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„Ein Schwein in jedem Keller“

Eine Riesaerin erinnert sich an die Anfänge der Siedlung „Neue Hoffnung“ – ein Ort, der längst verschwunden ist.

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Von Britta Veltzke

Als Irmgard Rauschenbach ein altes Foto der Siedlung „Neue Hoffnung“ in der SZ sieht, kramt sie wieder die alten Bilder hervor. Auch ihre Familie lebte einige Jahre in der ehemaligen Kaserne, die bis 1922 umgebaut wurde, um die Wohnungsnot in Riesa zu lindern. Irmgard Rauschenbach war sehr jung, als sie die Siedlung verließ. „Ich muss etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, aber ich habe dennoch gute Erinnerungen an die Neue Hoffnung“, erzählt die heute 95-Jährige. „Jede Familie hatte einen eigenen Garten. Und im Keller ein Schwein.“ Das war laut den „Grundsätzen für die Zulassung des Tierhaltens in der städtischen Kleinwohnungsanlage an der Klötzerstraße“ unterschrieben 1921 von Bürgermeister Dr. Scheider zwar offiziell verboten – wohl aber dennoch Usus.

Bruder Hans Raitel (l.) mit Schwesterchen Irmgard.
Bruder Hans Raitel (l.) mit Schwesterchen Irmgard.
Familie Raitel vor ihrem Haus in der Siedlung „Neue Hoffnung“.
Familie Raitel vor ihrem Haus in der Siedlung „Neue Hoffnung“.

Mit zittrigen Händen zeigt die Seniorin ein verblasstes Foto. Ihre Familie steht auf der Veranda vor der Haustür – sie selbst als Baby in den Händen ihrer Mutter. Immer zwei Haustüren nebeneinander sind über eine Treppe mit wenigen Stufen zu erreichen. „Ich sollte die Siedlung damals nicht verlassen, ich war ja ein kleines Mädchen. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie mir mein Vater den Hintern versohlt hat, als ich einmal über die Mauer auf die Klötzerstraße geklettert bin. Wann kam da denn schon mal ein Auto?“, fragt sie. Bis heute kann sie die Reaktion ihres Vaters nicht nachvollziehen. Auch wenn es dieses eher negative Erlebnis ist, dass ihr klar in Erinnerung geblieben ist – mit der „Neuen Hoffnung“ verbindet sie bis heute positive Erlebnisse. Der Zusammenhalt in der Siedlung, die wie eine eigene Stadt in der Stadt war, war groß. „Wenn eine Hochzeit gefeiert wurde, mussten wir Kinder Blumen streuen. Meine Schwester hatte irgendwann gar keine Lust mehr dazu und hat die Blüten einfach an einer Stelle auskippt, damit sie schneller fertig war. Ich war immer stolz Blumenmädchen zu sein.“ Ihre Mutti habe damals bitterlich geweint, als die Familie ausziehen musste. Ihr Vater hatte eine Stelle als Pförtner und Hausmeister im Verwaltungsgebäude des Lauchhammerwerks, dem heutigen Amtsgericht, bekommen. Also zog die Familie Raitel aus der Siedlung aus. Immerhin: „Wir konnten unsere Gartenlaube mitnehmen. Sie wurde auf einen Wagen aufgeladen und im Garten unserer neuen Wohnung wieder aufgestellt“, erzählt sie. Auch dort hatte die Familie Glück. „Es war eine Wohnung im Erdgeschoss. Häufig sind wir einfach durch Fenster hineingeklettert, anstatt durch die Tür zu gehen. Wir hatten ein großes Kinderzimmer“, erzählt Rauschenbach, die neben einem älteren Bruder noch zwei jüngere Schwestern hatte. Inzwischen lebt sie in einer Wohnung in der Riesaer Innenstadt – und obwohl sie schon auf die 100 zusteuert, kommt sie noch ganz gut allein zurecht. Doch eines vermisst sie: „Die Gemeinschaft. Früher hat man mit allen seinen Nachbarn Feste gefeiert oder ist einfach mal vorbei gekommen. Einfach so, um mal Guten Tag zu sagen. Das gibt es heute leider nicht mehr.“

Auch Helga Bernhardt hat ihre Kindheit in der „Neuen Hoffnung“ verbracht und schwärmt: „Der Zusammenhalt war toll. Die Muttis brauchten sich keine Sorgen um uns zu machen. Wir konnten durch die Siedlung laufen und auf die Kinder wurde geachtet.“ Ihre Mutter blieb in der Siedlung, bis die Häuser abgerissen wurden.