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Ein Mann, der lebenslänglich lernte

Franz Jakob Wigard war Stenografie-Wegbereiter und Streiter für Gerechtigkeit. Im reifen Alter wurde er Student.

Von Heinz Fiedler
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Professor Dr. Franz Jakob Wigard (1807–1885) wirkte zwei Jahre als Arzt in Deuben. Eine Straße in Potschappel trägt seinen Namen.
Professor Dr. Franz Jakob Wigard (1807–1885) wirkte zwei Jahre als Arzt in Deuben. Eine Straße in Potschappel trägt seinen Namen. © Sammlung: Siegfried Huth

Eine Straße unserer Stadt trägt seit Langem seinen Namen, was Freital zweifellos zur Ehre gereicht. Prof. Dr. Franz Jakob Wigard verbrachte zwei Jahre seines bewegten Lebens als hochgeschätzter Arzt in Deuben. Wigard, am letzten Maientag anno 1807 in Mannheim geboren, verkörperte einen Typ, den es heute in so vollkommener Form kaum noch gibt. Ein Mann, dem bis ins hohe Alter an einer universellen Bildung gelegen war, und der sich auf recht verschiedenen Wissensgebieten fundierte Kenntnisse aneignete. Gescheit und weitblickend nahm er den ihm gebotenen Lehrstoff scheinbar mühelos auf.

Sein Mammut-Studienprogramm in München: Forstwirtschaft, Philosophie, Geografie, Geschichte, Nationalökonomie, Finanz- und Rechtswissenschaft. Als junger Rechtspraktikant fand er immer noch Zeit zum Erlernen der Stenografie. In nur zehn Monaten avancierte er 1830 zum besten Schüler Gabelsberger, dem Begründer der deutschen Stenografie.

Wigard, Wegbereiter der Gabelsbergerschen Stenografie in Sachsen, gab Mitte des 19. Jahrhundert auch eine stenografische Zeitschrift heraus. 
Wigard, Wegbereiter der Gabelsbergerschen Stenografie in Sachsen, gab Mitte des 19. Jahrhundert auch eine stenografische Zeitschrift heraus.  © Sammlung: Siegfried Huth

Die Bekanntschaft mit Gabelsberger eröffnete Wigard ein neues Betätigungsfeld. Als Mitarbeiter eines stenografischen Büros in München hatte er sich durch die stenografische Aufnahme von Parlamentsdebatten einen Namen gemacht. Sein exaktes engagiertes Wirken veranlasste Dr. Karl Krause, Leiter des Dresdner Landtagsblattes, bei Gabelsberger anzufragen, ob er nicht einen Landtagsstenografen für Sachsen vermitteln könne. Gabelsberger empfahl Wigard, der 1833 nach Dresden reiste, wo er ein Jahr später von der sächsischen Regierung als Stenograf in den Staatsdienst aufgenommen wurde.

Zeitgenossen bezeichnen Wigards Tätigkeit als außerordentlich segensreich. Er gründet und leitete das erste stenografische Institut Dresdens, bildete kontinuierlich Landtagsstenografen aus, verfasste Lehrschriften und gab eine stenografische Zeitschrift heraus. 1843 wurde er zum Professor ernannt. Als Mann von zutiefst liberal-demokratischer Gesinnung, gepaart mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, trat Wigard in den Revolutionsjahren 1848/49 unerschrocken für ein freiheitliches Bürgertum ein. In der Nationalversammlung Frankfurt ergriff der brillante Rhetoriker wiederholt das Wort. Nach dem unrühmlichen Ende des Parlaments begab er sich mit Freunden nach Stuttgart, um sich in den Reihen des sogenannten Rumpfkabinetts weiterhin im Sinne seiner revolutionären Ideale wirkte.

Die sächsische Regierung quittierte Wigards Verhalten mit einem Disziplinarverfahren und seiner Entlassung aus dem Staatsdienst. Bittere Stunden für den Mannheimer, der sich in Dresden zuhause fühlte. Indes, Resignation war noch nie seine Sache. Sein nie versiegender Bildungsdrang ließ ihm im 47. Lebensjahr etwas völlig Neues beginnen: Franz Jakob Wigard nahm am Dresdner Klinikum ein Medizinstudium auf – das Staatsexamen bestand er mit Auszeichnung.

Da er als Mediziner zunächst in keiner Großstadt praktizieren durfte, siedelte sich Wigard 1856 in der damals selbstständigen Gemeinde Deuben an, wo er in einem Gebäude in Nachbarschaft der späteren kommunalen Berufsschule eine bescheidene, aber von der Bevölkerung stark in Anspruch genommene Praxis unterhält. Innerhalb kurzer Zeit erlangte Wigard, ob seiner Menschenfreundlichkeit, echte Volkstümlichkeit. Bergleute und Fabrikarbeiter gehörten zum großen Kreis seiner Patienten. Viele Deubener behandelte er kostenlos.

Auch seine Dresdner Praxis, 1858 eröffnet, war ständig überlaufen. Als gefragter Mediziner hielt er nichts von beruflicher Eingleisigkeit. In seiner Eigenschaft als leitende Persönlichkeit der sächsischen Fortschrittspartei war er von 1871 bis 1874 Mitglied des ersten deutschen Reichstages. Herbe Kritik übte er in jener Zeit am sächsischen Schulwesen. Sein Kommentar: „Wahre Lebensbildung wird kein Schüler an den Dresdner Schulen erreichen. Der Unterricht ist für gewöhnlich realitätsfremd.“ Dörfliche Schulen führten seiner Meinung nach ein regelrechtes Stiefmütterchendasein. „Ich bin für eine Schule, wo allen alles gelehrt wird, was für ein menschenwürdiges Dasein notwendig ist.“

Ohne sportliche Betätigung konnte sich Dr. Wigard seinen Alltag nicht vorstellen. Leibesübungen, Gerätturnen, Fechten, Schwimmen, Eislaufen – er war auch sportlich universell. Ihm ist der erste Dresdner Elbe-Schwimmverein zu danken. 1850 führte er mit seinen beiden Töchtern gegen den erbitterten Widerstand der Dresdner Rathaustöchter-Oberschule auf dem Palaisteich im Großen Garten das Schlittschuhlaufen für Mädchen ein.

Am 28. September 1885 verabschiedet sich Franz Jakob Wigard für immer. In tiefer Ergriffenheit folgte ein langer Zug dem Sarge vom Trauerhaus am Altmarkt bis hinaus zum Trinitatisfriedhof. Bei strömenden Regen bildeten die Dresdner ein dichtes Spalier, um ihrem Wigard die letzte Ehre zu erweisen.

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