn nicht sicher: „Das kann ich nicht sagen - das Verfahren belastet ihn aber auf jeden Fall.“ Im Prozess will Bruins schweigen. Nur einmal meldete er sich am ersten Verhandlungstag zu Wort - als es um seine Nationalität ging. Auf den Hinweis von Richterin Heike Hartmann-Garschagen, dass die Staatsangehörigkeit ja wohl ungeklärt sei, sagte der ehemalige SS-Mann: „Ich bin seit 1942 Deutscher.“ Dann blickte er wieder mit versteinerter Miene geradeaus.

Gleich vier Angehörige Dijkemas waren an diesem Tag ins Gericht gekommen. Aldert Klaas Veldmann, ein Onkel des Opfers, sagte vor Prozessbeginn: „Ich möchte Bruins in die Augen blicken und sehen, ob er Angst hat.“ Ob Bruins ins Gefängnis gehe? Darauf komme es der Familie gar nicht an. Aber er solle verurteilt werden, das sei wichtig.

Aldert Klaas Dijkema war 36, als er hinterrücks erschossen wurde. Der Angeklagte und ein schon 1985 verstorbener Vorgesetzter sollen ihn in der Nacht auf den 22. September 1944 zu einem verlassenen Fabrikgebäude in Appingedam in der Provinz Groningen gefahren haben. Laut Anklage wurde Dijkema mit folgenden Worten aus dem Wagen geschubst: „Geh mal eben pissen.“ Danach sollen mindestens vier Schüsse gefallen sein. Einem Arzt wurde später angeblich gesagt, dass der 36-Jährige nach der Sperrzeit angetroffen worden und auf Anruf nicht stehen geblieben sei. Deshalb habe man ihn auf der Flucht erschossen.

Die Richter in Hagen stehen allerdings vor einem Problem: Lebende Zeugen gibt es nicht mehr. Dafür existieren frühere Vernehmungen und Unterlagen, die im Prozess verlesen werden können. So wie einen Lebenslauf, den Bruins am 31. Juli 1944 selbst verfasst hat. Darin heißt es unter anderem: „1941 ging ich freiwillig zur Waffen-SS.“ Später sei er dann an die Ostfront gekommen, habe das Infanteriesturmabzeichen und das Ostabzeichen erhalten. Wegen einer Krankheit sei er schließlich zurück in die Heimat geschickt worden. Unterschrieben hatte Bruins den Lebenslauf damals mit: „SS-Rottenführer“.

Gerade einmal 35 Minuten dauerte der erste Prozesstag, dann war schon wieder alles vorbei. Bruins hatte sich nicht einmal die Jacke ausgezogen. Dass er dem Verfahren folgen kann, steht nach Aussage eines medizinischen Gutachters fest. Der 92-Jährige sei zwar wegen eines Lungenleidens jeweils nur drei Stunden verhandlungsfähig, könne die Vorwürfe aber für sich bewerten und sich auch verständlich machen. Ein Problem ist allerdings die Schwerhörigkeit. Immer wieder drehte sich Bruins am ersten Verhandlungstag zu seinem Verteidiger um und bedeutet ihm, dass er die Richterin nicht verstehe.

Ein erstes Ermittlungsverfahren im Fall „Dijkema“ war in den 1970er Jahren eingestellt worden, weil die Erschießung eines Widerstandskämpfers damals noch als Totschlag und damit als verjährt eingestuft worden war. Inzwischen wertet die Staatsanwaltschaft die Tat jedoch als heimtückischen Mord - und Mord verjährt nicht.

Siert Bruins war nach Ende des Zweiten Weltkriegs rund drei Jahrzehnte in Westfalen untergetaucht. Dort nannte er sich Siegfried Bruns und gründete eine Zaunfirma. „Er war ein angesehener und geachteter Geschäftsmann“, hatte sein Verteidiger Klaus-Peter Kniffka vor Prozessbeginn erklärt. In einem früheren Verfahren war Bruins bereits 1980 wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen Brüdern zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Davon hat der heute 92-Jährige laut Staatsanwaltschaft zwei Drittel verbüßt. (dpa)